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Die junge Frau betrachtete, mit düsterer Miene, das Foto in dem großen, in schweres Leder gebundenen, Fotoalbum. Ihr eigenes strahlendes Gesicht. Das ihres Mannes. Das weiße Kleid. Der Tag war wundervoll gewesen und die darauf folgenden Wochen auch, aber das ist lange her. Sie blättert eine Seite weiter. Lächelnde Gesichter. Freude. Liebe. Eine Zeit der großen Träume und Pläne. Alles Schwachsinn. Ein bitteres Lächeln umspielt ihre Lippen. Sie schließt das Buch und lässt es achtlos auf den Boden fallen. Das Schwenken der goldenen Flüssigkeit im Kristallglas in ihrer Rechten ist weitaus wichtiger. Sie nimmt einen Schluck und schließt die Augen. Das Brennen in der Kehle ist ein herrlich befriedigendes Gefühl.

Ein Blick auf die Uhr verrät ihr, er ist spät dran. Wieder einmal. Wenn er zur Tür rein kommt, wird er ihr etwas von Überstunden, Besprechungen und irgendeinem Bürokram erzählen. Es sei nicht ungewöhnlich, dass er bis nach zehn arbeiten müsse. Als Kopf des Unternehmens habe er eine große Verantwortung zu tragen und viel zu tun. So so viel zu tun. Sie schnaubt verächtlich und nimmt noch einen Schluck. Sie wird sich die Ausreden still schweigend, aufmerksam anhören, aber er wird Misstrauen in ihrem Blick erkennen. Das tut er immer, und es ärgert ihn. Trifft sein Ego. Er durchschaut, dass sie ihn längst durchschaut hat. Vermutlich wird er etwas unüberlegt Gemeines sagen und sie wird verletzt kontern. Sie werden streiten. Wieder einmal. Vielleicht nur mit Worten, vielleicht fliegen Gläser. Das wäre nicht das erste Mal, ihre Gläser gehen zuneige.

Sie nimmt noch einen Schluck und schenkt nach. Das dritte Glas an diesem Abend, und die ersehnte Wirkung macht sich langsam bemerkbar. Das wohlbekannte, schummrige Gefühl breitet sich aus, der Frust verschwindet keineswegs. Halb zwölf. Sie will nicht, die besorgte Unruhe macht sich trotzdem breit. Wenn er nicht lange arbeiten musste und ihm etwas passiert ist? Sie beißt sich auf die Unterlippe. Unwahrscheinlich. Er wird die Zeit bei seiner Hure vergessen haben. Ihr Blick wandert zum Telefonhörer, der stumm auf dem Beistelltisch neben dem großen Sessel liegt, auf dem sie es sich bequem gemacht hat. Sie stützt das Kinn in die Handfläche. Sollte sie vielleicht doch anrufen? Mit zusammengezogenen Augenbrauen schüttelt sie kaum merklich den Kopf. Nein. Diese Genugtuung wird sie ihm nicht mehr zukommen lassen. Verdammt. Sie atmet geräuschvoll aus. War etwas passiert?

Das Knacken des Türschlosses reißt sie aus ihren Gedanken. Er kommt zur Tür rein und schmeißt Tasche und Jacke auf die Kommode. Dann lockert er seine Krawatte und fährt sich durchs Haar. „Entschuldige die Verspätung. Bei den Daten ist etwas schief gelaufen und das Projekt musste komplett neu organisiert werden..." Er kommt auf sie zu und drückt ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, ohne sie dabei wirklich anzusehen. Scheinbar ziellos tigert er durch den Raum. „Ich habe gleich gesagt, wenn man will das Dinge anständig laufen, muss man sie selber machen. Es ist doch immer das Gleiche und jet.." Er sieht ihr ins Gesicht, sieht das halbherzige Lächeln, die leicht erhobene Augenbraue und das überheblich erhobene Kinn. Sie weiß, er lügt. Er weiß, dass sie es weiß. Wieder einmal.

Er schluckt und seine Miene verdüstert sich. Dann fällt sein Blick auf das Glas in ihrer Hand. Angewidert verzieht er das Gesicht. Sie lächelt provozierend. „Nimm dir doch auch ein Glas Jack. Trink einen Schluck mit mir und erzähl mir von deinem Tag." Süß und unschuldig. Aufgesetzt, das erkennt er. „Nein, Danke. Ich verzichte." Er schnaubt und schüttelt den Kopf. Ihre Augen verengen sich und sie schiebt beleidigt die Unterlippe vor. Er kann sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. „Der Hundeblick zieht bei mir nicht. Das weißt du." Auch sie muss leicht lächeln. Ja das weiß sie gut. Skeptisch betrachtet er den Bücherhaufen zu ihren Füßen. Er kniet sich hin und schlägt eins der Alben auf. Weitere Bilder ihrer Hochzeit springen ihr entgegen. Privatere aus der darauf folgenden Nacht. Sie sieht den verliebten Blick mit dem er die Fotos betrachtet, vorsichtig über die glatte Oberfläche streicht und muss schlucken. Ihr Herz verkrampft sich. Diesen Blick hat sie lange nicht mehr gesehen und wollte ihn auch gar nicht mehr sehen. Sie ist es leid, verletzt zu werden, will dieses falsche Spiel nicht mehr mitspielen, aber genau das tut sie. „Weißt du, du warst nicht immer so..." Er sieht ihr müde ins Gesicht. „Wie?" „So verbittert Bonnie..." Sie verdreht die Augen. „DU warst auch nicht immer so..." „So wie?" Sie unterdrückt ein albernes Kichern, indem Sie sich auf die Lippe beißt. „So steif." der Alkohol zeigt seine Wirkung. Er lächelt süffisant und in seinen Augen blitzt es. „Zu steif ja?" Er steht auf und zieht sie mit einem Schwung vom Sessel hoch. Jetzt kann sie das Kichern nicht mehr unterdrücken. Seine sturmgrauen Augen fixieren ihre Grünen. Sie spürt seinen eindringlichen Blick auf ihrer Haut und die feinen Härchen auf ihren Armen stellen sich auf. Ihr Blick wandert zu seinen Lippen, ehe er sie an sich zieht und Selbige auf Ihre legt. Er vergräbt eine Hand in ihrem Haar und zieht Sie mit einem Ruck drängender an sich. Für einen Moment fühlen sich Beide in eine andere Zeit versetzt. Dann klingelt sein Handy.

Das beflügelnde Gefühl, das sie gerade ergriffen hatte, verschwindet mit einem Schlag. Er zieht das Telefon aus der Tasche und verlässt eilig den Raum. Sie hört ihn trotzdem, mit gedämpfter Stimme, in der Küche flüstern. „....Ja, ich weiß... ich hab dir gesagt, du sollst mich nicht anrufen, wenn ich zuhause bin..." Sie verdreht die Augen und lässt sich zurück in den Sessel sinken. Ihr Kopf knallt gegen die Rückenlehne. Natürlich. Wie konnte sie auch nur für eine Sekunde vergessen? Sie nimmt das noch immer halbvolle Glas vom Beistelltisch und leert es in einem Zug. Ihre Sinne sind nun vollends berauscht. Der Frust bleibt.


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Herzlich willkommen zu meiner ersten veröffentlichten Geschichte, aus vollkommen eigener Feder. Den ersten Teil dieser kleinen Kurzgeschichte hast du schon geschafft lieber Leser. Zuallererst vielen Dank dafür. Als Autor dieses kleinen Hirngespinstes hoffe ich natürlich ich habe dich genügend angefixt, um weiterzulesen -falls ja, dann lass mir doch deine Meinung da, darüber würde ich mich freuen. Bis dahin. 

Wir sehen uns am Ende der Geschichte wieder liebe/-r Leser/-in. Ich danke für das Interesse und viel Freude beim Lesen.

A. J. Herbst

Tainted LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt