4th

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Sie sah schlimm aus. Verheultes Gesicht, nasse Hosenbeine, verstrubbelte Haare. Ihre Augen waren ganz verquollen, blickten mich dennoch mit einem so seltsamen Ausdruck an, dass ich mich insgeheim fragte, ob sie sich vor ihrem "Besuch" einen Schuss verpasst hatte. Mit anderen Worten: Ich wollte die Tür einfach wieder schließen. Leider hatte sie aber wohl etwas dagegen, denn bevor mein Gehirn mit den Ereignissen überhaupt hinterher kam, stand sie schon direkt vor mir und bohrte mir einen ihrer Finger in die Brust. Mehr aus Reflex als aus Angst machte ich einen Schritt rückwärts ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. Sie folgte mir nicht, sondern blieb genau da mitten in der Tür stehen. Ihre Augen glänzten von Tränen und Wut, während ihre Atemzüge total abgehackt waren. >Dir ist klar, dass du dich gerade strafbar machst?<, fragte ich sie unbeeindruckt von ihrem Auftritt, worauf sie mit einem irren Grinsen antwortete:

>Das ist mir sowas von scheißegal. Sollen sie mich doch wegsperren, solange du nur meinem Bruder hilfst< Offenbar hat sie über Nacht den Verstand verloren, dachte ich mir, während ich mich fragte, ob ich nun Angst bekommen sollte. Ich entschied mich dagegen.

>Wie oft hab ich es dir jetzt schon gesagt? Ich helfe niemanden<

>Oh doch, du wirst. Und wenn ich dich dazu zwingen muss<, meinte sie mit tiefer Stimme, die wohl drohend wirken sollte. Tat sie aber nicht. Nicht mal als sie einen weiteren Schritt auf mich zumachte um mich zu bedrängen.

>Ich lass mich nicht zwingen, Mia. Geh jetzt<

>NEIN!<, brüllte sie so laut und schrill, dass ich mich schon fragte, wie lange die Fensterscheiben das wohl aushalten würden. Bestimmt hatten schon ein paar Gläser einen Sprung. >Ich lasse nicht zu, dass so ein egoistisches Miststück wie du meinen Bruder sterben lässt! Was ist bitte so schlimm daran einfach ein paar Sätze zu sagen?! Es geht um sein Leben, du Biest! Du MUSST ihm helfen!<

>Mia!<, rief da plötzlich eine männliche Stimme hinter ihr, bevor ich sie aus dem Flur schubsen konnte. Also wirklich, ich ließ mich doch nicht einfach so als Miststück abstempeln. Auch wenn ich es war, aber dazu hatte Mia nun mal absolut kein Recht. >Hör auf damit. Lass sie in Ruhe< Mia wirbelte herum.

>Halt die Klappe! Ich versuche hier dein Leben zu retten! Im Gegensatz zu dir habe ich noch nicht aufgegeben!< Aha, also ist das ihr Bruder. Ich besah ihn mir genauer und kam zu dem Schluss, dass ich ihn noch nie gesehen hatte. Und selbst wenn, dann wäre er mir nie im Leben aufgefallen, da an ihm nun wirklich nichts außergewöhnliches war. Braunes Haar, Jeans, T-Shirt, normale Statur. An solchen Typen war ich bestimmt schon tausend Mal vorbei gelaufen, ohne sie auch nur zu registrieren.

>Es reicht<, erwiderte er nur ruhig, während er sie am Arm fasste. Fast schon grob zog er sie zu sich vor die Haustür. >Wir gehen. Tut mir leid wegen der Umstände< Letzteres sagte er zu mir, woraufhin ich nur gleichgültig mit den Schultern zuckte, während Mia in seinem Schraubstockgriff hysterisch kreischte und um sich schlug. Ihm schien es egal zu sein, denn er nickte mir nur zu, bevor er, Mia hinter sich her schleifend, das Grundstück verließ. Komische Familie. Kopfschüttelnd schloss ich die Tür und begab mich wieder ins Wohnzimmer. Wenn ich daran dachte, dass ich heute wieder arbeiten musste, hätte ich mich am liebsten krank geschrieben. Von Verrückten hatte ich für heute genug.


...

Natürlich war ich trotz meiner immer fehlenden Motivation pünktlich in The Boom zu meiner Schicht erschienen. Luzifer würde mir wortwörtlich die Hölle heiß machen, sollte ich blau machen und da ich absolut keinen Drang dazu verspürte, meine Emotionen in den nächsten dreißig Jahren zurückzuerlangen, ging ich zur Arbeit, obwohl mir beim genaueren Betrachten diese Schlussfolgerung vollkommen idiotisch vorkam. Schließlich konnte ich gar keinen Drang verspüren, solange ich nichts fühlte. Meine Denkweise wird immer paradoxer... Mia tauchte zu ihrem Glück nicht auf. Und wenn sie doch gekommen wäre, hätte ich sie hochkant wieder raus geworfen. Sie ging mir allmählich viel zu weit bei der angeblichen Rettung ihres Bruders, der mir am Vormittag gar nicht vorkam, wie jemand der bald hingerichtet werden würde. Vielleicht hat er sie ja mitgenommen und ich sehe sie nie wieder. Das wäre zwar zu schön um wahr zu sein, aber mir wäre es recht gewesen. Hätte Luzifer sie erwischt, wäre das ganze nicht so rosig ausgegangen. Er wäre ausgerastet und bei diesen Ausrastern neigte er dazu Emotionen in mir wach zu rufen, die ich absolut nicht wollte. Bevor das also passierte, würde ich Mia eher ins Krankenhaus prügeln. Sie wäre immerhin nicht die erste. >Angel, du hast da einen Verehrer<, meinte auf einmal Lin, die kleine Asiatin, die schon vor mir hier gearbeitet und mich auch in alles eingeführt hatte. Normalerweise unterhielten wir uns nur über das Nötigste, weshalb ich davon ausging, dass der Typ, von dem sie sprach, schon etwas besonderes sein musste.

>Wen denn?<, fragte ich vorgetäuscht neugierig nach. Um ehrlich zu sein, wollte ich lediglich sicher gehen, dass ich jetzt nicht den Bruder an der Backe hatte anstatt seiner Schwester.

>Er steht draußen an der Laterne und scheint dich mit seinen Augen quasi auffressen zu wollen<, erwiderte sie und hob dabei süffisant eine Augenbraue, wie um mich zu fragen, ob da mit dem was lief. Was nicht der Fall war, da ich doch stark bezweifelte, Luzifer da draußen stehen zu sehen. Dennoch drehte ich mich um, um mir diesen Typen doch ein mal anzusehen. Dunkle Haare, dunkle Kleidung, relativ groß und, so weit ich das sagen konnte aus der Entfernung, gar nicht mal so unattraktiv. Als er jedoch bemerkte, wie ich ihn ansah, verschwand er schneller, als man hätte "Piep" sagen können. Ich stöhnte auf. Nicht das auch noch... erst Mia, dann ihr Bruder und jetzt auch noch ein Stalker. Luzifer wird begeistert sein, wenn er wieder da ist. 








Zwischen Himmel und Hölle (slow updates)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt