Das Schicksal und was es mit uns macht

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Stille und dieser Geruch, der im Krankenhaus üblich ist, umhüllt mich. Die Lederstühle, die in Peters Büro stehen, werden von Woche zu Woche unangenehmer. Mein Hemd hängt schlapp auf meinen Körper. Seine Ärmel hatte ich hochgekrempelt, in der Hoffnung meine Anspannung die durch die Wärme hier im Raum ausgelöst worden ist, vergehe. Jayden musste kurzfristig nach Hause. Irgendwas sei mit seiner Mutter, meinte sein Vater. Widerwillig wollte er sich von mir trennen, doch ich versicherte ihm, dass ich das alleine schaffen würde. Ich habe mich geirrt. Ich würde es nicht schaffen, wenn Anderson jetzt durch seine Bürotür tritt und mir verkündet, dass ich auf eine Chemotherapie angewiesen bin. Die Folgen, dieser Behandlung will ich nicht einmal wissen. Ich hatte nämlich heraus gefunden, dass das Ungewisse mir schreckliche Angst einjagen kann, aber die Furcht, dass man weiß, dass etwas Schlimmes passieren wird, ist größer. Und das Zittern, das unangenehme Grummeln im Magen, die Nervosität und die Anspannung in meinen Händen, alles zugleich, lassen mich die furchtbarsten Szenarien ausdenken. Meine Hände sind am Frieren. Jaydens Hand ist auch nicht hier. Ich fühle mich, als wäre ich dem Schicksal gnadenlos ausgeliefert. Ich habe nichts mehr unter Kontrolle, um mich selbst zu retten. Da sind nur Dr. Anderson und das Schicksal, mehr nicht. Die Kontrolle hatte ich von Anfang an nicht gehabt, trotzdem gab es mir das Gefühl durch die Medikamente, das ich sie irgendwie besaß.

Unsicher betrachtet mein Arzt, welcher vor mir in seinem Stuhl hockt, die Testergebnisse und das MRT. Ich versuche mich mental darauf vorzubereiten. Genauso überlege ich, wie ich reagieren sollte. Sollte ich weinen? Oder doch sprachlos vor ihm sitzen?

„Sieht gut aus" Dieser Satz hallt in meinem Kopf. Er sieht mich erwartend an, doch ich bin wie gelähmt. „Ich kann die Operation durchführen" Ich blicke stumm in sein Gesicht. Diese ungemütlichen Gefühle, die ich noch vor kurzem fühlen konnte, haben sich in Luft aufgelöst. Nur meine schwitzenden Hände machen sich bemerkbar, als sie plötzlich wärmer werden. Die Angeschwollene pulsiert. „Freuen sie sich nicht?", fragt mich mein Arzt verwundert. „Doch, es ist nur...", ich blicke kurz auf meine lackierten Nägel, die mich an gestern Nacht mit Jayden erinnern, „Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben" Jetzt fliegt der Hoffnungsschimmer nicht nur vor mir, sondern dieser ist plötzlich unter meiner Gewahrsam. Ich bin glücklich, aber es fühlt sich so surreal an. Er mustert mich nachdenklich. „Kann ich verstehen" „Wie viele Patienten hatten sie schon, die auch Krebs hatten?" „Mehr als genug", antwortet er seufzend, da das Leiden der Patienten ihm wohl nahe ging. „Wie fühlt es sich an, einen Menschen zu begleiten, der vielleicht nicht mehr da ist?" Ich weiß nicht was mich dazu treibt Peter sowas zu fragen, aber es platze einfach aus mir heraus. „Manchmal, manchmal ist es ein Todesmarsch" „Und sie sagen nichts, wenn es einer ist oder?" „Würden sie einem Kind zu Weihnachten sagen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt", argumentiert er. Nein, würde ich nicht. Anderson spielt mit seinem Kugelschreiber, der nur so über seinen Fingern umher tanzt. „Gehe ich einen Todesmarsch?" Er sieht mich nur verwirrt an, da diese Fragen die ich da stelle total irrelevant sind. „Nein, das ist keiner" „Es fühlt sich aber so an...", flüstere ich vor mich hin. „Das tut es immer, wenn es um das Ganze geht" 

Kurze Stille. „Am Dienstag dem 13. März würde ich die Operation durchführen. Es wäre praktisch wenn sie einen Tag früher kommen können, damit wir sie vorbereiten können" Am 13. März? In einer Woche? Aber am 13. März hätte ich den Termin am Gericht. Und dort muss ich aufkreuzen, wenn ich Jayden heile heraus bekommen möchte. „Ginge es nicht später?" „Der Tumor verkleinert sich nicht mehr, das heißt die Medikamente haben dir nur Zeit verschafft. Er wird wieder größer und dann ist es eine Frage der Zeit" „Ich habe einen lebensnotwendigen Termin an dem Tag. Bitte lassen sie ihn einen Tag danach verschieben" „Dieser Termin ist auch lebensnotwendig", macht er mich darauf aufmerksam, mit einer strengen Mine. Ich lehne mich verzweifelt nach Hinten an die Sessellehne. „Überlege es dir und ruf' mich an wenn du deine Entscheidung getroffen hast" Er schiebt mir auf dem Glastisch eine kleine Karte hinüber. Ich nehme sie zögernd in meine Hände und erkenne seinen Namen, seine E-Mail Adresse und seine Telefonnummer darauf gedruckt. „Lassen sie bitte den Termin verschieben", versuche ich es erneuert. „Was ist wichtigerer als ihre Operation?" „Ein Gerichtstermin, ich...ich muss dort sein" Schon langsam bilden sich Tränen und dieses Mal halte ich sie nicht auf. „Es tut mir leid, aber der Termin für ihre Operation ist bereits fix" Anderson hebt sich von seinem Drehstuhl, geht mit weichen Schritten zu der Bürotür und hält sie offen. „Ich habe noch andere Patienten" Mit dieser Aussage deutet er mir den Raum zu verlassen. Mein Rücken ist zu ihm gewendet. Ich stehe von dem unbequemen Stuhl auf und bleibe vor ihm stehen. „Und an den Weihnachtsmann glaube ich schon lange nicht mehr", dabei spaziere ich aus dem Büro hinaus, ohne ein Auf Wiedersehen oder jegliche andere Verabschiedung beiderseits.

Am liebsten würde ich in Jaydens Arme fallen und stundenlang seinen Geruch einatmen. Wie sollte ich ihm das bitteschön überhaupt erklären? Verheimlichen kann ich es wohl kaum. Zeitlich würde es sich auch nicht ausgehen, denn das Gerichtsverfahren könnte den ganzen Tag andauern, genauso auch die Operation.

Vor dem Gebäude, aus dem ich gerade kam, steht ein Kamerateam und um sie sind neugierige Zivilisten versammelt. Ein Nachrichtensprecher steht vor einer der riesen Kameras. „...hier soll die junge Schülerin Dove Edwards behandelt werde. Sie war eine von den zwölf Mädchen, die als Opfer einer rücksichtslosen Wette wurde", erblicke ich den jungen Mann nur berichtend in die Kamera sehen. Die Polizei kann auch nicht ihren Schnabel halten. Jetzt haben sie sogar meinen Namen in die Öffentlichkeit gesetzt.

Schnell ziehe ich meine Jacke an und bedecke meinen Kopf mit der Kapuze, bevor sie zu mir hinüber lugen. Meine herausstehenden blonden Haare stecke ich weiter nach hinten in die Kapuze. Sie fallen sehr schnell unter Menschenmengen auf. Zu sehr darauf konzentriert unbemerkt von dem Krankenhaus zu verschwinden, stoße ich gegen jemanden.

„Oh, entschuldige!", kommt es reflexartig aus meinem Mund. „Macht nichts" Ich helfe dem Jungen seine runtergefallenen Bücher aufzuheben. Das Schicksal und was es mit uns macht entdecke ich den Titel von eines der Bücher. Als ich ihm in sein Gesicht blicke, bin ich verwundert. „Edwards", lächelt er mich an. „Jackson Waller? Was machst du hier?" „Ich besuche meine Cousine hier", er nickt zu dem Gebäude hinter mir und ich verstehe. Wir hatten nie mehr als zwei Wörter miteinander gewechselt. Also entsprechen die Frage, die ich ihm grade gestellt habe und die Antwort darauf, einen neuen Rekord. „Und du...wegen dem Tumor...", beantwortet er dieselbe Frage sich selbst. „Ja...ziemlich beschissen, wenn das jeder....wirklich jeder mitbekommt", scherze ich und zeige dabei auf die Kameras und den Nachrichtensprecher. Ich habe noch immer das eine Buch in der Hand und das Material schmiegt sich in meine Handfläche.

„Es wäre irgendwie beschissen von mir, wenn ich jetzt fragen würde wie es dir dabei geht" „Ja, sehr", lache ich gespielt auf. „Bessert es sich denn wenigstens?" „Muss es ja, was würde die Presse nur sagen", gebe ich sarkastisch von mir. „Man sieht du versuchst das Ganze locker zu nehmen, aber ich sehe es dir an, dass es dir schwer fällt" Ich blicke etwas beschämt herab auf das Buch in meinen Händen. Ein Universum mit nur unserem Planeten und der Sonne sind abgebildet. So als gäbe es nur die Menschheit. Wir sind immer im Mittelpunkt. Es geht immer nur um uns. Wie egoistisch. 

„Meine Cousine liebt Philosophie. Sie kann nicht genug davon kriegen", erzählt er mir, als er bemerkt dass ich mir den Mantel des Buches genauer ansehe. „Ich mag es auch sehr...", ich blicke wieder in sein Gesicht, „Nur seit ich wieder da bin, hatte ich diese Leidenschaft fürs Lesen total vergessen" Ein ehrliches Lächeln ziert meine Lippen. Ich überreiche ihm das Buch und er nimmt es dankend an.

„Was macht deine Cousine hier?", frage ich ihn, ohne darüber nach zu denken, dass es vielleicht zu persönlich ist, da wir uns eigentlich erst gerade eben richtig kennen gelernt haben. „Ach, nichts wildes. Nur eine Blinddarmoperation", antwortet er mir unbekümmert. Wir schweigen uns an. Eine perfekte Gelegenheit ihn in Ruhe zu mustern. Er hat dunkelblonde Haare, die ihm schlaff auf eine Seite bis zu seinem Ohr herunter hängen. So wie ich hat er grüne Augen und eine schmale gerade Linie ziert sein Mund.

„Ich glaube du hast es eilig..." Diesmal zeigt er zu dem Kamerateam, das sich dem Eingang des Gebäudes annähert. „Ja, ich sollte jetzt wirklich gehen", stimme ich ihm zu. „Mach's gut und gute Besserung" Jackson schenkt mir ein warmes Lächeln und marschiert auch zum Eingang. Dort drängelt er sich erfolgreich zwischen die Kameras hindurch. Das Buch, welches ich für ihn aufhob, macht mich neugierig. Der Titel macht mich wissbegierig. Denn momentan habe ich einen großen Bezug zu dem Schicksal, denn es stellte mein Leben und mich selbst auf den Kopf. Und ich ertrage es nicht.

Als ich nach Hause laufe, stelle ich mir durchgehend die Frage: Wie soll ich mich entscheiden? Jayden vor dem Gefängnis wahren und mich selbst in den Tod stürzen oder ich werde Norbert los und besuche Johnson höchstwahrscheinlich im Knast. Er könnte mich vielleicht dann nie mehr wieder berühren. Wir könnten es vielleicht nie mehr wieder. Wie sollte ich Jayden das auch erklären? Er würde nicht zulassen, dass ich mein Leben für seine Freiheit riskiere. Verheimlichen brauche ich gar nicht versuchen, denn es wäre überaus komisch wenn ich auf seine Fragerei, was der Arzt gesagt habe, nicht eingehen würde. Und auch wenn ich könnte, mein Gewissen würde mich quälen. 

After One Year and 91 DaysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt