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 Krankenhäuser waren so ungefähr die schlimmsten Orte auf Erden. Waren sie schon immer und würden sie auch immer sein. An jedem freien Fleckchen hockten Kranke und Alte. Die Einrichtung sollte "hell" wirken und war dabei doch einfach nur kalt, ja beinahe schon abweisend. Wenn man die Flure entlang ging, wusste man nie, ob nicht gerade jemand hinter einer dieser Türen furchtbare Schmerzen erlitt oder sogar starb. Und diese ständige Fragerei von anderen Besuchern, von Schwestern und Pflegern, von Ärzten. Oder dieser eklige Geruch, der dort immer an allem zu kleben schien.

Aus diesem Grund war ich auch nicht gerade begeistert, dass das Erste, was ich wahrnahm, der Gestank nach Desinfektionsmittel war.

Ich merkte, wie ich langsam aus meinem Dämmerzustand, aus meinem persönlichen Frieden wieder hervor gezogen wurde. Wie meine Sinne begannen sich zu regen. Wie ich wieder lebte. Ich spürte das Kratzen des Lakens, des Kissens, der Decke. Ich hörte ein penetrantes Piepen, welches verhinderte, dass ich wieder in einen tiefen Schlaf fallen konnte. Die Ahnung, was geschehen war, nachdem ich das Bewusstsein verloren hatte, regte sich tief in meinen wirren Gedanken. Ich wusste, wo ich war. Ich wusste, warum ich dort war. Und ich wusste, dass ich so schnell wie nur irgend möglich wieder von dort verschwinden musste.

Mit Mühe öffnete ich meine Augen, die ich jedoch sofort wieder zukniff, weil das grelle Licht der Deckenlampe mich blendete. Ein paar Mal blinzelte ich, gewöhnte mich an die Helligkeit im Raum, bevor ich die Augen endgültig aufschlug. Ich sah mich nicht um, wusste ich doch, was ich sehen würde. Ein Zimmer mit weißen Wänden, Bettwäsche in weiß, ein Schrank, ein Rolltisch neben dem Bett, ein Monitor, der meinen Herzschlag überwachte, ein Tropf, um mir Schmerzmittel zu verabreichen, vielleicht auch andere Medikamente. Ich kannte diesen Anblick. Wusste genau, was das bedeutete. Ich lebte. Ich wurde rechtzeitig von Ärzten behandelt, die mein Blut daran hinderten weiter auszutreten. Der Verband, der sich um meinem Unterarm und meinem Handgelenk erstreckte, bewies es. Ich brauchte mich also nicht umzuschauen. Das Wichtigste wusste ich schon.

>Du bist also wach< Die Stimme passte nicht ins Bild. Sie war mir bekannt, hätte aber nicht da sein dürfen. Ein Arzt, eine Krankenschwester, ja. Sogar die Anwesenheit meiner verfluchten Mutter würde mehr Sinn ergeben. Aber ausgerechnet er?

Ich ließ meinen Blick langsam zu ihm schweifen, nur um zu sehen wie er, mal wieder an der Wand angelehnt, mit verschränkten Armen nicht weit von meinem Bett weg stand und mich fast schon nachdenklich betrachtete. Ohne ihm eine Antwort zu geben, sah ich wieder an die Decke. Ich wollte ihn nicht hier haben. Streng genommen wollte ich ihn nicht mal in meinem Leben haben. Wie er es überhaupt in das Krankenzimmer geschafft hatte, wollte ich lieber erst gar nicht wissen. >Ich denke, wir wissen beide, dass nicht ich dich gefunden habe und auch nicht ich derjenige war, der dafür sorgte, dass noch rechtzeitig ein Rettungsteam vor Ort war, um dir zu helfen< Schon wieder dieses Wort. „Helfen". Allmählich bekam ich das Gefühl, Alan verstand nicht wirklich, dass ich unter Hilfe etwas komplett anderes verstand, als jemanden davon abzubringen, das zu tun, was er wollte.

Als ich immer noch keine Reaktion von mir gab - was hätte ich auch sagen sollen? „Ja, ich weiß, dass mich einer von Luzifers Dämonen gefunden und sich meine Strafe dadurch nur noch verlängert hat?" Alan wusste bereits schon zu viel über meine derzeitige Lebenssituation, da brauchte ich ihm die Informationen ja nicht gleich entgegen schleudern – stieß er sich von der Wand ab, um auf mich zu zu kommen. Er ließ sich auf der Kante des Krankenbettes nieder und sah mich eine Weile einfach nur an, bevor er seufzte und meinte: >Okay, Angel, ich will ehrlich mit dir sein. Mir ist es, allgemein gesprochen, vollkommen scheißegal, was du mit deinem Leben anstellst. Ob du es lebst, verkürzt oder vollkommen verunstaltest geht mir völlig am Arsch vorbei. Es ist dein Leben und du kannst damit machen, was du willst. Das einzige Problem dabei ist, dass du mir schlecht helfen kannst, wenn du tot bist. Und genau aus diesem Grund will ich dir einen Deal vorschlagen<

>Und der wäre?< Es waren meine ersten Worte, die ich sprach und es erschreckte mich nicht einmal wirklich, wie heiser meine Stimme in meinen Ohren klang. Sie war kratzig und rau. Und doch sah mich der Mann vor mir an, als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen, dass ich mit dieser einzigen, barschen Frage ihm Bestätigung verschaffte. Ich würde zu hören. Ablehnen könnte ich danach immer noch und ich war ehrlich gesagt nicht scharf darauf, mich keine Ahnung wie lange noch durch meine ganz persönliche Hölle zu kämpfen. Ich wollte einfach nur meinen Frieden. Körperlich wie seelisch. Mehr nicht. Und momentan gab mir den nicht mal der Teufel höchstpersönlich, nachdem mich bereits der ach so gute, großherzige Gott abgewiesen hatte.

>Ich kenne dich nicht, Angel. Ich kenne deine Schulakte, deine Polizei- und Krankenakte. Ich kenne deine Familiengeschichte. Aber dich persönlich kenne ich nicht. Trotzdem ist mir bewusst, dass du niemanden helfen würdest, nur weil er dir schon einmal geholfen hat. Der Engel, der dir bei deiner Geburt das Leben rettete, steht just in diesem Moment vor Gericht und muss sich verantworten. Ihm droht der Tod und obwohl du die Chance hast, ihn zu retten, willst du es nicht. Weil du denkst, dass er auch dich nicht gerettet hat. Weil du denkst, dass er weder dir noch deinem Vater damals geholfen hat. So weit verstehe ich die Situation. Aber an diesem Prozess hängt mehr als du denkst. Mehr Leben. Und einige dieser Leben haben dich vielleicht nicht gerettet, aber zumindest dir mehr Zeit verschafft. Deinem Vater mehr Zeit gegeben. Mit dir. Und somit wären wir bei meinem Deal. Es ist kein Vertrag wie du ihn mit Luzifer hast. Und genau genommen ist es für dich eine Win-Win Situation - <

>Spuck's endlich aus, Alan<, unterbrach ich ihn unwirsch.

>Ich will, dass du mit mir mit kommst. Nicht zu dem Prozess. Ich will mit dir zurück zu deinem Anfang. Zurück in deine Heimat. Ich möchte mehr über dich erfahren, Angel, ich möchte die Stadt sehen, die dich nun schon zum dritten Mal dazu gebracht hat, zu versuchen, dir das Leben zu nehmen. Was du mir dort erzählst, was du mir dort zeigst, bleibt allein dir überlassen. Ich möchte nur, dass du mit mir dort hin gehst. Und das Grab deines Vaters besuchst<

Zwischen Himmel und Hölle (slow updates)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt