Aufgeben

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Jayden setzt mich vor meinem Haus ab und kaum habe ich die Autotür geschlossen, fährt er los. „Idiot", flüstere ich. Meine Mutter und mein Dad sind Geschäftsleute eines großen internationalen Unternehmens, also ist das Haus wie üblich leer. Sehr viel Zeit haben sie nicht für mich. Eigentlich haben sie nie Zeit für mich.

Die nächsten Tage vergehen wie im Flug. Nach langem Betteln haben meine Eltern mir erlaubt alleine zur Schule zu gehen. Meine Freunde haben mir angeboten bei ihnen mitzufahren, aber ich denke ich sollte fit bleiben, solange ich dieses Ding im Kopf habe. Heute ist mein erster Arztbesuch bei Dr. Anderson. Ich versuche diese Besuche als neutral zu betrachten, aber ich denke das wird nicht lange von Dauer halten.

Mit Jayden hatte ich in den letzten Tagen kein einziges Wort gesprochen. Unsere Blicke trafen sich immer wieder und ich hatte das Gefühl, als wollte er mit mir reden, aber er hatte anscheinend seine Zweifel.

Am Schulgebäude angekommen, stecke ich meine Kopfhörer weg und sehe online auf meinem Handy nach, ob Kurse entfallen. „Morgen Prinzessin!", ruft mir jemand zu. Ich blicke auf und sehe vor mir Kyle. „Nenn' mich nicht so", lache ich und lasse mein Handy in meiner Hosentasche verschwinden. „Wieso?", fragt er dümmlich nach. „Weil es kitschig ist mich Prinzessin zu nennen", antworte ich mit einem Grinsen. „Wäre Königin besser?", nervt er mich weiter und steckt seine Hände lässig in seine Jackentaschen. Ich verdrehe grinsend meine Augen und mache mich auf dem Weg zu meinem ersten Kurs. Er folgt mir.

„Sag' mal, wieso bist du so oft beim Direktor?", frage ich ihn neugierig. Schon seit Montag hatte er jeden Nachmittag keine Zeit und musste immer zum Direktor. Ich hatte schon die Theorie, dass er eventuell eine Freundin hat. „Ich habe mich als Schülersprecher für nächstes Jahr beworben", erzählt er mir stolz. Schade, keine frische Liebe. „Du und Schülersprecher?", gebe ich von mir. „Mach' dich über mich nicht lustig, ja! Ich will diesen Job unbedingt machen", gibt Kyle zu. Seine Augen leuchteten, als er davon spricht. „Okay. Ich freu' mich, dass du mal was Sinnvolles gefunden hast, was dir auch gefällt", dabei lächle ich ihn an. Kyle ist faul und er weiß nicht einmal was er nach dem Abi machen möchte. Darum ist es ein großer Fortschritt, dass er etwas gefunden hat, was er auch wirklich machen möchte.

„Und wie geht's dir?", fragt mich mein bester Freund ernst. „Es geht", antworte ich ihm. „Hör zu, wenn es wieder so schlimm wird, kommst du sofort zu mir" befiehlt er mir. „Schon klar, ich habe heute sowieso meinen Termin im Krankenhaus, also schalt' mal einen Gang runter", dabei bleibe ich vor dem Klassenraum stehen, in dem ich gleich Unterricht habe. „Dove, ich mach mir nur Sorgen", er sieht mich hilflos an. „Mach' dir keine Sorgen, mir geht's super. Kümmer du dich schön um deinen Posten als Schülersprecher", währenddessen klopfe ich ihm an seine Schulter und verschwinde im Klassenraum.

Nachdem der Unterricht zu Ende ist, klingelt mein Handy. „Mum?" „Schatz, bitte vergess' deinen Termin heute nicht bei Dr. Anderson", erinnert sie mich. Alle Schüler samt Lehrer haben bereits den Raum verlassen. „Mum, ich hab' einen Tumor im Kopf, wie könnte ich diesen Termin vergessen?", frage ich sie sarkastisch, während ich meine Tasche schultere. „Schatz, entschuldige, aber das Ganze ist nun mal kein Spaß", antwortet sie mir. Ich drehe mich zum Ausgang des Klassenzimmers und sehe Jayden am Türrahmen lehnen. Ach du heilige­­- „Schatz? Bist du noch dran?", fragt meine Mutter nach, da ich nicht geantwortet habe. „Ja, Mum ich muss jetzt Schluss machen, wir sehen uns zum Abendessen", ich lege auf. Ich blicke schockiert zu Jayden und er sieht mich mitleidig an. Genau er musste es jetzt erfahren. Noch ein Grund mehr zu Hause unterrichtet zu werden, dann könnte ich nämlich so laut sprechen wie ich will. „Schau' mich nicht so an. Nämlich genau das wird mich erwarten, wenn ich es meinen Freunden erzähle: Mitleid", ich sehe ihn traurig an, „Bitte sag' es keinem" „Geht klar", antwortet er verständnisvoll. Eine nicht erwartende Geste von Jayden Christopher Johnson. Gerade will er was sagen, doch ich komme ihm zuvor: „Nein, ich werde in kein Auto steigen" „Okay, dürfte ich dich dann zu Fuß begleiten?", schlägt er vor. „Von mir aus", antworte ich und gehe an ihm vorbei. Mentale Unterstützung kann ich jetzt gut gebrauchen, auch wenn es gerade nicht die richtige Person ist.

After One Year and 91 DaysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt