Luna
"Keine Sorge, wir schaffen das schon. Du machst das gut so!", redete ich Marie ermutigend zu, während das kleine Dunkelelfenmädchen mich zweifelnd und ein wenig ängstlich ansah. Es tat mir im Herzen weh, dass sie das alles schon so früh mitkriegen musste, aber die Zeit ließ sich nunmal nicht anhalten. Ethan und ich hatten ihr ein paar einfache Tricks beigebracht, damit sie sich im Notfall vor Angriffen schützen konnte, und, infolge ihres lautstarken Protests, auch einen schwachen Angriffszauber. Insgeheim hoffte ich sehr, dass sie sich im Hintergrund halten würde; sie war eigentlich noch viel zu jung für so einen Kampf. Genau genommen waren wir das alle, aber wenn wir unser Leben halbwegs normal weiterleben wollten, hatten wir keine andere Wahl. Marie schien von meinen Worten immer noch nicht so ganz überzeugt zu sein. "Sicher?", fragte sie, und in ihrer Stimme schwang der Wunsch nach einer Bestätigung mit, die ich ihr beim besten Willen nicht geben konnte. Trotzdem beugte ich mich ein wenig zu ihr herunter, sodass ich ihr in die Augen schauen konnte. "Ganz sicher.", antwortete ich und versuchte, so viel Zuversicht und Kraft wie möglich in meinen Blick zu legen, damit das kleine Mädchen wenigstens etwas hatte, woran sie sich halten konnte. Diesmal hatte ich es geschafft: Maries Augen begannen entschlossen zu funkeln und ein kleines Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Ich sah ihr nach, als sie in Richtung ihrer großen Schwester davonrannte, und ich hätte schwören können, dass da noch etwas Hinterlistiges in ihrem Blick lag, der Ausdruck eines kleinen Kindes, das gerade eine gute Idee gehabt hatte und sich jetzt eifrig an die Ausführung seines Einfalls machte. Hoffentlich machte sie nichts Unüberlegtes, wenn sie versuchte, uns zu helfen. Ich drehte mich um und ließ meinen Blick über die Versammelten streifen. Eigentlich waren wir gar nicht so wenige. Die Vampire, die schon allein eine beängstigend große Gruppe bildeten, perfektionierten gerade ihre letzten Kampfmanöver, während Ethan rechts von mir damit beschäftigt war, den übrigen Dunkelelfen eine letzte ermutigende Ansprache und ein paar letzte Kampfanweisungen zu geben. Die drei Jüngeren, sogar Leo, wirkten mittlerweile entschlossen und aufgeregt, während Iona daneben lediglich die Augen verdrehte und Ethan einen bissigen Kommentar zuwarf, dass sie kein Kleinkind mehr sei; eine wahre Aussage, wenn man bedachte, dass sie nur unmerklich jünger war als wir anderen. In all der Aufregung und der angespannten Ruhe-vor-dem-Sturm-Stimmung hatte ich gar nicht bemerkt, dass Grace und zwei der angereisten Vampire verschwunden waren. Erst, als Coles lautes Knurren durch den Wald schallte und uns alle in unseren Vorbereitungen innehalten ließ, wurde mir klar, dass die drei nicht mehr mit den Vampiren zusammen übten. Voller Unbehagen blickten wir alle in die Richtung, aus der das Geräusch zu kommen schien. Meine Gedanken begannen zu rasen. Bilder von einer verletzten Grace schossen mir durch den Kopf, und ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Ungeduldig schüttelte ich den Kopf, und die Bilder verschwanden. Grace konnte sehr gut auf sich selbst aufpassen, daran gab es keinen Zweifel. Shaunee war die Erste, die sich in Bewegung setzte. Sie ließ ein leises Knurren hören, dann rannte sie los und verschwand zwischen den Bäumen. Roger folgte ihr eilig, Judy wie immer dicht auf seinen Fersen. Janes Augen blitzten vor Energie, als sie Lewis' besorgten Blick ignorierte und ebenfalls loslief. Ihr Freund stieß einen kaum hörbaren Seufzer aus, bevor auch er die Verfolgung aufnahm. Ethan und ich sahen uns an und nickten uns zu. Es war soweit. Ich gab Iona einen Wink, die sich daraufhin hinter Marie und ihre Geschwister stellte, um während des Kampfes ein gutes Auge auf sie zu haben, dann rannte ich los und ließ mich in einen übernatürlichen Sprint fallen, Ethan und die anderen dicht hinter mir. Als wir eine Minute später Grace und ihre beiden Begleiter erreichten, waren erstaunlicherweise noch keine feindlichen Dunkelelfen zu sehen. Doch ihre Anwesenheit lag wie ein drückender Schleier in der Luft, und man konnte spüren, wie ihr hinterhältiger Angriff mit jedem Atemzug näher kam. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass es Grace, Cole und Matthew gut ging, ließ ich meinen Blick eilig über den Kampfplatz streifen und versuchte, mir alles genau einzuprägen; vielleicht gab es ja etwas, das man später zu seinem Vorteil nutzen konnte. Die wenigen tiefhängenden Äste könnten vielleicht hilfreich sein - oder auch nicht, wenn man blöd genug war und sich wie Lewis gerade eben den Kopf daran stieß. Ansonsten gab es nicht viel Auffälliges, nur ein wenig Dornengestrüpp und ein paar Büsche zwischen den hohen Bäumen. Das Baumhaus war von hier aus nicht mehr zu sehen... Wenn es Verletzte gab, sollte man sie also besser irgendwo anders unterbringen. Eine kleine Baumhöhle an der Rückseite einer der Buchen könnte so ein Versteck darstellen; das würde ich im Hinterkopf behalten. Die Anderen hatten sich mittlerweile in einem Kreis mit den Rücken zueinander auf dem Platz aufgestellt und beäugten misstrauisch den stillen Wald um uns herum. Sie schienen alle unversehrt und waren in guter Form, ihre Gesichter zeigten Mut und die Entschlossenheit, dem Dunkelelfenheer die Stirn zu bieten. Jane, die zwischen Grace und Lewis stand, fletschte ungeduldig die Zähne, während Shaunee immer wieder nervöse Blicke zu ihrer Tochter und dann wieder auf den Wald warf. Ethan, der neben mir in unserem kleinen Kreis stand, gab sich ruhig und selbstsicher, aber ich merkte, dass er eigentlich noch viel nervöser war als wir anderen. Schlagartig wurde mir wieder einmal klar, dass Dakarius sein Vater war, und Verständnis machte sich in meinem Kopf breit. Es musste unglaublich schwer sein, sich seinem eigenen Vater so in den Weg zu stellen und vielleicht bis auf den Tod mit ihm zu kämpfen. Ich nahm seine Hand in meine und drückte sie sanft, um ihn zu beruhigen. Ethan sah mich dankbar an, und ich lächelte zurück. Ich war froh, dass er da war und dass wir uns gegenseitig Sicherheit gaben in diesem hoffentlich letzten Kampf, wie immer er auch ausgehen mochte.
"So, so, so." Ich hörte seine dunkle, boshafte Stimme, noch bevor sich sein breites, gehässiges Grinsen aus der abendlichen Dunkelheit schälte. "Habt ihr euch also entschieden hier aufzutauchen." Langsam und leise wie ein Schatten tauchte der Anführer der Dunkelelfen zwischen den Bäumen auf. Außer ihm war niemand zu sehen, aber es war klar, dass in den Bäumen um uns herum ein ganzer Haufen feindlicher Krieger saß und nur auf sein Signal zum Angriff wartete. Dakarius war böse, aber leider weder dumm noch aufrichtig genug, um sich uns alleine und offen zu stellen. Ein paar der Vampire begannen zu knurren, als Dakarius den Schauplatz betrat, aber er tat, als höre er sie gar nicht und kam Schritt für Schritt immer näher, das falsche Grinsen immer noch breit über das Gesicht gespannt. Direkt vor Ethan blieb er schließlich stehen und blickte mit nun blankem Gesichtsausdruck auf seinen Sohn hinunter. Ich hatte alles erwartet, Geschrei, puren Hass, eisiges Schweigen; nur nicht das, was im nächsten Augenblick geschah. Der Anführer der Dunkelelfen begann zu lachen und klatschte seinem Sohn auf die Schulter, der geschockt zu seinem Vater aufblickte und dessen Reaktion offenbar genauso wenig kommen gesehen hatte wie ich. "Ach, mein Junge! Ich hätte nicht geglaubt, dass du unseren Plan tatsächlich noch durchziehst! Aber du hast es wirklich geschafft! Sie sind hier, und genau vor unseren Klauen wie geplant! Ich bin so stolz auf dich, mein Sohn!" Kurz war es still. "Plan!?", knurrte Jane hinter mir ungläubig und die Blicke der gesamten Truppe richteten sich auf meinen Freund. Auch ich sah ihn an, die Worte des Anführers verwirrten mich. Das konnte nicht stimmen, Ethan würde uns, würde mich niemals verraten. Der junge Dunkelelf sah seinen Vater voller Verachtung an und schnaubte. "Plan? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir schon jemals einen Plan gehabt hätten. Aber es war ja klar, dass du dich uns nicht einfach stellen kannst. Was bist du eigentlich für ein mickriger Anführer, der seine Untertanen in Dreckshütten verhungern lässt und sie dann noch zwingt, für seine eigenen Interessen in den Kampf zu ziehen? Du hast deine Familie und dein Volk verraten und wagst es, mich einen Verräter zu nennen? Ich habe mich für eine Seite entschieden, und meine Freunde wissen das auch, also spar dir deine faulen Tricks." Ethan's Stimme war kalt und abstoßend, und es war beängstigend, ihn so feindselig zu sehen. Doch seine Worte schienen etwas von dem Hass und der Verachtung vieler Jahre nach außen zu tragen und für einen kurzen Augenblick meinte ich, so etwas wie Schmerz in Dakarius' Augen aufblitzen zu sehen, bevor sie wieder kalt und grausam wurden. " Und ich dachte, du hättest vielleicht noch ein wenig Ehre in dir... Nun, wie du meinst. Später kann mir niemand vorwerfen, ich hätte es nicht versucht. Aber wenn ich euch erstmal in meiner Gefangenschaft habe, kannst du von mir keine Gnade erwarten. Das heißt, falls es noch Gefangene geben wird..." Der große, hagere Mann ließ ein finsteres Lachen hören, dann machte er plötzlich einen Satz nach hinten und brüllte: "Jetzt!", während er mit beiden Händen eine schwarze Lichtkugel in unsere Richtung schoss. Dunkelelfen und Vampire stoben auseinander und wurden nur haarscharf von den dunklen Flammen verfehlt, die vorbeirauschten und zischend gegen einen zwei Meter entfernten Baumstamm krachten. Das schien das Signal gewesen zu sein, denn jetzt tauchten mit einem Mal Dunkelelfen überall um uns herum aus dem Dickicht auf und umkreisten uns, um uns an der Flucht zu hindern. Ich spürte, wie die Gruppe um mich herum in Position ging, und machte mich ebenfalls für einen Angriff bereit. Ich erschuf eine brennende Lichtkugel und ließ sie zwischen meinen Fingern tanzen, während mein Blick abschätzend über die feindlichen Krieger strich. Eine Schwachstelle war auf den ersten Blick nicht zu erkennen, aber das würde ich später schon noch merken. Ein Kampfschrei riss mich aus meinen Überlegungen und ich nahm aus dem Augenwinkel einen orangefarbenen Lichtball war, der mit rasender Geschwindigkeit auf mich zukam. Blitzschnell sprang ich zur Seite und donnerte dem Schützen meine hellere Lichtkugel gegen den Kopf, woraufhin er überrascht aufstöhnte und bewusstlos zu Boden sank. Auch die anderen Dunkelelfen griffen jetzt an, und um mich herum begann ein hitziger Kampf. Ich wurde auch sofort wieder von einer jungen Blondine in ein Duell verwickelt; sie schien sich für ihren geschlagenen Kollegen rächen zu wollen. Dieser Zweikampf war schon deutlich schwieriger, denn die Frau war wendig und ihre Attacken kamen schnell hintereinander, sodass ich ihr einige Male nur knapp ausweichen konnte. Die Kriegerin war deutlich älter als ich, und nach circa zwei Minuten ergebnislosen Kampfes dämmerte es mir, dass ich so nicht gewinnen konnte; sie war einfach zu stark und schien nicht müde zu werden. Also änderte ich meine Taktik. Ich erzeugte einen schimmernden Lichtschild vor meinem Körper und sprintete weg, in der Hoffnung, ein wenig Abstand zu meiner Gegnerin zu gewinnen. Als ich am Rand der Lichtung angelangt war, rettete ich mich mit einem seitlichen Hechtsprung hinter einen Baum und hielt den Atem an in der Hoffnung, dem Supergehör hinter mir zu entkommen. Ich hatte Glück; das Kampfgetümmel und die ungewohnte Umgebung schienen sie zu verwirren und so stieß meine Verfolgerin nur einen wütenden Schrei aus und stürmte davon, um sich einen anderen Gegner zu suchen. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, dann formte sich in meinem Kopf ein Plan und ich begann zu grinsen. Ich würde sie nicht so einfach gewinnen lassen, da hatte sie sich geschnitten. Ich sah mich um und fand auch gleich, was ich suchte: einen von Dakarius Soldaten, der gerade mit Grace kämpfte. Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen, als ich beobachtete, wie sich der erwachsene Mann zitternd vor Wut einen Schlammbatzen aus dem Gesicht wischte und sich gleich darauf unter einem Regen an Kieselsteinen hinwegduckte. Das Mädchen hatte eben auch was drauf. Trotzdem musste ich ihr kleines Gefecht jetzt unterbrechen, so unterhaltsam es auch gewesen war. "Hey, Matschbirne!", rief ich zu dem Dunkelelfen hinüber und schoss einen Lichtstrahl nach seinem Kopf, der ihn gewollt nur sehr knapp verfehlte. Schnaubend wandte er mir sein puterrotes Gesicht zu und begann, mit Lichtblitzen nach mir zu zielen. Ich drehte mich um und rannte los, mit den Augen insgeheim auf der Suche nach meiner vorherigen Gegnerin. Jetzt hatte ich sie erspäht; die blonde Frau strich immer noch zwischen den Kämpfenden hin und her, auf der Suche nach einem Feind, der gerade nicht kämpfte und den sie vielleicht mit einem Angriff aus dem Hinterhalt überraschen konnte. Ich stürmte geradewegs auf sie zu, bis ich nur noch wenige Meter von ihr entfernt war und stieß anschließend einen erschrockenen Schrei aus, so als hätte ich sie gerade erst entdeckt. Die feindliche Kriegerin wandte sich zu mir um und als sie mich erkannte, knurrte sie angriffslustig und kam drohend auf mich zu. Ich wartete, bis mein Verfolger und die blonde Dunkelelfin, die beide blind vor Verfolgungswahn zu sein schienen, jeweils nur noch etwa einen halben Meter von mir entfernt waren, dann sprang ich blitzschnell zur Seite und sah mit einem zufriedenen Grinsen zu, wie die beiden feindlichen Soldaten mit voller Wucht gegeneinander krachten und anschließend stöhnend zu Boden gingen. Dakarius' Training war wohl doch nicht ganz so gut gewesen, wie er annahm. In diesem Moment empfand ich zum ersten Mal so etwas wie Triumph über Dakarius, und ich genoss den Augenblick. Doch Schadenfreude bringt Unglück - auch für mich. Das wurde mir schlagartig wieder klar, als sich urplötzlich eine Hand von hinten über meinen Mund legte und eine weitere mich unsanft zu Boden presste. Keuchend schnappte ich nach Luft und versuchte, mich mit Armen und Beinen aus dem Griff meines Widersachers zu befreien, doch bevor es mir gelingen konnte, schlossen sich zwei weitere eisige Hände um meine Hand- und Fußgelenke und hielten diese mit übermenschlicher Kraft auf dem Boden fest. Verzweifelt bemühte ich mich, den Kopf zu drehen, um meinen Angreifer sehen zu können oder wenigstens die lästige Hand auf meinem Mund loszuwerden, die von einem Gehilfen der Person hinter mir zu stammen schien. Meine erste Frage beantwortete sich mir, als mir der schwere, modrige Gestank von Dakarius Umhang in die Nase stieg. Ich verzog das Gesicht. Dakarius schien es bemerkt zu haben; er beugte sich zu mir hinunter und zischte mir ins Ohr: "Ein Mucks und ich mach dich kalt, Geistermädchen!" Noch bevor ich mich über den Spitznamen ärgern könnte, den mittlerweile jeder zu benutzen schien, nahm ich aus dem Augenwinkel Iona war, die nur wenige Meter entfernt suchend durch das Kampfgetümmel streifte. Eine Idee tauchte in meinem Kopf auf und ich überlegte nicht lange. Es war mehr als riskant, aber sie war vielleicht meine einzige Chance, um nicht als Dakarius' Geisel herhalten zu müssen. Blitzschnell schlug ich meine Zähne in die Hand des Gehilfen, der vor Schmerz wütend aufheulte und damit die Aufmerksamkeit Ionas auf sich zog. Während sich Dakarius Hände um meinen Hals schlossen und mich im Würgegriff hielten, sodass ich röchelnd nach Luft schnappte, hoffte ich mit jedem Winkel meines Körpers, dass die Dunkelelfin es sich in ihrer Treue nicht anders überlegt hatte. Gerade als ich dachte, es wäre vorbei, spürte ich, wie sich die Hände um meine Kehle lösten und Sauerstoff zurück in meine Lungen strömte. Gierig sog ich die frische Luft ein, dann sah ich zu Boden und entdeckte einen wütenden Dakarius, der mit einer jungen Dunkelelfin rang, die ihn mit aller Kraft auf die moosbedeckte Erde presste und dabei aussah, als hätte sie gerade den größten Spaß der Welt. "Alles klar?", fragte sie mich durch vor Anstrengung zusammengebissene Zähne. Ich nickte nur, dann entdeckte ich plötzlich einen der feindlichen Soldaten, der mit erhobener, schlagbereiter Hand direkt auf uns zugerast kam. Schnell erstellte ich einen Lichtschild um mich und Iona und feuerte von innen mit einem Lichtblitz zurück. Ich hatte getroffen und der für seine Größe viel zu dünne Mann ging zu Boden. Mir war fast, als hätte ich seine Knochen klirren gehört, und bei der Vorstellung lief mir ein leichter Schauer über den Rücken. Angeekelt wandte ich meinen Blick ab und suchte nach weiteren Angreifern. Gerade noch rechtzeitig bemerkte ich zwei weitere Krieger, die versucht hatten, sich von hinten an uns heranzuschleichen. Ich feuerte weitere Lichtblitze, die ihr Ziel auch alle trafen, doch schon tauchten neue Gegner aus dem Gestrüpp des Waldes auf, diesmal eine Gruppe von mindestens sieben Erwachsenen auf einmal. Ich gab Iona einen Wink und sie gab Dakarius frei, dann ließ ich den Lichtschild platzen und wir machten uns aus dem Staub. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass wir gerade eben die Chance gehabt hätten, Dakarius ein für alle mal den Gar auszumachen, und dass ich mir noch nie genauere Gedanken darüber gemacht hatte, was wir denn eigentlich mit ihm machen wollten, wenn wir ihn besiegt hatten. Obwohl er unser Feind war, hatte keiner von uns beiden diese Möglichkeit in Betracht gezogen. Bevor ich mir weitere solcher Fragen stellen konnte, wurde ich abermals von einem der feindlichen Soldaten angegriffen und begab mich wieder einmal in einen heftigen Zweikampf.
Mittlerweile musste es wohl eine Stunde gewesen sein, die wir gekämpft hatten. Überall auf der großen Lichtung waren Blutspritzer und verkokeltes Gras zu sehen, verteilt zwischen den bewusstlosen Körpern der besiegten Krieger und den immer noch Kämpfenden. Ich wusste mittlerweile gar nicht mehr, gegen wen ich alles gekämpft hatte. Das war im Chaos des Gefechts untergegangen, das sich seit Anfang der Schlacht eigentlich kaum verändert hatte. Die übriggebliebenen Kämpfer waren schon etwas erschöpfter als am Anfang, aber das Feuer des Hasses loderte weiter und schien ihnen Bärenkräfte zu verleihen. Das schreckliche Highlight des bisherigen Duells beider Seiten war der Tod eines Dunkelelfenkriegers gewesen, den ich zuvor noch nie gesehen hatte. Er hatte wohl als einziger so großes Pech gehabt; auch wer der Mörder gewesen war, blieb im Eifer des Gefechts ungewiss. Das Schuldbewusstsein in meinem Hinterkopf sagte mir immer wieder, dass ich es indirekt getan hätte, da ich diesen Kampf nicht rechtzeitig verhindert und nach einer anderen Lösung gesucht hatte. Normalerweise hätte ich mir das sehr zu Herzen genommen; jetzt aber konnte ich nichts weiter tun, als dafür zu sorgen, dass wir diesen Kampf gewannen. Gerade befand ich mich auf einem tiefwachsenden Ast am Rande des Schauplatzes und versuchte herauszufinden, wo ich am dringendsten gebraucht wurde. Ich wollte gerade Shaunee zu Hilfe eilen, als ich aus dem Augenwinkel etwas bemerkte, das mir sprichwörtlich das Blut in den Adern gefrieren ließ. Dakarius hatte die kleine Marie entdeckt, die anscheinend zuvor aus ihrem Versteck gekommen war, und drängte sie jetzt gegen einen breiten Baumstamm. Sie zitterte am ganzen Körper und starrte voller Angst in die grausam kalten Augen, die der hagere Dunkelelfenanführer voll teuflischer Besessenheit auf sie gerichtet hatte, während er mit der rechten Hand einen gewaltigen Lichtblitz formte. In diesem Moment schaltete mein Verstand ab, und mein Beschützerinstinkt nahm Überhand. Ich dachte gar nicht groß nach, als ich meine ganze Kraft sammelte und eine gigantische Kraftwelle gegen Dakarius schleuderte. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich seinen ungläubig-entsetzten Blick erhaschen, in dem Augenblick, als ihm klar wurde, dass er nicht mehr ausweichen konnte.
Es gab einen ohrenbetäubenden Rumms, als der Dunkelelfenanführer mit voller Wucht gegen den mächtigen Baum krachte und einen Moment lang von der abklingenden Kraftwelle an Ort und Stelle festgehalten wurde, bevor er wie ein nasser Sack am Stamm entlang nach unten rutschte und bewegungslos liegenblieb. Mit einem Mal war es totenstill und alle Blicke waren auf das unglaubliche Schreckensszenario gerichtet, das sich gerade hier abspielte. Die Erkenntnis, was ich gerade getan hatte, traf mich unerwartet und heftig wie ein Schlag und ich sackte zu Boden. Zitternd und mit weit aufgerissenen Augen betrachtete ich meine Hände, an denen ich bei jedem Blinzeln imaginäres Blut kleben sah. "Was hab ich getan...", flüsterte ich, erschrocken und bestürzt über mich selbst. "Was hab ich getan!?", wiederholte ich nun fast schreiend, während ich schwankend aufstand und verzweifelt versuchte, einen logischen Gedanken zu fassen. Plötzlich spürte ich Ethan neben mir. Er legte seine Hand auf meinen Rücken und redete beruhigend auf mich ein, während er versuchte, mich langsam von der Szene wegzuziehen. Widerwillig riss ich mich los und rannte auf den verletzten Krieger zu, in der Hand ein heilendes Licht formend, mit dem Kopf noch in der verzweifelten Hoffnung, ich könnte meine Taten rückgängig machen. Bis auf wenige Meter kam ich an den Dunkelelfen heran, dann hatte Ethan mich eingeholt und hielt mich mit eisernem Griff fest, sodass ich trotz Treten und um mich Schlagen nicht mehr loskam. "Beruhig dich, Luna!", drang seine eindringliche Stimme an mein Ohr, doch ich wollte es gar nicht hören. Die Tränen liefen mir übers Gesicht, während ich stumm weiterkämpfte und versuchte, den Gedanken, dass ich gerade jemanden umgebracht hatte, irgendwie als Lüge zu sehen. Plötzlich nahm ich von vorne ein heiseres Krächzen war und hob den Kopf. Dakarius hatte die Augen einen spaltbreit geöffnet und röchelte schwach. "Vergiss es, Geistermädchen. Deine Hilfe will ich nicht." Ein rasselnder Atemzug kostete ihn viel Kraft und er schloss die Augen wieder. Dann lag er still, und ich dachte, er wäre tot. Ich wollte mich wegdrehen, um nicht in das totenbleiche Gesicht des ehemaligen Anführers blicken zu müssen. Doch gerade in diesem Moment schoss sein Kopf in die Höhe, und mit seiner gesamten letzten Kraft brüllte er: "KÄMPFT!" Dann sank sein Körper leblos gegen den Stamm und er regte sich nicht mehr.
"NEIN!!!" Ein wütender, schmerzerfüllter Schrei durchschnitt die Luft und erweckte mich aus meiner Schockstarre. Blitzschnell entwand ich mich dem Griff meines Freundes und drehte mich um. Aaron, der junge Dunkelelf vom Training, war vorgeschossen und rannte zu seinem toten Anführer. Ein blondes Mädchen folgte ihm und versuchte verzweifelt, ihn zu beruhigen, doch der Junge schrie sie an und sie floh erschrocken zurück zu den anderen. Aaron atmete schwer, und ein unwohles Gefühl machte sich in mir breit, sodass ich unwillkürlich in Angriffsstellung ging. Doch was dann geschah, ging so schnell, dass ich es nicht einmal hätte verhindern können, wenn ich direkt daneben gestanden hätte. Der junge Krieger schnellte herum und schoss willkürlich einen Feuerball ab, der mit rasender Geschwindigkeit genau auf Grace zuschoss. Ich konnte Entsetzen in ihrem Gesicht lesen, und die Gewissheit, dass sie dem sicheren Tod ins Auge blickte. Plötzlich schoss ein roter Haarschopf heran und warf sich vor das Menschenmädchen. Wie in Zeitlupe sah ich, wie Grace' den Mund zu einem überraschten Schrei öffnete, einen Herzschlag bevor der Feuerball Jane an der Brust traf. Ihre dunkelroten Augen glänzten ein letztes Mal in der untergehenden Sonne, dann schlug sie hart auf dem Boden auf und die Zeitlupenwahrnehmung war vorüber. Ich hatte nicht einmal Worte für das, was gerade geschehen war. Es war, als wäre ein Albtraum wahr geworden. Ich versuchte, zu meiner Freundin zu laufen, doch in diesem Augenblick pulsierte der Geisterfluch durch meinen Körper und brachte mich zum Fall. Der stechende Schmerz der feindlichen Magie ging jedoch beinahe unter in dem Gefühlschaos, das sich in meinem Herzen abspielte. Ich erkannte Angst, Trauer, Wut, Ungläubigkeit und noch viele weitere Emotionen, die ich gar nicht richtig erfassen konnte und die sich zu einem einzigen, unfassbar schmerzhaften Klumpen in meiner Brust vermischten. Benommen spürte ich, wie meine Körperteile nach und nach von einer Art eiskalten Flüssigkeit überzogen wurden, die mir die letzten Reste der Kraft raubte, die ich noch besaß. Schwach drang noch Ethans verzweifelt schreiende Stimme an mein Ohr, und ein letztes, unausgesprochenes "Tut mir leid!" schoss durch meinen Kopf, bevor ich nachgab und mich der Dunkelheit auslieferte, die langsam aber sicher alles um mich herum verschluckte.Weiter geht's bei Rosebloodxx (ehemals CrazyCat179)💙
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Projekt J
FantastikDas ist ein Projekt von @CrazyCat179 @Honigtatze und mir. Lest selbst!