Eigentlich vermied Luzi derlei Zusammenkünfte. Selbst als sein Vater noch bei ihnen gewesen war, hatte Luzi das Zusammensitzen am gemeinsamen Esstisch vermieden. Doch hier saß er nun, zu Aleas Linken, gegenüber seiner Schwester. Der Graf selbst hatte den Platz am Kopfende eingenommen und lachte ausgelassen über die Geschichte, die Jean und Till gemeinsam erzählten. Auch Maria lachte, jedenfalls bis ihr Blick den von Alea traf und dieser sie sanft anlächelte. Fast schon schüchtern griff er über die Tischplatte und nahm die Hand der Rothaarigen und verschränkte ihre Finger miteinander, was ihr die Röte ins Gesicht trieb. Sie waren schon süß zusammen, fand Luzi.
Und plötzlich wusste der kleine Spielmann auch, warum er dieses Beisammensitzen nie gemocht hatte. Damals war es immer eine unangenehme Pflicht gewesen und hatte ihm jedes Mal von neuem daran erinnert, wie schwer die Zeiten doch gewesen waren. Denn damals war der Tisch nicht einmal annähernd so gut und vielseitig gedeckt gewesen, wie die Tafel des Grafen. Damals waren sie froh über jedes noch so kleine Stück Brot gewesen, das sie hatten auftreiben können.
Und dann natürlich noch der Zwang. Damals hatte er mit seinen Verwandten an der Tafel gesessen. Doch heute saß er zusammen seiner auserwählten Familie. Eine Familie, die unterschiedlicher kaum sein könnte.
Drei Spielmänner, von denen Einer aus adligem Hause stammte und ein ungewollter Bastard war, und ein Anderer der inoffizielle König der Spielleute. Ein junger Kutscher, der noch nicht viel von der Welt gesehen hatte, aber umso mehr von den Tieren wusste, die er mit Fürsorge betreute. Eine Frau, aus dem gemeinen Volke, die ihr Herz an einen Adligen verloren hatte und Schwerster eines Spielmanns war. Und ein angesehener Graf, der sie dennoch Alle gleichwertig und fast schon ebenbürtig behandelte, eben wie eine Familie. Und Luzi war sich des Privilegs, welches man ihm geschenkt hatte, durchaus bewusst. Nicht jeder durfte den Grafen mit seinem Geburtsnamen und ohne Titel anreden, weswegen der rothaarige Spielmann dies auch nur tat, wenn sie nicht an der Öffentlichkeit waren.
Jemand schnippte mit den Fingern direkt vor seinem Gesicht und der rothaarige Dudelsackspieler zuckte vor Schreck heftig zusammen und blickte den Verantwortlichen verwirrt und ein wenig bedröppelt an.
„Willkommen zurück", grüßte Alea. Er hatte den Schalk in den Augen und sah ungemein amüsiert aus. „Worüber hast du nachgedacht, dass du so ein finsteres Gesicht machen musstest?"
„Die Vergangenheit", antwortete Luzi kryptisch und wandte sich seinem Teller zu, auf dem er lustlos umher stocherte.
„Hm", der Graf wirkte nachdenklich. Fast so, als überlegte er seinen nächsten Schritt. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Reden den Kopf frei macht und das Herz erleichtert."
„Das mag vielleicht bei dir zutreffen, aber nicht bei mir." Die Antwort war ein wenig unfreundlicher ausgefallen als geplant und es tat dem Spielmann auch sofort leid, als sich die Gesichtszüge des Adligen verhärteten.
„Verstehe." Alea wollte sich bereits wieder gerade hinsetzen und von ihm weglehnen, doch da hatte Luzi blitzschnell nach seinen Unterarm gegriffen.
„Verzeih! Das war nicht so gemeint... Ich... es ist nur... ich rede nicht gern darüber und..." doch er wurde je unterbrochen, von einem aufgebrachten Stimmgewirrwarr aus der Eingangshalle.
Die Blicke der Anwesenden zuckten zur Tür, die kurz darauf aufgerissen wurde und laut gegen die Wand schlug. Im Türrahmen stand, wie Luzi fand, eine schwarzhaarige Harpyie. Die Wachen des Grafen eilten hinterher, schienen mit der ganzen Situation aber gänzlich überfordert zu sein.
Die blauen Augen der Frau waren eiskalt und streiften einmal langsam durch den Raum, wobei sie verdächtig lange an Maria und Luzi hängen blieben, bis sie dann auf dem Grafen zum Liegen kamen.
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Choix des Dames
Hayran KurguFortsetzung zu „Hochzeitstanz", ich würde empfehlen, diese FF zuerst zu lesen... Auch jetzt, nachdem Graf Alea seine Dämonen durch die Hilfe seiner Vertrauten überwunden hat, lässt ihn seine Vergangenheit nicht in Ruhe. Und nun, bedroht sie nicht n...