Ich hätte es mir denken können. Was würden auch schon einfache Angstellte in einer der vielen Lockheart Residenzen zu suchen haben. Von dem "Harem" mal abgesehen, wunderte es mich nicht, dass hier wohl jeder eine Waffe am Leibe trug.
Aber scheinbar war ich die Einzige mit dieser Einsicht. Ich konnte hinter mir Dupont nun doch noch auf seinen Hintern fallen hören und Jaswinda hatte erneut ihren imaginären Kältemantel übergestreift, der sie in eine Art Eisskulptur verwandelte. Die dramatischste Reaktion fiel jedoch bei den Herrschaften vor mir aus.
Weg war die Arroganz und die Blasierte Art.
Ihre Münder waren beide in einem schockierten O erstarrt, was ihre Augen allerdings nicht daran hinderten, von einer Ecke der Eingangshalle in die nächste zu zucken. Aus ausnahmslos jeder Richtung zeigte mindestens ein Waffenlauf auf sie.Ich musste zugeben, die übertriebene Anzahl ließ mich kurz an Ethans derzeitigen Gemütezustand zweifeln, sicherlich hätten ein Dutzend Bedienstete für das Überwachen und Servieren von Getränken und Essen gereicht, aber ich wollte mir dadurch nicht meinem Moment zerstören.
"Wie sie sehen", fuhr ich, nach einer angemessenen Weile des Schweigens, fort, "bin ich durchaus in der Lage, sie vor die Tür zu setzten." Ich fand, ich klang ziemlich höflich, obwohl ich ihnen am liebsten eine verpasst hätte.
"M...mm..meine Dame", kam es plötzlich stotternd hinter mir. Dupont hatte es inzwischen geschafft, sich wieder aufzuraffen und trat nun zitternd neben mich. Jaswinda schien nebenbei bemerkt ebenfalls am Auftauen zu sein, nachdem ihr wohl wieder aufgegangen war, dass niemand ihr neben mir ein Haar krümmen würde, und richtete nun ihre Adleraugen auf den Bankier.
Zugegeben, er stand näher an mir dran, als angebracht, aber ich war mir fast sicher, dass er noch nicht mal bemerkt hatte, sich überhaupt bewegt zu haben. "D...D...D...Waffen!", presste er hervor, sein Körper vibrierend vor Angst. "S..sie.. z..zielen... a..a..auf uns, hätten... hätten s..seine Gäste ni... nicht provo..zieren sollen!" Seine geweiteten Kulleraugen hatten Rekordverdächtige Ausmaße angenommen und erneut fragte ich mich, wie lange er allein unter Ethans Blick überleben würde.
Er hatte offensichtlich den Wink mit dem Zaunfahl verpasst und ich wollte ihm gerade versichern, dass er nichts zu befürchten hatte, als ich erneut durch das Öffnen der Esszimmertür unterbrochen wurde. Timing schien heute Abend wirklich nicht meine Stärke zu sein. Doch als ich sah, wer mir diesesmal ins Wort gefallen war, musste ich gegen meinen Willen Lächeln. "Liebling", sagte Ethan mit einer Stimme, die Eis hätte schmelzen lassen können.
Seine leuchtend grünen Augen wandterten an meiner Statur auf und ab und das Lächeln, welches er mir anschließend schenkte, machte dem Sonnenaufgang Konkurenz. "Du bist spät dran", brummte er gespielt tadelnd und ich hatte das Gefühl, dass er seine Schritte beschleunigte. "Ich wollte gerade nach dir... suchen." Er blieb kurz vor unserem kleinen Grüppchen stehen und ich wusste nicht, ob er einfach zu sehr in meinen Anblick vertieft gewesen war, als dass er die gezogenen Waffen erst jetzt bemerkte (der Gedanke löste Niagara Fälle von Glückshormonen in mir aus) oder ob er bereits zu sehr an den Anblick von Pistolen gewöhnt war und das er Anfangs nicht registriert hatte, dass am heutigen Abend eigentlich kein Schusswechsel stattfinden sollte.
So oder so, sah ich meinen Teuflischen, Bösewicht von einem Ehemann, dass allererste Mal, für einen minimalen Bruchteil einer Sekunde vor fremden Publikum aus dem Gleichgewicht gebracht (von meiner Komaaufwach Aktion mal abgesehen). Der Moment war so schnell vorbei, dass wahrscheinlich nur ich ihn mitbekommen hatte, aber es reichte, um einen gefährlichen Glanz in seine Augen zu treiben. Sein Lächeln verrutschte nicht um einen Milimeter und sein kurzes Stocken überspielte er mit einer flüssigen, anmutigen halbverbeugung. "Du siehst hervorragend aus, Darling."
Und du erst!- wollte ich sofort zurückschießen, weil es der unübersehbaren Wahrheit entsprach (Smokings waren praktisch allein für diesen Mann erschaffen worden), aber erneut, wollte ich nicht meine Haltung verlieren und zu der gehorsamen Hausfrau zurückschrumpfen, die wohl alle heute Abend erwarteten. Also gab ich mich mit dem zweitbesten Gedanken zufrieden, der mir augenblicklich durch den Kopf schoss und welcher hoffentlich die Lage ein wenig entschärfen könnte. "Liebster, wenn du hier bist und ich mich hier draußen um unsere Nachzügler Gäste kümmere, wer kümmert sich dann drinnen um sie", sagte ich und imitierte dabei seinen gespielten Tadel von vorhin. Gewagt, aber heute fühlte ich mich irgendwie .... anders. Besser ließ es sich nicht beschreiben. Vielleicht lag es daran, wie wir uns gestern berührt hatten.
Als weder der Glanz, der sich beruhigend intensiviert hatte, noch die, neuaufgetretene, Anspannung in seinen Schultern nachlassen wollte, schenkte ich ihm ein leicht, zum meiner Überraschung, echtes amüsiertes Lächeln. Ich war inzwischen an die ersten Begegnungen mit Außenstehenden gewöhnt, die meistens in Ignoranz gegenüber meiner Person anfingen, in Unglaube gipfelten und schließlich in Furcht oder Gewalt endeten. Zugegeben, Duponts Worte hatten mich sehr wohl aufgewühlt, aber die Ankunft der feinen Herrschaften hatte ich weder mit Angst, noch mit besonderer Unsicherheit gegenübergestanden... Der Gedanke ließ mich einige Male verblüfft blinzeln, weil er tatsächlich wahr war. Auch ohne die bewaffneten Bediensteten hatte ich das Gefühl, dass ich mit der Situation schon irgendwie klar gekommen wäre, zusätzlich mit Jaswinda an meiner Seite.
Im allergrößten Notfall hätte ich ihnen wohl einfach auf die Schuhe gebrochen, kam mir der unappetitliche Einfall, weil mich schon wieder eine Übelkeitswelle erfasste. Keine Ahnung wie, aber Jaswindas Hand fand plötzlich zeitgenau mein Kreuz und verhinderte, dass mich auch noch der Schwindel erreichen konnte und das mir vor Ethan das Lächeln verrutschte.
"L...l...l...Liebling?", stotterte eine vergessene Stimme neben mir und beinahe hätte ich mich geschämt, dass Ethans alleinige Anwesenheit zu reichen schien, um alles um mich herum zu vergessen. Aber ich sah, wie seine Schultern sich, sichtlich widerwillig, lockerten. Ich konnte ihm ansehen, dass er mit einem Stirnrunzeln kämpfte und wäre nicht Dupont, der aussah, als würde er jeden Augenblick das Bewusstsein verlieren, hätte ich dieses seltsam unvertraute an ihm am liebsten weiter ausgekostet.
So aber schwenkte ich mein Lächeln zu dem kleinen Belgier, wobei die Situation mit Ethan noch lange nicht entschärft war, und sagte mit beruhigenden Ton: "Verzeihen Sie mir, mein Lieber, aber ich hatte erst vor, mich drinnen offiziell vorzustellen."
Mit einer deutlich kühleren Note drehte ich mich zu Vater und Tochter, die immernoch wie erstarrt standen, und sagte mit festem Blick auf sie: "Sie können die Waffen jetzt runter nehmen."Einen Wimpernschlag fürchtete ich, dass die wirklich Angesprochenen nicht auf mich hören würden oder, schlimmer noch, Ethan eingrätschten und mich meine Stellung als Zierfrau wieder spüren lassen würde, wie er es bei vorherigen Dinners immer getan hatte, auch wenn inzwischen viel Zeit vergangen war und vieles sich geändert hatte.
Nichts von alldem geschah. Die Waffen klickten, als sie von zauberhand verschwanden und Ethan...
Sein Gesicht zu einer professionellen, vereisten Maske getrimmt, sah er uns alle einfach nur kühl an. Die Hände kalkuliert hinter dem Rücken gefaltet und sein Blick undurchdringlich.
Jeder konnte spüren, ohne einen wirklichen Blick auf ihn zu riskieren, dass er nach wie vor den Raum, ach was, diesen ganzen Ort dominierte, wie kein Zweiter. Unsere Aussländischen Gäste zitterten nun wie Espenlaub und ich war mir sicher, dass Jaswinda mich gerade als ihren ganz persönlichen Schild betrachtete...
Und dennoch...
Irgendwas in mir...riss.
Ich verstand.
Oder eher, ich verarbeitete es noch, auch wenn diese tragende Information bereits irgendwo in mir angekommen sein musste.Manche Angelegenheiten mussten von langer Hand geplant werden und manche geschahen einfach, ohne einen Hauch von Absicht. Im Affekt des Momentes, einfach so, ohne es überhaupt bemerkt zu haben, bis der neue Wind bereits an einem vorbeigezogen war.
Ethan Lockheart, der Bösewicht schlecht hin, anstrebender Welteneroberer und absoluter Kontrollhalter in jeglicher Situation, hatte gerade mir das Unmögliche durchgehen lassen, ohne das ich es wirklich darauf angelegt hatte. Wofür andere mit dem ganzen Abschlachten ihrer Liebsten oder sogar ganzen Dörfern und Städten bezahlt hatten(was ich ebenfalls in Duponts Fall befürchtete), hatte er es mir, gewiss ebenfalls nicht wirklich durchdacht, durchgehen lassen. Er hatte mir das letzte Wort gegeben.
Und, viel wichtiger noch, den Drang widerstanden, diese Menschen zu töten. Wie der Glanz in seinen Augen es mir eigentlich schon verraten hatte.
DU LIEST GERADE
Schachmatt #3 Das Spiel der Könige
RomanceKann man jemanden lieben, der bereits innerlich gestorben ist? Kann man jemanden lieben, der im Grunde seines Herzens Böse ist? Ich kann Ich tue es Die Frage ist nur, wie weit ich für ihn gehen würde, ohne mich selbst dabei zu verlieren. **** Ein...