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Ich war nicht dumm.
Noch war ich naiv.
Vielleicht war ich es mal gewesen, aber die Geschehnisse der letzten Zeit lagen wie ein Schatten über mir und verdeckten alles, was davor war. Auch wenn ich das Gefühl hatte, mich an etwas erinnern zu müssen. Eine Szene mit mir und meinen Eltern im Flugzeug. Und ein Garten wie aus einem Märchen.

Ich schüttelte die Gedanken unwillig ab. Dafür war später auch noch Zeit. "Sind das alle?", fragte ich Jaswinda leise, damit der Wind meine Worte nicht von dem Balkon aus nach unten in den Garten wehte. Die Sonne hing tief über der Wüste und legte alles unter ihren roten Schleier.
Dies verlieh den mindestens zu tausend aufgeschlagenen Zelten unter mir einen besonders aggressiven Glanz.

Nachdem Ethan eingeschlafen war und ich mich aus seinen Armen winden konnte, habe ich als erstes Jaswinda aufgesucht und sie gebeten, mir das derzeitige Ausmaß seiner Macht zu zeigen.
Sie hatte mich ohne ein Wort auf eines der oberen Balkone geführt. Das Bild war schockierend gewesen. Vielleicht noch schockierender, als die Erinnerung an den Haufen zu Tode verängstigter Frauen, unter denen ich Jaswinda gefunden hatte. Und der Grund für ihre derartige Furcht war der Mann, in dessen Armen ich zuvor noch hätte einschlafen können. In dessen Armen ich mich sicherer fühlte als bei keinem anderen dieser Welt.

"Alle, die hier sind, Miss. Außerhalb... sind es noch mehr. Viel mehr."
Ich nickte. Erschreckend, in der Tat, aber etwas anderes hatte ich nicht erwartet.
Ich kniff die Augen zusammen und machte am Horizont Panzer aus, die jetzt zwar noch still standen, aber jeden Moment in Bewegung gesetzt werden könnten. Im Grunde hatte Ethan es mir ja gesagt. Er wollte kein Land, gab sich nicht damit zufrieden, ein jahrhundertealtes Spiel gewonnen zu haben. Er wollte alles.

Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Mein Mann war verrückt. Und das auf einem Level, das diese Welt nicht überleben würde. "Wir sind am Arsch", sagte ich geradewegs heraus.
Nennt mich eine Egoistin, aber ich hatte das Gefühl, schon viel zu viel gesehen zu haben. Würde ich überhaupt noch ruhig schlafen können, nach alldem? Mit dem Gewissen, dass Menschen wie Jaswinda in naher Zukunft würden leiden müssen?

"Ab einem gewissen Punkt gibt es kein Zurück mehr, Miss." Jaswindas Worte überraschten mich, ich hatte gehofft, sie wäre ein bisschen optimistischer. Auch wenn das genau dem Gegenteil entspricht, was ich vorhin gesagt habe. "Du meinst, es ist bereits zu spät? Unausweichlich?", hackte ich nach, weil ich mit meinen Gedanken nicht alleine sein wollte.

Jaswinda seufzte. Es kam von Herzen, als würde sie eine ganze Tonne Last mit sich herumschleppen.
"Was auch immer von nun an passieren wird, wird passieren. Aber ich denke, es ist zu spät, um zur ursprünglichen Ordnung zurückzukehren."
Mein Kopf fing an zu pochen. Ich konnte nur beurteilen, was ich gerade sah.
Ich hatte seit Wochen keinen Internetzugang gehabt oder sonst irgendwelchen Kontakt zur Außenwelt. Aber Jaswinda wirkte nicht wie jemand, der gerne mal übertrieb.

Mir wurde das Herz schwer. Hätte Ethan nicht einfach der nette Typ von nebenan sein können? Es waren immer die Falschen, die mit Macht geboren wurden... oder die Macht korrumpierte sie letzendlich. Wie man es nimmt.
Ich schielte zu der jungen Frau neben mir. Das sie so offen mit mir sprach, war doch eigentlich ein Zeichen von Vertrauen... oder?

"Auf wessen Seite stehst du?", fragte ich sie und biss somit einfach direkt in den sauren Apfel. Sie konnte mich immer noch anlügen, aber ich war eigentlich kein schlechter Menschenversteher.

Sagte die Frau des Psychopathen. Ha Ha.

Innerlich zeigte ich meinem Unterbewusstsein den Mittelfinger. Äußerlich wartete ich mit versteinerter Miene auf Jaswindas Antwort.

"Würden Sie mir glauben, wenn ich sage, dass Sie mir vertrauen können?"
"Wieso?"
"Weil ich mit ihnen die besten Überlebenschancen habe", sagte sie und setzte mich somit Matt.
Ich nickte. Einen besseren Grund könnte sie mir nicht geben. Im Moment wollte ich auch nicht hinterfragen, ob das nun verdächtig war, oder nicht.

"Gabriel Denaux. Ich möchte, dass du alles über ihn herausfindest, was du über ihn herausfinden kannst." Manchmal musste man es einfach auf den Punkt bringen.
Immerhin lief mir die Zeit gerade wie Sand durch die Hände. Jaswinda nickte, ihr Gesicht eine Maske. "Überlassen sie das mir."

"Was soll sie dir überlassen?" Die Frage erwischte mich kalt, genauso wie Jaswinda. Da ich jedoch mehr an Ethans plötzliches Auftauchen in den ungünstigsten Momenten gewöhnt war, fing ich mich schneller und schoss mit der erstbesten Ausrede raus, die mir einfiel. "Ein Plan für eine Führung. Ich möchte diesen Ort gerne besser kennenlernen."
"Da ihre Ladyschaft noch nicht wieder richtig fit ist, möchte ich die unnötigsten Orte weglassen", ergänzte Jaswinda und neigte vor Ethan respektful den Kopf.

Mein Mann, der bis eben noch am Durchgang gelehnt hatte, überbrückte nun die wenigen Meter, die uns trennten und nahm mich in den Arm. Jaswinda entfernte sich, mit einem letzten Blick in meine Richtung, und gab uns etwas Raum für uns. Die Soldaten unter uns nicht mitgezählt. "Als ich wach wurde, warst du nicht da", flüsterte Ethan in mein Haar und ich meinte, einen leisen Vorwurf herauszuhören. Ich lachte leise. "Ich brauchte etwas frische Luft", dann, nach einigem Zögern, "Was ist das alles hier?" Ich nickte Richtung Heer.

Ethan drückte mir einen Kuss auf die Stirn. "Unsere Privatarmee", murmelte er und gab mir noch einen Kuss, diesmal auf die Wange. Dann noch einen, meine andere Wange. Ich versuchte konzentriert zu bleiben, ehrlich. Diese Fragen waren wichtig, aber als Ethan seine Lippen auf meine legte... fragte ich mich, warum ich nicht einfach für immer so, in seinen Armen bleiben konnte.

Niemand musste mir sagen, dass das nicht möglich war. Niemand musste mir sagen, dass mein Gewissen da niemals mitmachen würde. Manchmal verfluchte ich Mom für ihre gute Erziehung.

"Mia?"
"Hm?"
"Ich möchte, dass du morgen dieses Anwesen nicht verlässt."
Meine Stirn kräuselte sich gefährlich. "Willst du mich... hier einsperren?"

Ethan legte seine Hände auf meine Wangen und schüttelte sofort den Kopf. "Nur morgen. Es gab hier in letzter Zeit vermehrte Terroristensichtungen, ich werde der Sache morgen nachgehen und möchte nicht, dass dir etwas passiert." Sein Blick sagte mir mehr als deutlich, dass es in dieser Angelegenheit nichts weiter zu diskutieren gab. Also nickte ich. Obwohl ich mich fragte, wieso mein Ehemann mich so offensichtlich anzulügen versuchte.

B

Schachmatt #3 Das Spiel der Könige Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt