Verwirrt

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Zu Mittag stürze ich mich in die Mensa. Ich habe tierischen Hunger. Wenn ich nicht bald etwas zu essen bekomme, fresse ich mich noch selbst auf. Vertieft in meinem Gedanken über meinen Hunger, tippt mich jemand an meiner Schulter an. Ich drehe mich ruckartig um und erblicke einen aufgeregten Mike. Hinter ihm stehen Sophia und Kyle. Ich muss sofort beginnen zu grinsen. Sie erwidern das Grinsen und beide umarmen mich außer Kyle. Er steht nur daneben und verdreht die Augen mit einem frechen Schmunzeln. Seine Hände stecken in seinen Hosentaschen.

„Sag mal Dove, hast du was geträumt?", befragt mich Sophia auf einmal und ich wusste diese Frage bezieht sich auf meinen langen Schlaf. Ich schüttele den Kopf als Antwort und blicke kurz auf den Boden. Sophia ist ein sehr neugieriger Mensch, was echt – vor allem mir – auf die Nerven gehen kann. Dafür hat sie ein helles Köpfchen und ist ehrlicher als es erlaubt sein sollte. Sie ist eine herzensgute Person.

In der Mensa sitzen wir zusammen und das Essen, welches wir uns holten, ist noch immer nicht zum Runterschlucken gedacht, so wie früher. „Und bist du jetzt wieder gesund und fit?", fragt mich Mike. Sollte ich ihnen über dem Tumor und der Lähmung erzählen? Nein. „Ja, mir geht's super", ich setzte mich aufrecht hin, „Was hab' ich denn so verpasst?" Die anderen sehen mich an. „Was du verpasst hast...?", fragt Mike nach, „Nichts, ich mein wir würden es dir erzählen, aber es ist nichts Spannendes passiert" Mit einer hochgezogenen Augenbraue sehe ich sie skeptisch an. „Ja genau, es ist eigentlich nichts passiert, vor allem nichts Interessantes was mit dir zu tun hat, ganz bestimmt nicht", bestätigt Sophia nervös. „Hört auf damit und sagt es ihr", kommt Kyle nun zu Wort. „Es kann ja wohl nicht noch schlimmer sein, als Jayden und seine Gerüchte", lache ich und nehme noch einen letzten Biss meines geholten Essens. Alle verstummen. Man muss wissen, dass ich meinen Freunden von den Drohungen von Jayden nichts erzählt habe. Erstens ich habe seine nicht moralische Tat für mich behalten und zweitens ich wollte beziehungsweise will die anderen nicht damit belasten. Trotzdem gab es schon immer wieder Gerüchte, dass Jayden Johnson Drogen- und Waffenhandel führt. Für einen 18-jährigen Jungen nicht vorstellbar.

Ich lasse das Stück in meinem Mund schmelzen und sehe sie mit großen Augen an. Dann kaue ich schnell und schlucke es hinunter. „Es hat was mit Jayden zu tun", schlussfolgere ich. Ich stehe auf, nehme meine Tasche und den halb leeren Teller, bringe diesen zurück und gehe durch die Glastür der Mensa hinaus. Nach wenigen Schritten bleibe ich stehen und lehne mich gegen die Wand. Kann der Typ nicht einfach die Fliege machen und von dieser High School verschwinden. Ich will es gar nicht wissen, was ich verpasst habe. Am liebsten würde ich woanders hinziehen und mir mein Leben neu aufbauen. Plötzlich bekomme ich pochende Kopfschmerzen und für einen kurzen Moment fühlte sich mein ganzer Körper gelähmt an. Vielleicht habe ich zu wenig getrunken! Mit zitternden Händen suche ich meine Wasserflasche in meiner Tasche, aber ich finde sie nicht. Verdammt! Egal, es würde wahrscheinlich sowieso nichts bringen.

Nach ein paar Minuten Erholung gehe ich weiter um den Raum für den nächsten Kurs zu finden. Ich habe noch immer höllische Kopfschmerzen. Damit ich mich ausruhen kann, setze ich mich in die letzte Reihe. „Ms. geht es ihnen gut?", fragt mich meine Mathematiklehrerin. „Ich müsste mich nur kurz ausruhen. Kann ich mich hinaus setzen?", frage ich erschöpft und halte mir dabei den Kopf. „Ja natürlich, aber jemand sollte sich zu ihnen gesellen", sie schweift mit ihrem Blick durch den Klassenraum, gefüllt von Schülern und tippt auf Kyle, „Mr. Kaufman bitte begleiten sie Edwards" Mein bester Freund nickt und nimmt mich halb in den Arm und geht mit mir hinaus.

Draußen auf einer Bank lassen wir uns nieder. „Willst du vielleicht zu unserer Schulärztin", schlägt er vor. „Nein, ich habe am Freitag sowieso einen Arztbesuch im Krankenhaus", antworte ich leise. „Wieso das denn?", sanft nimmt er mein Gesicht in seine Hand und dreht es zu sich. Erwartungsvoll sieht er mich an. Ich hatte ihn noch nie angelogen und das hatte ich auch nie vor. Aber Kyle würde genauso dermaßen mit seiner Fürsorge nerven wie meine Eltern. Die Partys auf die wir gehen würden, wären keine Partys mehr. Das Shoppen mit Sophia wäre kein Shoppen mehr und die Gespräche, wenn wir alle zusammen sitzen, wären keine Gespräche mehr, sondern wir würden Ideen sammeln was sie tun sollen, wenn ich vielleicht nicht mehr da wäre. Die Krankheit wäre der Mittelpunkt und das will ich nicht. „Mein Arzt möchte nur eine Kontrolle machen, du weißt schon: Ernährung und sowas, wenn man von einem Koma erwacht ist", lüge ich und ich hasse mich jetzt schon dafür. Verständnisvoll nickt er. Das Schlimmste beim Lügen ist, dass man so gut lügt, dass die Person ohne jegliche Zweifel es mir glaubt.

Als die Schulklingel ertönt, machen wir uns zurück auf dem Weg in den Klassenraum um unsere Taschen zu holen. Danach trennen wir uns. Schnell bringe ich noch die Bestätigung vom Krankenhaus zum Direktor und mache mich auf dem Weg nach Hause.

„Hey...", überrascht sehe ich Jayden an, der vor mir auftaucht. „Äh..." Sprachlos blicke ich ihn an. Ich weiß nicht, was ich zu ihm sagen soll, oder was er überhaupt von mir will. Vielleicht will er mir wieder drohen. „Was willst du?" Ich versuche möglichst selbstbewusst zu wirken, denn ich will mich nicht wieder von ihm einschüchtern lassen. Dieses Mal kann er mir nicht mehr unterdrücken. Trotzdem versuche ich den Blick in seine Augen zu meiden. „Dir geht's anscheinend nicht so gut", bemerkt er und analysiert mich. Ich sehe ihn skeptisch an. „Ich könnt' dich nach Hause bringen, mein Auto steht draußen" Ein kleines Lächeln ziert seine Lippen. „Nicht nötig, ich habe funktionstüchtige Beine", antworte ich zynisch und gehe an ihm vorbei. „Wir müssen reden", gesteht er nun und läuft mir dabei nach. „Über dein seltsames blutverschmiertes Shirt vor knappen 2 Jahren? Können wir machen", spreche ich bewusst laut und drehe mich dabei noch kurz um. Die anderen Schüler auf den Gängen werfen uns komische Blicke zu. „Stimmt, diese Farbe sah sehr echt aus", dabei kommt er schnell auf mich zugelaufen, greift nach meinen Oberarm und zieht mich aus dem Schulgebäude. An seinem kleinen Truck bleiben wir stehen. „Hör zu, dass war vor zwei Jahren", er zögert und strich sich durch seine braunen Haare, „Ich wäre dir dankbar, wenn du alles was du an diesem Abend gesehen und gehört hast, vergessen könntest" Dieses Mal sehe ich Reue in seinem Gesicht. Er hat sich geändert und das kann ich sehen. „Und eine Gegenleistung gibt es nicht, die hast du nämlich schon", sagt er direkt. „Ach und welche?", frage ich ihn belustigt. „Dein Leben, Girl", ich sehe ihn verwirrt an, „Steig' in den Wagen" Komplett verwirrt setze ich mich auf den Beifahrersitz, ohne darüber nach zu denken. 

„Also als Gegenleistung tötest du mich nicht?", meine ich ironisch. Bei einer roten Ampel bleibt er stehen und sieht zu mir. „Dafür, dass du Freunde hast, weißt du ziemlich wenig", seufzt er und sieht wieder nach vorne. Ach, wenn ich das noch nicht bemerkt habe. „Wieso hast du es getan?", frage ich ihn. „Was getan?" Tut er nur so blöd oder ist er es? „Na ja, diesen Jungen...", gebe ich ihm einen Tipp. „Geht dich nichts an", antwortet er abweisend und fährt bei Grün los. Ich verstehe einfach nicht, weshalb er früher mir gedroht hat und jetzt versucht er nett zu sein. Ich verstehe ihn nicht. Ich bin verwirrt, aber wer ist denn heutzutage nicht verwirrt. 

After One Year and 91 DaysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt