6. Spielmann und Prügelknabe

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„Herr..." Luzis Flüstern holte den Grafen aus seinen grimmigen Gedanken.

„Hm?" er hatte noch nicht einmal bemerkt, dass sein Begleiter ihn nicht mit seinem Namen angesprochen hatte. Aber er merkte, dass Luzi nicht antwortete und sah deswegen nach und kaum hatte er sich zu dem Kleineren umgewandt, rutschte dieser in eine andere Position.

Anstatt auf seinem Hintern sitzen zu bleiben, positionierte er sich auf die Knie, sah den Grafen nicht an, sondern stützte sich zusätzlich noch auf seine Hände und beugte sich dann soweit hinunter, bis seine Stirn den Boden zu Aleas Füßen berührte.

„Vergebt mir, Herr", bat Luzi, „Ich... ich habe in Zorn und Verzweiflung gesprochen, dennoch... das ist keine Entschuldigung. Und... und der Schwere meiner Taten bin ich mir auch bewusst. Dementsprechend werde ich mich jeder Eurer Strafen unterwerfen."

Ein Stich ging durch Aleas Brust, genau dort, wo sein Herz schlug. Genau dieses ängstliche Verhalten, diese Unterwerfung, das war genau das, was er nie wollte. Ihn hatte es immer angewidert, wenn er in andere Städte gereist war und das Volk sich genau so Verhalten hatte. Ein gewisser Abstand, ein gewisser Respekt war ja schön und gut, doch eine Terrorherrschaft endete in den seltensten Fällen gut. Irgendwann erhob sich das Volk und es gab auch immer Tote.

Dazu kam auch noch, dass Luzi zu seiner Familie gehörte und als solcher sollte er sich nie so unterwerfen müssen. Er, Alea, war schließlich kein Tyrann.

Anstatt zu antworten und bei diesem Trauerspiel mitzumachen, drehte Alea sich von dem Knieenden weg und schritt den Weg zurück, den sie eben gekommen waren.

Luzi schien zu bemerken, dass der Verkleidete sich entfernte. Denn erst hörte der Graf, wie sich der Spielmann aufrichtete, dann rief Luzi: „Herr?"

Tatsächlich blieb der Braunhaarige stehen. Er kniff die Augen zusammen, nahm einen tiefen Atemzug und drehte sich dann ein Stück nach hinten. „Wer bin ich?" fragte er.

Verwirrt sahen blaue Augen ihn an. Luzis Stirn runzelte sich während er über diese Frage nachdachte. Er schien sich schließlich für eine Antwort zu entscheiden und öffnete den Mund „Der Graf natürlich und", aber der Edelmann schnitt ihm das Wort ab.

„Und doch nanntest du mich ‚Bruder' heute. Sollte ein Bruder den Anderen fürchten? Sollte ein Bruder sich dem Anderen willenlos unterwerfen? Nein! Sind wir nicht eine Familie? Habe ich nicht oft genug beteuert, dass du mir ein treuer Freund bist? Und dennoch...", er hielt nur ganz kurz inne, „dennoch fürchtest du mich und trittst meine Worte mit Füßen. Bin ich nicht ein ehrlicher Mann? Habe ich dir jemals einen Grund dazu gegeben, mich zu fürchten? Habe ich dir jemals eine Strafe angedroht, geschweige denn dir auferlegt? Hältst du mich wirklich für so einen Tyrannen?"

„Herr", erwiderte Luzi schwach. In seinen Augen lag Reue, Scham und noch viel mehr. Er schien weitersprechen zu wollen, doch der Graf ließ ihn auch weiterhin nicht sprechen.

„Wenn dem so ist dann... dann nimm deine Schwester, nimm deine Spielmänner und verlasse meine Stadt!" seine Stimme war plötzlich rau und kalt, „Denn sicherlich willst du nicht, dass deine Schwester einen Tyrannen heiratet und dass deine Familie unter solch einer Herrschaft leidet."

Der Rotschopf war sprachlos und sah den Verkleideten nur mit großen Augen und halboffenem Mund an. Alea schnaubte verächtlich, schüttelte enttäuscht den Kopf und wandte sich wieder um, um zurück zu seinem Anwesen zu kehren. Sein Herz schmerzte auch weiterhin und er spürte den Druck hinter seinen Augen.

Vielleicht war auch er gerade zu weit gegangen. Doch wenn Luzi ihn wirklich so sah, dann wäre es wohl wirklich das Beste, wenn er, seine Spielleute und Maria die Stadt verließen. Er würde ihnen genügend Gold für eine lange Zeit und für eine Unterkunft woanders mitgeben, aber sonst würde er sie ziehen lassen. Egal, wie schwer ihm das auch fallen würde. Denn er liebte Maria aus tiefstem Herzen und mit jeder Faser seines Wesens. Aber wenn er wirklich so tyrannisch war, zu adlig war... dann verdiente er so eine wundervolle, intelligente und bildhübsche Frau an seiner Seite nicht. Dann verdiente er wirklich nur so eine heimtückische Hexe, wie Gianna es doch war.

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