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Was auch immer es war, wo auch immer die Vertrautheit dieser niedergeschriebenen Worte gerade hergekommen sein mochte,  sie verflog, als ein düsterer Schatten in den kleinen Raum fiel.

"Mia?" Die Luft wird mir aus den Lungen gedrückt, als ich den Klang seiner Stimme hörte. Breitbeinig und mit einem düsteren Gesichtsasudruck, hatte sich Ethan in der Tür aufgebaut und beobachtete uns stillschweigend für wie lange schon. "Was zum Teufel hast du hier zu suchen", murmelte er mit seiner gefährlich sanften Stimme, nicht mit seiner sanften sanften von vorhin. "Dieser Ort sollte abgeriegelt sein, kein Platz, an dem die Lady dieses Hauses verstecken spielen sollte."

Meine Hände zitterten leicht, als ich Jaswinda, das Buch zurückgab. Sie nahm es an, obwohl sie gerade nur physisch anwesend zu sein schien. Der Schock hatte sich tief in ihr abgewendetes Gesicht gegraben. Sie hatte noch nicht einmal gezuckt, als Ethan meinen Namen gesagt hatte.

"Ethan", sagte ich mit erzwungener Leichtigkeit, wobei ich das leicht atemlose nicht aus meiner Stimme entfernen konnte.
Ethan musste es ebenfalls gehört haben, denn seine Lieder senkten sich leicht und das strahlen seiner raubtierhaften grünen Augen verdunkelte sich. Die ersten Warnzeichen für einen aufkommenden Sturm. "Mia, was mach du hier?", fragte er erneut. Seine Stimme spiegelte den Sturm wieder, der sich über uns allen zusammenbraute. 

Tatsächlich krachte es in diesem Moment wirklich über uns und wenig später erhellte ein Blitz die länger werdenden Schatten. Jaswinda brach aus ihrer Starre und ihr ganzer Körper fing an zu zittern. Sie hatte tatsächlich Angst und ich fragte mich, warum mir nicht der Angstschweiß den Rücken hinablief, obwohl Ethans Blick selbst einen Löwen ins Wanken gebracht hätte.

Es stimmte, ich hatte Angst davor, dass Ethan herausfinden würde was gerade passiert war, aber ich fürchtete mich nicht vor ihm. Jaswinda hingegen schien tatsächlich weniger Angst zu haben, dass sie mir dabei half, Ethans Schwachstelle zu finden, als davor, dass Ethan einfach nur dastand und sie gänzlich ignorierte.

Erneut krachte ein Donnerschlag über uns nieder und der Raum schien tatsächlich mit ihm zu beben. Das ein Gewitter so plötzlich, so heftig aufziehen konnte, hatte ich bisher nur bei den Stimmungen meines Mannes erlebt.

"Ich habe diesen Raum lediglich bei einem meiner Rundgänge entdeckt", sagte ich so ruhig wie möglich, während ein Blitz erneut unsere Silhouetten erhellte. Die Gewitterwolken hatten jedes Licht verbannt und ließen den Tag, wie die Nacht wirken. Ethans Gesicht wurde in dem dunkler werdenden Raum immer schwerer zu lesen und Jaswinda sah aus, als würden sie jeden Moment einfach umkippen.
Mein Kopf pochte und das Denken fiel mir immer schwerer. Die Worte aus dem Buch tauchten immer wieder vor mir auf, egal, wie sehr ich versuchte, sie zurückzudrängen. Irgendwo flüsterte eine kindliche Stimme "Mon Ange" und für einen Moment glaubte ich wirklich, die Stimme außerhalb meines Kopfes gehört zu haben. Ethans wachsame Augen immer noch auf mir, versuchte ich meine Miene ruhig und kontrolliert zu halten.

Diese Situation war denkbar schlecht, über Tageucheinträge zu denken, die Ethan am besten niemals zu Gesicht bekommen sollte. Er würde Nachforschungen anstellen, erst recht, wenn er wüsste, dass ich mich dafür interessierte. Und er würde noch mehr fragen stellen, wenn er herausfand, worum es in dem Tagebuch handelte. 

Ich erhob mich, etwas unsicher auf den Beinen, aber entschlossen, nicht unter mir selbst oder meinen, vermeintlichen, Erinnerungen einzuknicken. "Es ist nur ein Raum-" begann ich, wurde aber von Ethan unterbrochen. "Ein Raum, der im unbewachtesten Flügel dieses Anwesens liegt! Wenn dir hier etwas passiert wäre...", er verstummte.

Ich wagte nicht daran zu glauben, dass er sich tatsächlich Sorgen machte. Denn wenn ich es tat, würde mein Herz wieder anfangen zu bluten, für den Verrat, den ich in naher Zukunft begehen würde. "Wieso besitzt du dann einem Flügel, der so schwach bewacht ist?", frage ich ihn und lasse die unausgesprochene Wörter in der Luft hängen, dass das so gar nicht zu ihm passt. Noch ein Donner und als der Blitz dieses Mal das kleine Zimmer erhält, sehe ich die Dunkelheit in dem Gesicht meines Mannes aufsteigen. Es war nur für einen Bruchteil einer Sekunde gewesen, aber es reichte, um zu wissen, dass es brenzlig wurde.

"Jaswinda, würdest du uns bitte alleine lassen." Ich hatte erwartet, dass die Frau bei meinem Worten aufspringen und so schnell wie möglich die Flucht ergreifen würde. Stattdessen kratzte sie wohl die letzten Reste ihrer Selbstbeherrschung zusammen, erhob sich elegant und verbeugte sich kurz vor uns beiden, bevor sie den Raum verließ. An das verbeugen würde ich mich nie gewöhnen. Einen Moment hatte die Befürchtung, dass Ethan sie nicht gehen lassen würde, dass er mich durch so bestrafen würde, da er mir körperlich nicht wehtun wollte. Aber er ließ sie kommentarlos ziehen, was wohl hieß, dass seine Dunkelheit ihn noch nicht vollends verzerrt hatte und das ich gerade noch rechtzeitig gehandelt hatte.

Dass ich mich ihr jetzt alleine würde stellen müssen, ließ allerdings ein mulmiges Gefühl in mir zurück. "Hinterfragst du etwa meine Methode?", erklang kurze später seine nachtsamtene Stimme aus den Schatten, die jedes Mal eine Gänsehaut Attacke in mir hervorrief. "Ich habe nur einen Ort der Ruhe gesucht, Ethan. Ich bin nach sechs Monaten endlich wieder wach, ich sollte immer noch ans Bett gefesselt sein und gerade mal damit anfangen, meine Muskeln wieder aufzubauen, stattdessen renne ich von einer Leiche zur nächsten oder töte selbst jemanden, wegen einem einfachen, dummen Fehler und es ist noch nicht mal jemand sauer auf mich."

Innerlich erstarre ich bei jedem gesprochen Wort, bei jeder kleinen Wahrheit, die über meine Lippen gleitet. Ich hatte mach einer weiteren Ausrede gesucht, alles, was diesem Mon Ange am entferntesten war. Stattdessen hatte ich eine Wahrheit ausgesprochen, die seit meinem Aufwachen in mir brodelte.

Die Tatsache, dass ich so schnell geheilt war, zweifellos durch den Ring und seine komischen Funktionen, hatte mir wieder vor Augen geführt, in welche abnormalen Fugen mein Leben doch geraten war. Doch statt dankbar dafür zu sein, musste ich mich erneut mit der Gewalt auseinandersetzten, an die ich, so unmenschlich es auch klang, abgefunden hatte. Was nicht hieß, dass sie mir nicht weiterhin übel aufstieß. Und dass niemand sauer auf mich war, dass Ethan wegen meines Fehlers nicht sauer auf mich war, war zwar ein Segen, aber auch etwas, dass mir zeigte, das Menschenleben ihm egal waren.

Erneut, eine Tatsache, mit der ich mich schon lange abgefunden hatte, in manchen Fällen sogar guthieß, was immer das auch über mich sagen mochte. Aber in manch anderen Fällen... zweifelte ich an diesem Leben, das für einige so unfair ausgewogen worden war. Diese junge Frau hatte wahrscheinlich Familie gehabt, Freunde oder Pläne für die Zukunft. Ich hatte nicht, wie bei dem Terroristen, aus Notwehr gehandelt, als ich durch meine Taten ihr Leben genommen hatte.

Ich hatte mich so sehr in mein Schnekenhaus gezogen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie nahe Ethan mir gekommen war. Mit einer Hand drückte er mich zurück in die Kissen, was mir zunächst ein leisen, überraschten Aufschrei entlockte, mit der anderen stützte er sich neben meinem Kopf ab. Wie ein gefallener Engel ragte mein Mann über mir auf und der nächste Blitzschlag enthüllte eine Sanftheit in seinen Zügen, die mit der Dunkelheit um die Vorherrschaft zu kämpfen schien.

"Nichts von all dem, sollte dich etwas kümmern, mein Herz." Seine Stimme umhüllte mich wie der Donnerschlag über uns am Himmel und zog mich in seinen Bann. "Sie hatte es nicht verdient", sagte ich leise, meiner eigenen Stimme nicht mehr sicher. "Sie wird die von dir gewünschte Bestattung bekommen", sagte er sanft. "Aber sie hatte es nicht verdient", beharrte ich. Als er darauf nichts antwortete, wahrscheinlich weil wir beide seine Antwort nur zu gut kannten, stellte ich meine nächste Frage. "Wieso bist du nicht sauer?"

Ich hatte in seinen Sachen herum geschnüffelt und sein super Notebook kaputt gemacht. Ich konnte einfach nicht glauben, dass er es lediglich damit abtat, dass ich neugierig war. So jemand war Ethan nicht. Er brauchte über alles die absolute Kontrolle und war brutal bis ins Mark. Die kleinen Veränderungen, die er mir gegenüber entwickelt hatte, konnten gar nicht ausreichen, als das er es einfachen ziehen ließ, dass ich in seine privaten Datein einen Blick geworfen hatte. Er konnte einfach nicht, denn das würde alles so viel schwerer machen.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, stieß Ethan ein leises Lachen aus. "Das stimmt nicht", sagte er, fast schon selbst überrascht über seine eigenen Worte. "Ich war sauer, weil... weil du dich in Gefahr begeben hast." Mein Herz setzte bei diesen Worten drei ganze Schläge aus. Er meinte es absolut ernst. Ich konnte die Unsicherheit und die Überraschung in jedem einzelnen seiner Worte hören. Er bewegte sich gerade auf absoluten Neuland. Meine Arme schnellten hoch, schlangen sich um seinen Nacken und zogen ihn zu mir hinunter.

Unsere Lippen trafen sich im Einklang mit dem nächsten Donnerschlag und der Träne, die mir aus dem Augenwinkel rann.

Schachmatt #3 Das Spiel der Könige Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt