Wie kann ich es nur wagen

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„Und ihr geht auf die selbe Schule?" „Dad, ja. Hatte ich doch schon gesagt", lacht Jayden und verdreht dabei seine Augen. „Wie kommt es das ihr euch erst jetzt so gut versteht?", fragt Mrs. Johnson. Ich sehe fragend zu ihm. „Ich lag im Koma und als ich zurück kam, haben sich irgendwie unsere Wege gekreuzt", antworte ich mit einem höflichen Lächeln. Okay, eigentlich haben sich unsere Wege schon davor gekreuzt. Mr. Johnson isst genüsslich das Gulasch, das Jayden gekocht hat. Ich weiß, er kann kochen. Seine Mutter nahm nur eine kleine Portion. Sie meint, sie müsse auf ihre Figur in ihrem Alter achten. Ich finde, dass sie es nicht muss. Ansichtssache. Ihr grauer Kurzhaarschnitt lässt sie ziemlich alt aussehen, aber hübsch. Sein Vater hingegen, der neben mir sitzt, trägt eine Brille und sieht daher aus wie ein Wissenschaftler. Doch es kam heraus, dass er Anwalt ist.

„Im Koma? Liebes, was ist dir denn zugestoßen?" Mrs. Johnson ist schockiert. Ich blicke kurz verzweifelt zu Jayden, der gegenüber mir sitzt. Er schenkt mir ein starkes Lächeln. Aber was bringt es mir schon, auch noch seine Eltern anzulügen. Ich muss anfangen offen darüber reden zu können. „Ein Autounfall...", antworte ich. „Da war doch diese Ermittlung vor einem Jahr ungefähr...", kommt nun auch Mr. Johnson zu Wort. Ich bin still und starre auf den vollen Teller vor mir herab. „Du bist das Mädchen, welches...das auch den Tumor hat?", fragt Jaydens Vater nach. Woher weiß er von Norbert? Hat Jayden es ihnen erzählt? Ich blicke zu den geschockten Gesichtern der Eltern. Wie kann ich nur? Zuerst verlieren sie ihre Tochter und dann verliebt sich ihr einziger Sohn in eine Halbtote. Ich blicke entsetzt zu Jayden. „Wieso?!" „Ich habe nichts gesagt, Dove!", verteidigt er sich. „Woher wissen sie es dann?", frage ich ihn mit Tränen in den Augen. „Oh nein, Jayden hat uns nichts erzählt. Wir haben das in den internationalen Nachrichten in Thailand gesehen", mischt sich Mrs. Johnson ein. Ich blicke entschuldigend zu dem Jungen gegenüber mir. Ich bin wie versteinert. Wenn das Kyle, Mike und Sophia mit gekriegt haben, dann brauchen sie nur mehr eins und eins zusammen zählen. So wie es Mr. und Mrs. Johnson getan haben. „Ich habe wirklich gehofft, dass mein Sohn glücklich wird, nachdem Theresa von uns gegangen ist, aber nein...er holt sich ein Mädchen, dass vielleicht dasselbe Schicksal erleiden wird, wie unsere Tochter" Sein Vater blickt mich hasserfüllt an. „Erklär' mir, wieso du unserem Sohn das antust?" „Erik! Spreche nicht so mit ihr!", mischt sich Mrs. Johnson ein. „Nein, ihr Mann hat recht. Wie kann ich es nur wagen mich in ihren Sohn zu verlieben, obwohl ich doch schon fast tot bin", antworte ich mit einer zitternden Stimme, während ich mich vom Stuhl erhebe. Jayden sieht mich mit großen Augen an. Ich habe zum ersten Mal gesagt, dass ich in ihn verliebt bin. Doch darüber kann ich jetzt wenig nach denken, ob ich ihn liebe oder nicht, oder wie es sich anfühlt. „Und wieso ich ihrem Sohn das antue...keine Ahnung. Es muss wohl Liebe sein..." Die ganze Familie ist sprachlos. Ich verschwinde im Badezimmer um meine Medikamente und meinen Pyjama einzupacken. Ohne einen kurzen Blick zurück in die Küche zu werfen, verlasse ich das Haus. „Dove!" Seine Stimme. Egal welche Emotion dahinter liegt, sie ist immer Musik in meinen Ohren. „Mein Vater meint das nicht so" „Doch, das tut er wohl!" „Es tut ihm leid, was er gesagt hat", versucht er mich wieder zurück zu holen. Ich bleibe beim Gitter des Vorgartens stehen und drehe mich zu ihm um. „Jayden...", mit all meiner Kraft versuche ich die Tränen hinunter zu schlucken, „Dein Vater hat recht. Was ich dir antue, dass muss aufhören bevor noch überhaupt was begonnen hat..." Ich kann den Schmerz in seinen Augen ablesen. Er will mir widersprechen. Ich wünsche mir, dass die ganze Welt mir widersprechen würde, aber er und ich wissen, dass wenn ich plötzlich von der Bildfläche verschwinde, es ihn zerstören würde. Sein Vater, Mr. Johnson hat das erkannt.

Es tut mir im Herzen weh, Jayden so verletzt zu haben, aber es ist besser so. Und ob ich mich wirklich in ihn verliebt habe, kann schon sein. Wenn das Verliebt sein darin besteht, dass man in der Nähe der Person ein Kribbeln im Bauch hat und man sich in seinen Armen genauso geborgen fühlt, wie bei seiner eigenen Mutter und man keine Beschreibung dafür findet, wie sehr man ihn mag, dann wird es wohl echte Liebe sein. So war es doch auch bei Max... Und ein stechender schmerz durchzieht meinen Bauch, als ich an ihn denke. Wie konnte er mich nur liegen lassen...


Wieder stehe ich vor dem Badezimmerspiegel, nur ist es Montagmorgen. Die letzten Nächte musste ich schlaflos überstehen, denn mich beschäftigte, dass ich ihn abgewiesen hatte, obwohl wir davor noch herum geknutscht haben. Über das ganze Wochenende erhielt ich keine Anrufe oder Nachrichten und Sophias SMS hatte ich noch immer ignoriert.

„Mrs. Green, könnte ich einen Augenblick ihren Unterricht unterbrechen", fragt Mr. Cole meine Mathematiklehrerin und tretet in den Raum, als sie ihm zu nickt. „Ist hier die Schülerin namens...", mein Geschichtslehrer sucht den Namen auf seiner Liste, „... Dove Kathleen Edwards anwesend?" Er sieht in die Menge. Ich wusste gar nicht, dass meine Mutter mich auch mit meinen zweiten Namen an dieser Schule angemeldet hat. 

„Bestimmt wegen Johnson", scherzt neben mir Kyle. Er ist noch immer sauer und er liebt es darauf herum hacken zu können. „Hier" „Edwards, bitte begleiten sie mich" Ich nicke gehorsam und folge Mr. Cole aus dem Klassenraum.

„Ist es wegen der letzten Schulstufe, da ich nicht anwesend war..." „Nein, darüber musst du dir absolut keine Sorgen machen", er lächelt mich aufmunternd an. „Die Polizei will nur mit dir sprechen, mehr weiß ich selbst nicht" „Die Bull'n?", er sieht mich wegen dieser außergewöhnlichen Wortwahl streng an, „Entschuldigung, ich meinte die Polizei. Was wollen die von mir?" „Wie gesagt, mehr weiß ich selbst nicht" Wir bleiben vor der Mensa stehen. „Da drinnen sind die zwei Herren. Ich bitte dich, alles zu sagen was du weißt und die Wahrheit..." Mein Geschichtslehrer sieht mich eindringlich an. Worum es wohl geht? Vielleicht um die Wette und den Unfall! Aber klar doch. Natürlich würde die Polizei auch das Opfer der ganzen Tat besuchen und befragen. Wie konnte ich das nicht voraussehen? „Das werde ich", versichere ich ihm. Ich werde die ganze Wahrheit sagen, auch wenn ich lügen werde wie gedruckt.

„Ms. Edwards?", fragt einer der Polizisten. Beide tragen Zivilkleidung, aber ich kann ihre Schusswaffen an beiden ihrer Hüften sehen. Der etwas ältere Herr hat zerzauste graue Haare und der andere Polizist ist etwas mollig. „Ja, das bin ich" „Setz' dich", bittet mich der Ältere und deutet auf die Bank gegenüber ihnen. Meine Hände schwitzen und die Nervosität steigt an, obwohl ich keinen Grund dazu habe. Nachdem ich mich gesetzt habe, wurde mir dann bewusst, welche kniffligen Fragen sie mir stellen würden. Vor allem wenn sein Name fallen sollte, weiß ich nicht ganz so recht, was ich sagen sollte. Sollte ich ihn schützen oder ahnungslos tun? Oder ihn doch entlarven? „Nun, sagt ihnen der Name Jayden Christopher Johnson etwas?" Die beiden Polizisten sehen mich neugierig an. Mir stockt der Atem, denn sagen tut der Name mir schon etwas, nämlich einiges. Doch der Drogen- und Waffenhandel, sowie die Schlägerei mit Max, darüber sollte ich lieber nichts erwähnen.


After One Year and 91 DaysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt