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Timing, war alles und mein Timing, war das absolut letzte. Ohne mich beschweren zu wollen, bis zum frühen Abend war noch alles glatt und beinahe schon zu vielversprechend abgelaufen. Ethan hatte mir nach einer langen, erholsamen Nacht, die er ausnahmsweise mit mir und fern seiner Arbeit verbracht hatte, ein Kleid überreicht. Er war dabei so euphorisch gewesen, dass ich es riskiert hatte, ihn gleich nach meinem geplanten Ausflug zu fragen, welchem er überraschend schnell zugestimmt hatte, unter der Bedingung, Allistar mitzunehmen.

Jaswindas bedrückte Stimmung, nachdem ich ihr von unserem Trip erzählt hatte, hatte mich zwar ein wenig besorgt, aber nachdem sie mir in mein violetten Traum aus Seide und Spitze geholfen hatte, war diese Stimmung schnell wieder verflogen. Wie ich heraus gefunden hatte, mochte sie Mode. Was sie nicht mochte, war einem Schwall von Galle auszuweichen und mich anschließend aufzufangen, weil ich mich plötzlich nicht mehr auf den eigenen Schuhen hatte halten können.

Wer zum Teufel wurde schon bei so einer wichtigen Veranstaltung krank!?

"Ich werde schon nicht sterben", sagte ich, als die kommentarlose Stille hinter mir sich hinzog, lediglich unterbrochen von unseren Schritten, die in dem leeren Gang überdeutlich zurückgeworfen wurden.

"Ihr gehört ins Bett", sagte Jaswinda leise und durchbrach ihr eisiges Schweigen, welches sie seit dem Verlassen meines Zimmers aufrecht erhalten hatte. "Und wenn euer Ehemann herausfindet, dass ich euch trotz euer unpässlichkeit habe gehen lassen..." Ich konnte sie schwer schlucken hören. "Ethan wird schon nichts erfahren", versicherte ich ihr mit einer Überzeugung, die ich nicht teilte. Ich hatte ihm zwar eine Nachricht geschickt, dass ich ein wenig länger mit dem fertig machen brauchte, aber mein Mann kannte mich, um mich auf einen Blick direkt abschätzen zu können.

Wir kamen an der Haupttreppe an, welche in die große Eingangshalle des Palastes führte. Das große Esszimmer befand sich direkt schräg gegenüber der Eingangstür. Ausnahmsweise ein leicht auffindbarer Ort, bedachte man, dass der Palast ein Einziges Labyrinth war. Eine ganze Schaar von Bedinsteten war an den Wänden entlang aufgestellt worden, darauf wartend, den nächsten Gang oder sonst irgendwelchen Extrawünschen Folge zu leisten, die aus dem Raum kommen mochten, aus der die Musik und klirren von Gläsern erklang. Mehr als ein Augenpaar huschte zu uns, wo wir am oberen Treppenabsatz stehen geblieben waren.

Meine Sicht teilte sich wieder und ich versuchte verkrampft, mein Lächeln aufrecht zu erhalten, auch wenn ich Jaswinda den Rücken zugekehrt hatte. Wieso tat dieser verdammte Ring eigentlich nichts dagegen!? Ethan meinte, er würde sich neu konfigurieren müssen, da er mir ja nach meinem Koma bereits geholfen hatte.

"Mir geht es gug", sagte ich mit fester Stimme zum was weiß ich wie vielten Mal, ohne meinen inneren Konflikt durchsickern zu lassen. "Außerdem würde Ethan es mir nie erlauben, so morgen hinaus zu gehen."
"Vielleicht ist das ja ein Zeichen, es nicht zu tun", drängte Jaswinda.

Kopfschüttelnd über sie, stieg ich die Treppe hinab, immer schön am Geländer festhaltend, und ging die Reihe der Diener direkt auf das große Esszimmer zu, als mich ein Tumult am Eingang ablenkte.

"Warten sie!" Ein Schwall kalter Luft traf mich mit der Stimme und Jaswinda, welche mir wieder in eisiges Schweigen gehüllt gefolgt war, trat automatisch schützend vor mich. Die Eingangshalle war nur mäßig beleuchtet, aber die Statur des heraneilenden war eindeutig die eines Mannes. Eines kleinen untergestzten Mannes. Seine kurzen Beine schienen ihn kaum tragen zu können, waren dafür aber erstaunlich schnell und flink.

"Bitte", keuchte er, bereits völlig außer Atem, "so warten sie doch." In einer geschmeidigen Bewegung, dich ich mir selbst nicht zugetraut hätte, trat ich um Jaswinda herum um einen besseren Blick auf ihn zu bekommen. Auf ihn und die zwei Soldaten, die ihn mit einem dunkel amüsierten Blick folgten. Der Mann warf nun ebenfalls einen ängstlichen Blick zurück und sah dann flehentlich zu mir auf. "Da...dass hier i..ist sie", stotterte er mit kugelrunden, babyblauen Augen. Er stand jetzt nah genug an den Wandleuchtern, dass ich die einzelnen Details seines Gesichts ausmachen konnte. Dazu zählte auch der Mächtige, beim sprechen zitternde, Schnauzbart. "M..meine Begleitung!"

Ich blinzelte. Sein Bart hatte mich zu sehr abgelenkt und ich hatte nicht mitbekommen   was er alles gesagt hatte, aber mit Begleitung war ganz offensichtlich ich gemeint. Jaswinda plusterte sich auf, bereit, eine Schimpftriade auf den Armen Mann loszulassen, aber ich hob die Hand und brachte sie augenblicklich zum verstummen. Die Soldaten, die mich, den großen Augen nach zu urteilen, offensichtlich erkannt hatten, blieben bei meiner erhobenen Hand nun ebenfalls stehen. Der kleine Mann schien davon nichts mitzubekommen, er sah mich nur weiterhin aus flehenden und entschuldigenden Augen an.

"Er hat keine Einladung", kam es plötzlich von einem der Wachen und der Mann vor mir zuckte zusammen. "Ich-", begann er, verlor aber wohl schon nach einem Wort den Mut und senkte den Kopf. Seine Hände spielten an seinem schlecht sitzenden Jackett herum und fegten deutlich sichtbare Fusel von seiner zu langen Anzugshose. Eindeutig niemand, mit dem Ethan verkehren würde. Und doch jemand, der sich trotz des Rufes meines Mannes und offensichtlich ohne Einladung, aber anscheinend mit genug wissen über das heutige Dinner, hierher gewagt hatte. Dieser Mann hatte eindeutig mein Interesse geweckt.

Meine Lippen verzogen sich zu einem bittersüßen Lächeln, welches ich zu den Soldaten schwenkte. "Aber, aber, meine Herren. Da sie ihn doch bis hier hin durchgelassen haben, muss ihnen doch gewiss bewusst gewesen sein, dass er zu einem der Gäste gehört." Sofort wich alle Farbe aus ihren Gesichtern. Wenn Ethan erfahren würde, dass sie einen ungeladenen Gast so weit hatten kommen lassen, würde er ihnen dafür die Haut abziehen. Ich vermutete mal, sie hatten ihnen aus Langeweile so weit kommen lassen, zwei Katzen, die mit einer Maus spielten. Ich neigte leicht den Kopf. "Vielen Dank, dass sie ihn bis hierhin eskortiert haben, ich bin in der Tat seine Begleiterin." Der Kopf des Mannes schoss hoch und sah mich ungläubig an.

Die Blicke der Soldaten, und die von Jaswinda wohlgemerkt, spiegelten den des Mannes, schossen immer wieder von ihm, der hier offensichtlich nichts zu suchen hatte, zurück zu mir. Letztendlich konnten niemand von ihnen etwas sagen, was mich möglicherweise als Lügnerin beleidigen würde und so erst recht Ethans Zorn auf sich zu ziehen. Beide Soldaten machten eine Knappe Verbeugung und zogen sich zurück.

Wir warteten, bis die Eingangstür sich wieder geschlossen hatte, da fiel der Mann plötzlich vor mir auf die Knie und ergriff meine Hände. "Sie retten mir das Leben, mon Chér!" Er drückte auf beide eine Reihe von Küssen, bevor ich es schaffte, sie ihm zu entziehen. "Vielleicht mögen sie mir ja dann verraten, wie ich zu dieser Ehre komme?" Auf wackeligen Beinen richtete er sich auf, strich sein hoffnungslos zerknittertes Jackett glatt und sah mich entschuldigend an. "Eine dringliche Angelegenheit, mit der ich einen solchen Stern, wie sie es sind, nicht belasten möchte."

Jaswinda schnaubte. "Meine Herrin hat für die gelogen, Mann, ein wenig entgegenkommen wäre also mehr als angebracht." Ich musste bei seinem verdutzten Gesichtsausdruck ein kichern unterdrücken. Niemand erwartete, dass aus Jaswindas zierlichen Gestalt, eine solch gebieterische Stimme kommen konnte. Die Freude wurde allerdings durch das Wort Herrin, welches auch dem Franzosen nicht entgangen war, getrübt. "Es..es könnte sie in Gefahr bringen", stotterte er nun wieder, wohl ein Anzeichen von hoher Nervosität.

Ich machte eine Handbewegung, welche den Palast einbegriff. "Sind wir das nicht schon." Der Mann blinzelte, sah von Jaswinda zu mir und nickte dann hastig. "Wenn man es so betrachtet, Madame, haben sie natürlich recht. Man kann es natürlich so sehen, natürlich, ganz offensichtlich!" Seine Hände kneteten einander und sein Blick huschte immer mal wieder von den Dienern zu mir, dann zu Jaswinda und schließen zu den hohen Decken des Palastes, bevor er einen langen, geschlagenen Seufzer tat. "Ich hatte gehofft, mit dem Hausherrn eine Unterhaltung führen zu können, so undenkbar dieses Unterfangen auch sein mag. Ich bin ein einfacher Banker aus Brüssel und es ist verständlich, dass mich dort niemand anhören wollte, aber ich bin der festen Überzeugung...Ich bin der festen Überzeugung, dass Monsieur Lockheart dieser Welt Frieden bringen kann."

Und da war sie, leuchtend, in einem zerknitterten, schlecht sitzenden Anzug. Eine Chance. Nur dass ich das zu jenem Zeitpunkt noch nicht hatte vollends begreifen können.

Schachmatt #3 Das Spiel der Könige Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt