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Etwas stimmte nicht. Etwas lief gerade kolossal schief und sie konnte nicht sagen, was.

Er hatte auf sie gewartet. Iwan Kusnezow hatte wirklich auf sie gewartet. Der unverschämt gutaussehende Erbe eines Ölimperium war ihr vor sechs Monaten das erste Mal auf dem Anwesen begegnet, als er um eine Audienz mit Lord Lockheart gebeten hatte.

Er hatte natürlich keine bekommen, der Lord verlor gerade den Verstand darüber, dass seine Frau nicht aufwachte... ähnlich wie er es wohl jetzt tun würde. Ein kleiner Stich fuhr durch Jaswindas Herz, Lady Lockheart war anders gewesen. Anders, als sie es sich jemals vorgestellt hatte. Aber letztendlich hatte ihr Liebster sie darum gebeten.

Ihr Liebster. Sie konnte es immer noch nicht glauben, das Iwan ausgerechnet sie auserwählt hatte. Er war dem Lord zwar nicht vorgestellt worden, dafür aber hatte er sie kennengelernt und sie hatten sich verliebt. Auch nach seiner Abreise war er immer und immer wieder zurückgekommen, hatte sich heimlich mit ihr außerhalb des Palastgeländes getroffen. Sie hatten sich ihre Liebe zueinander geschworen und jetzt, da ihre Mission beendet war, stand ihrer Hochzeit nichts mehr im Wege. Und doch sah Iwan aus, als wäre er nicht glücklich.  

"Wieso guckst du so?", fragte sie ihn vom Beifahrersitz aus. "Ich habe getan, worum du mich gebeten hast. Jetzt, da Lord Lockheart mit dem Tod seiner Frau beschäftigt ist, hat er keine Zeit mehr, deine Familie zu verfolgen. Wir können endlich zusammen sein!"

Jaswinda griff nach seiner Hand, dessen Knöchel bereits Weiß hervortraten, weil er das Lenkrad zu fest umklammert hielt. Iwan sah sie nicht an, als er ihre Hand abschüttelte. Genau genommen hatte er sie, seit sie zu ihm ins Auto gestiegen war, nicht einmal angesehen. Er hatte über ihre Schulter gesehen, als wartete er auf jemanden. Jemand anderen. Und als er schließlich den Motor startete, als hätte ihm jemand das Herz rausgerissen.

Das Massaker war noch im vollen Gange gewesen, als sie geflohen war, es hatte sie alles an Kraft gekostet, sich überhaupt zu bewegen, seltsamerweise hatte sie jede einzelne Kugel verfehlt. Aber Iwan war der Einzige Vertreter seiner Familie gewesen, weshalb sie nicht wusste, weshalb er, nachdem sie hinzugestiegen war, Fünf quälende Minuten weiter gewartet hatte, obwohl ihr Kopf gerade in einer sehr engen Schlinge hing.

Hätte Ethan da schon bemerkt, dass seine Frau nicht mehr atmete, so hätte er Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um den Schuldigen zu finden, auch wenn das Gift, eine Geheimrezeptur ihres Dorfes, so gut wie unmöglich zu entdecken war, war bei diesem Mann alles möglich. Er war der Teufel in Menschengestalt, der sich, zur Überraschung Aller, in einen Menschen verliebt hatte (so weit dieser Mann lieben konnte).

Nachdem einer der Jagdhunde auf dem Gelände jedoch auf das wartende Gefährt aufmerksam geworden war (wo ein Jagdhunde war, war ein Soldat meist nicht weit entfernt) war Iwan keine andere Wahl geblieben. Doch sie hatte seinen Widerwillen gesehen. Und sie sah ihn jetzt. 

"Liebster, was-" Er entzog ihr seine Hand und ohne wirklich hinsehen zu müssen, verpasste er ihr eine schallende Ohrfeige. "Schnauze, Miststück!" Sie war zu geschockt, um etwas zu erwiedern, ja, auch nur einen Muskel zu rühren. Iwan hatte nie auch nur die Stimme ihr gegenüber erhoben, geschweige den körperliche Gewalt gegen sie angewendet. So ein Mensch war Iwan nicht- so ein Mann war er nicht. Er liebte sie! Dass konnten also nur die Nerven sein, die gerade mit ihm durchgingen. Das wird es sein, sagte sie sich, drückte sich an die Beifahrertüt und hielt den Mund. Sobald das alles vorbei ist, wird er wieder ihr Iwan sein. Ihr Iwan... Ihre Augen weiteten sich, als sie die großen Felsen und Steine erkannte, die sich zu gorßen, bedrohlichen Schatten auftürmten. 

"Ich dachte, wir fahren zurück in die Stadt", sagte Jaswinda leise und sah ihn mit aufkeimender vorsicht von der Seite an. Die Gebierge, die an den Golf von Oman grenzten, waren immer wieder unterbrochen von kleineren Dörfer, so wie dem ihren. Sie tauchten öftersmal aus dem Nichts aus, überraschend für jeden Wanderer, der sich in dieser Gegend nicht auskannte. Wieso überkam sie das Gefühl, dass das auf Iwan nicht zutraf. Ihre Wange brannte. "Iwan?" Sie konnte in dem plötzlich sehr kleinen Innenraum des Jeeps hören, wie in ihrer Stimme ein leichtes Zittern mitschwang. "Wohin-"

Schachmatt #3 Das Spiel der Könige Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt