Meine Gedanken glichen einem dunklen Strudel. Zahlreich, immer in Bewegung, ruhelos. Es waren Bilder, Wortfetzen aus Gesprächen, Gefühle. Und sie ließen mich einfach nicht los, nicht einmal im Schlaf.
Es war, als wäre ich gefangen. Ein Gefangener in meinem eigenen Kopf, meines Schlafes. Ich fühlte mich, als würde ich an eisernen Gitterstäben rütteln, schreien und kreischen wie eine vollkommen Verrückte, bettelnd, man möge mir heraus helfen, die Qualen beenden. Das Krankenzimmer, der Friedhof, unser Haus. All die leeren Flaschen, die getrockneten Flecken auf dem gelben Teppich in meinem Zimmer. Ich hörte die Stimmen, die dachten, ich würde sie nicht hören, die sich tuschelnd darüber unterhielten, wie lange es wohl dauern würde, bis auch ich im Irrenhaus landen würde. Hörte die Stimme der Frau, die mich eigentlich hätte schützen, behüten sollen, wie sie zischte, es ginge sie nichts an, was ich den lieben langen Tag da draußen trieb. Hörte eine warme Stimme, die viel sanfter hätte klingen müssen, durch das Telefon, die mir immer wieder sagte, ich solle nicht so streng mit den Menschen sein. Ich solle nicht weinen, er wäre ja bald wieder bei mir. Es würde alles wieder gut werden. Doch das war eine Lüge. Eine Stimme schrie es immer und immer wieder durch den Strudel hindurch, so laut, dass es das Tosen übertönte, das hier herrschte. LÜGE. LÜGE. LÜGNER. Immer wieder und wieder.
Unter mir schien der Boden nur so aus Blut und Wasser zu bestehen, Messer blitzten hier und da auf, doch ich bekam einfach keines zu fassen. Ich wurde bestraft, bestraft dafür, dass ich es überhaupt jemals jemanden erzählt hatte. Dass ich seine Geschichte nicht für mich behalten hatte. Es nicht wie ein Geheimnis gehütet hatte. DEINE SCHULD. ALLES DEINE SCHULD. Diese Worte dröhnten, erfüllten das große, schwarze Nichts um mich herum. Waren lauter als alles andere. Und ich wusste, dass es die Wahrheit war. Dass meine Mutter recht gehabt hatte. Mit einfach allem, was sie mir jemals an den Kopf geworfen hatte. Sie hatte nur die Wahrheit gesagt, während er nur log, um mich zu schützen und vielleicht auch ein Stück weit sich selbst. Aber es hatte nichts gebracht. Nicht für sie. Nicht für ihn. Nicht für mich.
Es tat weh. So weh. Zu wissen, was ich getan hatte. Weshalb man es nicht bemerkt hatte. Wäre ich nicht gewesen, wäre alles noch gut oder zumindest wäre er noch am leben. Er wäre gesund, munter, vielleicht sogar mit ihr zusammen glücklich irgendwo anders als in dieser grausamen, kalten Stadt, die jeden noch so kleinen Lichtfunken verschlang, unter sich begrub. Ich konnte sein Lachen hören. Sein freies, frohes Lachen, welches er mir so oft geschenkt hatte. Es schien mich zu verhöhnen, spendete keinen Trost, keine Glückseligkeit mehr, stach in meinen Ohren bis hin zu meinem Herzen, das sich krümmte und schrie, in unendlichem Schmerz, der darin gipfelte, das es zerbarst unter der Gewissheit, ihn nie wieder zu sehen. Nie wieder von seinen Armen umfangen zu werden. Nie wieder seiner beruhigenden Stimme zu lauschen.
Die Gitterstäbe, kalt und rau, kamen immer näher, engten mich ein, hielten mich auf kleinsten Raum gefangen. Da hinter war nichts, nichts als Dunkelheit und Schatten, aus der eine Stimme zu mir herüber drang. Ich konnte, wollte sie nicht verstehen, brüllte unter Qualen, presste meine geballten Hände auf meine Ohren, wiegte mich hin und her, während die grauen Streben mich schon fast berührten.
>Es tut mit leid! Ich wollte das nicht! Ich wusste doch nicht, was ich tat! Es tut mir leid! Dad! Es tut mir leid! ES TUT MIR LEID!< Immer und immer wieder schrie ich es in die Leere hinter meinem Gefängnis, übertönte dabei die andere Stimme, ohne meinen Schmerz zu lindern, ohne mein Gewissen beruhigen zu können. Ich schrie einfach weiter und weiter, bis ich mir sicher war, mir meine eigene Stimme nur noch einzubilden. Dass ich in Wirklichkeit klein und hilflos und schwach auf dem Grund hockte, ohne auch nur einen Ton über meine Lippen zu bringen.
*
Es war eigentlich eine ruhige Fahrt gewesen. Fand Alan zumindest. Alles war genau so gekommen, wie er es geahnt hatte, inklusive der niederen Dämonen, die Angel bewacht und sie beide verfolgt hatten. Er hatte damit gerechnet, dass Luzifer sie nicht vollkommen unbeobachtet zurücklassen würde. Auf so eine Idee wäre er niemals gekommen. Und auch ihre Kooperation war nicht wirklich überraschend gewesen, nicht nach ihren Selbstmordversuch. Dass dann auch noch ihre Tabletten so gut anschlugen, hätte ihm eigentlich zu denken geben müssen, immerhin war noch niemals in seinem doch recht langem Leben alles so glatt verlaufen. Aber er hatte sich in Sicherheit gewogen, hatte sie dazu gebracht, ihrer Müdigkeit nachzugeben, in der Hoffnung, er könnte ein paar Stunden so fahren wie er es sonst gewohnt war, wenn er niemanden neben sich auf dem Beifahrersitz hocken hatte. Ja, er hatte noch nicht einmal geschaltet, als sie begann sich langsam auf ihrem Sitz zu bewegen. Deshalb konnte er auch niemand anderem als sich selbst die Schuld dafür geben, dass er wegen ihr fast seinen Wagen zu Schrott gefahren hätte.
Der Schrei, den sie plötzlich und ohne großartige Vorwarnung ausstieß, ließ ihn abrupt das Lenkrad rumreißen, und dann so schnell wie ihm möglich war auf die Bremse treten, sodass die Motorhaube nur ganz knapp vor dem nächst besten Baum, einer Eibe, zum Stehen kam. Sich relativ schnell von dem Schock erholend, drehte er sich wütend in ihre Richtung, bereit, sie so heftig anzubrüllen, wie er es schon lange nicht mehr bei jemanden getan hatte, als er bemerkte, dass sie nicht nur noch immer schrie, als würde ihr ihre Eingeweide bei lebendigem Leibe herausgerissen, sondern sie noch immer im Land der Träume verweilte.
Schnell befreite er sie von ihrem Sicherheitsgurt und war schneller aus dem Auto heraus, als ein Mensch es gedurft hätte. Er riss ihre Tür auf, hob sie hoch, was durch ihr Hin und Her - Gewerfe gar nicht mal so einfach war, und legt sie auf den feuchten Waldboden. Kniend rüttelte er an ihren Schultern, rief ihren Namen, verpasste ihr sogar die ein oder andere Backpfeife, doch sie weigerte sich strickt, wieder zur Besinnung zu kommen. Ihm wurde relativ schnell bewusst, dass sie es nicht allein aus ihrem Traum heraus schaffte, zögerte nur noch wenige Sekunde, in denen sie sich auf dem Boden wälzte und noch immer aus Leibeskräften schrie, bevor er, nicht sicher ob er das wirklich tun sollte, seine Fingerspitzen an ihre Schläfen hielt. Konzentriert schloss er seine Augen, suchte in einer tiefen Dunkelheit nach dem Licht und fand es nur noch leicht flackernd und am Boden vor. Er fixierte das zittrige Flattern und murmelte mit fester Stimme in seinem Kopf: >Wach auf, Angel<
Er stieß sich von ihr weg, als Angel abrupt die Augen aufriss, wirr umher sah, nichts wirklich zu sehen schien. Sie keuchte, atmete schnell, schien ihn nicht zu bemerken, nicht wahrzunehmen. Sie lag noch immer auf der kalten Erde. Vorsichtig berührte er sie an der Schulter, woraufhin sie schreckhaft zusammenzuckte, aber zumindest zu ihm herüber sah. Es war, als hätte sie eben erst erkannt, dass sie nicht alleine war. Und bevor Alan auch nur einen Ton von sich hätte geben können, lösten sich die ersten Tränen aus ihren Augen und flossen unkontrolliert ihre Wangen hinunter, wo sie schlussendlich in ihrem Haar und dem Boden verschwanden.
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Zwischen Himmel und Hölle (slow updates)
ParanormalEngel. Wenn man dieses Wort hört, denkt man sofort an gewaltige Flügel, die Männer und Frauen, die Heerschar Gottes, durch die Lüfte tragen oder an eine schützende Hand, die über einen gehalten wird... Angel hingegen, der dieser Name mit auf den We...