Epilog

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Epilog

Ich bin der Meinung, dass es keine Situation gibt, wie das Warten in einem Wartezimmer einer Arztpraxis. Ungemütliche Stühle, eine komische Luft und Menschen, die du wahrscheinlich nie in deinem Leben wiedersehen wirst (außer vielleicht in derselben Arztpraxis) und dann natürlich noch die nervenaufreibende Erwartung, das in jeder Sekunde dein Name aufgerufen wird und du, als einziger im Raum, aufstehen musst und dich von den anderen verabschieden musst, sie zurücklassen musst, als wären sie wie deine einzigen Begleiter auf diesem Abenteuer gewesen.

Okay, vielleicht ist es nicht so dramatisch.

Was ich eigentlich ausdrücken wollte, war, dass ich gerade in einem Wartezimmer saß. Glücklicherweise musste ich mir keine Sorgen darüber machen, aufgerufen zu werden, denn ich saß in diesem Wartezimmer, um auf Collin zu warten.

Vor ein paar Wochen, ungefähr zwei Wochen nachdem Joyce und Collin zu uns gezogen waren und sich ihre Eltern offiziell getrennt hatten, fand ihr Vater eine Unterkunft für die drei. Es war eine der Wohnungen, die sein Bruder vermietete. Ich war selbstverständlich froh, dass sie eine Wohnung gefunden haben, aber auch ein wenig traurig, da ich unser Zusammenleben durchaus genossen habe. An unserem letzten Abend allerdings wollte ich noch etwas loswerden.

„Habt ihr eine Sekunde?", habe ich gefragt und sie haben mir mit verwirrten Blicken geantwortet.

„Ich will euch etwas sagen, etwas, dass mich schon einige Zeit beschäftigt und ich bin etwas nervös, weil ich nicht weiß, wie ihr reagieren werdet."

Sie haben mich mit einem Blick angesehen, den ich nicht lesen konnte. Ich atmete tief ein und sagte:

„Ich glaube, ihr solltet euch einen Therapeuten suchen. Wenn ihr wollt. Um, vielleicht, darüber hinwegzukommen, falls es euch bedrückt." Meine Stimme war nervös gewesen und ich stotterte mehr, als ich wollte, doch als ich meinen Blick von meinen Füßen hob, zuckte Joyce nur mit den Schultern.

„Kein Problem für mich.", hatte sie gemeint, „Ich bin seit zwei Jahren in Therapie."

Das hatte mich...überrascht. Daraufhin erklärte sie mir, dass sie sich heimlich einen Therapeuten gesucht hat, um mit dem Stress, den ihre Mutter verursachte, klarzukommen. Die Rechnungen waren auf ihren Vater ausgestellt und wurden immer in seine Firma geschickt. Sie hatte immer versucht, Collin zu überreden, aber ohne Erfolg.

„Meine Therapie war die Flasche Schnaps im Gebüsch."

Ich zog meine Augenbrauen zusammen und lief auf ihn zu.

„Die Betonung liegt auf war, Freundchen.", murmelte ich, „Glaubst du nicht, dass es gesünder ist, zur richtigen Therapie zu gehen?"

„Was soll es mir bringen, wenn ich einmal die Woche eine Stunde lang irgendeiner wildfremden Person für wasweißichwieviel meine Probleme erzähle, nur damit ich gefragt werde: Und wie fühlst du dich dabei? Ich weiß, wie ich mich fühle, vielen dank."

Sein Gesicht war steinhart geworden und er knirschte mit den Zähnen, nachdem er das gesagt hatte. Er sah an uns vorbei, mit verschränkten Armen. Ich seufzte und mein Herz wurde schwer bei dem Gedanken, Collin unglücklich gemacht zu haben. Ich wollte ihm eine Hand auf die Schulter legen, doch Joyce kam mir zuvor.

„Du weißt, wie du dich fühlst, aber nicht, wie du damit umgehen sollst.", hatte sie gesagt, „Wir wollen dich zu nichts zwingen. Aber mir hat es sehr geholfen und wird es sehr helfen. Ich mache dir einen Vorschlag: Du kannst eine Probestunde bei meinem Therapeuten machen. Von mir aus auch eine von meinen Sitzungen. Wenn es dir nicht gefällt, okay. Aber dann hast du es wenigstens versucht."

Nach einem Moment der Stille entspannten sich Collins Schultern und er sagte:

„Ich überlege es mir."

Und jetzt bin ich hier. Im Wartezimmer von Joyces Therapeuten und warte angespannt darauf, dass sich die Tür öffnete und er herauskam. Eigentlich wollte er bis gestern Nacht noch alleine gehen, doch als wir telefonierten und ich gerade dabei war, einzuschlafen, stellte er mir die Frage so leise, dass ich es fast nicht hörte. Allerdings war ich dann sofort wieder wach. Eigentlich hatte ich angerufen, um ihn zu fragen, was besser zu mir passe; Literaturgeschichte, Lyrik oder BWL. Er lachte auf, als ich BWL sagte. Und dann hörten wir für mehrere Stunden nicht auf, zu telefonieren. Es war ein schönes Gefühl. Warm und glücklich. Als ich mich daran erinnerte, kam das Gefühl zurück.

Es war ein Gefühl, von dem ich nicht erwartet hatte, es zu fühlen, als ich hierher kam. Als ich im Flugzeug panisch darüber schrieb, warum ein Flugzeug existiert, um mich davon abzulenken, dass ich etwas tat, wofür ich meiner Meinung nach nicht bereit war. Und vielleicht war ich das auch nicht, aber eigentlich ist man nie wirklich für große Veränderung bereit. Ich dachte, der beste Weg, um diese Panik verschwinden zu lassen, wäre, zu planen und sich strikt an diesen Plan zu halten. Doch ich habe gelernt, dass je mehr man plant und je mehr man sich auf diesen Plan fokussiert, desto größer wird die Panik, die man eigentlich loswerden will, denn es gibt Dinge, die kann man nicht planen. Glücklicherweise ist das nicht immer schlecht. Hätte ich meinen Plan verfolgt, dann wäre ich wahrscheinlich jetzt kreuzunglücklich, mit dem Hintergedanken, dass alle anderen glücklicher sind. Oh, wie falsch ich lag. Egal, wie nervös oder unbehaglich ich mich gefühlt habe, es ist jetzt tausendmal besser, als ich es mir je hätte vorstellen können.

Dieser Gedanke wurde mir bestätigt, als sich die Tür endlich öffnete und Collin heraustrat, das Gesicht rot und geschwollen, doch die Augen funkelnd und das Lächeln genauso breit, wie am ersten Tag, als ich diesen braunhaarigen, lauten, Fremdsprachen-Vergewaltigenden Jungen das erste Mal gesehen hatte.


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Vielen Dank fürs Lesen! Mir hat es sehr viel Spaß gemacht mein erstes (eigenes) Buch zu schreiben und ich hoffe, Ihr hattet genauso viel Spaß beim Lesen. Ich plane definitiv, in Zukunft weiter zu schreiben. Hoffentlich sieht man sich dann wieder! :)

- apfen / Sara

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 26, 2018 ⏰

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