Leah

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"Oh! Dir gehts' gut!"

Bevor ich überhaupt realisieren konnte, was passierte, wurde ich stürmisch umarmt. 

"Ich hatte schon Angst, du hast einen Schock!"

"Nelly, mir gehts' gut! Würdest du mich bitte los lassen?"

Nelly brachte etwas Abstand zwischen uns, hielt mich aber weiterhin an den Schultern fest und musterte mich genau. Ich schüttelte ihre Hände ab.

"Ich habe keinen Schock, aber wie geht es euch? Hat Lisa sich wieder beruhigt?" Ich mochte Lisa zu wenig, um mir wirklich sorgen um sie zu machen, aber ich fragte aus Höflichkeit.

"Wieso, was hat Lisa denn?", fragte Josh alarmiert. Auf einmal schien her hellwach zu sein. 

Nelly guckte mich vorwurfsvoll an. Sie fand es nicht gut, dass ich mit niemandem über das redete, was in meinem Leben so passierte. Gerade, wenn es um so etwas wie gestern Nacht ging. 

Ich seufzte, fing aber an, Josh die Ereignisse zu erklären; grob zumindest.

"Mach den Mund wieder zu, du sabberst gleich", kommentierte ich Joshs Gesichtsausdruck, als ich fertig war zu erzählen.  

Ich blickte Nelly an: "Zufrieden? Können wir jetzt rein kommen? Es ist arschkalt hier draußen."

Nelly trat zur Seite und ich betrat den kleinen Flur, von dem eine Treppe nach oben in die Wohnung  und eine Tür zum Café führte. Der Flur war dunkel, nur eine einzige alte Lampe hing von der Decke und reichte gerade mal aus, um die Stufen zu beleuchten.  Ansonsten gab es hier nichts, keine Bilder, keine Dekoration. Das änderte sich, wenn man die Stufen hoch ging. Die kleine Wohnung in der ersten Etage stand voll mit Blumen, Bilderrahmen, die Nelly an den verschiedensten Orten in den USA zeigte, und Andenke, die sie von ihren Reisen mitgebracht hat. Die Wände waren in einem hellen grau-ton gestrichen und auf dem Boden lag ein großer weißer Teppich. Es gab 5 Türen, alle ebenfalls in weiß:  Eine führte in ein kleines, aber luxuriöses Badezimmer, eine in Nelly Schlafzimmer, eine in Lisas Schlafzimmer, in welchem ich noch nie war, Lisa hatte immer darauf geachtet, wahrscheinlich hatte sie Angst, ich klaue einen ihren Nagellacke, eine in die große Küche und die letzte Tür führte in das Wohnzimmer. 

Dort saß auch Lisa, auf der hellbraunen Kunstleder Couch, in eine dicke Decke eingewickelt und mit einer Tasse Tee in der Hand. Im Fernseher lief irgend eine Serie, die ich nicht kannte. 

Als wir den Raum betraten, blickte Lisa uns an, ihre Augen waren noch etwas gerötet und geschwollen, es war offensichtlich, dass sie gestern noch lange geweint hatte. Die letzte Nacht hatte sie wirklich mitgenommen. blickte mich blickte sie wie immer hasserfüllt an, aber als sie Josh sah, der hinter mir stand, lächelte sie breit. Auch Josh fing an zu grinsen. Nelly und ich sahen uns an und dachten beide das Gleiche. 

"Josh, du guckst Gilmore Girls doch auch gerne, oder? Leah und ich gehen in die Küche, dann könnt ihr beide in Ruhe Fernseh gucken."

Schnell nickte Josh; Der Anblick von Lisas verheultem Gesicht hatte ihm anscheinend die Sprache verschlagen. Die Sache mit Gilmore Girls war übrigens nicht gelogen. Josh liebte solche Serien. Dass er sie mit Lisa gucken durfte, war umso besser. 

Grinsend drehten Nelly und ich uns um. Ich folgte ihr in die Küche, wo auf dem altmodischen Gasherd irgendetwas in einem Topf kochte. Den Geruch konnte ich nicht zuordnen. 

Auch sonst war die Küche eher altmodisch eingerichtet. Ein großer, massiver Holztisch, dazu passende Stühle, die grünen Küchenschränke sahen aus wie aus den 50ern. Die Wände waren, wie im Flur, hellgrau. 

Während ich mich an den Tisch setzte, nahm Nelly zwei Tassen aus einem der Schränke und füllte sie mit Kaffee, welcher, wie ich beim trinken bemerkte, nur noch lauwarm war. 

So pingelig Nelly mit ihrem Kaffee und ihren Kunden auch war, sobald sie das Café verließ, war sie diesbezüglich eine andere Person. Also ließ ich den Kaffee stehen und probierte stattdessen den Kuchen, den sie mir unter die Nase gestellt hatte. Dieser war genau so warm wie der Kaffee, aber um einiges leckerer. Nelly selbst aß nichts, sonder trank nur ihren Kaffee. "Also, dir geht es wirklich gut? Du willst nicht nur nicht darüber reden?", vergewisserte sie sich. 

"Nein, mir macht das Ganze erstaunlicherweise wenig aus. Ich habe es einfach irgendwie akzeptiert.", versuchte ich das zu erklären, was ich auch nicht verstand. 

"Das ist gut, wenn auch etwas komisch. Aber mich beschäftigt es auch nicht so sehr wie Lisa. Sie hat bis heute morgen um halb 5 geweint, hat immer nur die Worte "Blut" und "Waffen" geschluchzt." 

Mein Mitleid für Lisa hielt sich weiterhin in Grenzen. 

"Was mich aber wirklich wundert", fuhr Nelly fort, "ist, wieso war sein Blut schwarz und woher hatte er überhaupt eine Schussverletzung. Ich weiss, wir leben in einer Großstadt, in der sicherlich nicht alles mit rechten Dingen zugeht, aber ich dachte, wir leben in einem relativ sicheren Viertel. Und wieso ist die Wunde so schnell geheilt, wieso war der zweite Mann so gelassen?"

"Das frage ich mich auch die ganze Zeit." Mehr sagte ich dazu nicht. Ich erzählte ihr nicht, was danach noch passiert ist, wo ich heute Abend hingehen werde. Ich war nun einmal der Typ, der Sachen mit sich selbst ausmachte und das wusste Nelly. Ich war mir sogar sicher, sie wusste, dass ich etwas verschwieg, sie ließ sich nur nichts anmerken. 

"Naja, es bringt nichts, sich darüber Gedanken zu machen, wir hatten diese Männer vorher noch nie gesehen und werden das wahrscheinlich auch nie wieder." Sie lächelte. 

Das war eine der Gründe, wieso ich sie so mochte. Sie akzeptierte Dinge einfach, wie sie waren, egal, worum es ging. Denn ich war das genaue Gegenteil.

Damit war das Thema auch durch. Wir redeten noch über unwichtige Dinge, Nelly kochte neuen Kaffee, den man diesmal auch trinken konnte, und wir wetteten, wann Lisa und Josh endlich zusammen kommen würden. 

Als es 18:00 wurde, verabschiedete ich mich von Nelly und schaffte es sogar in unter einer Minute, Josh zu überzeugen, zurück mit mir nach Haus zu kommen. Ich war doch aufgeregter als ich dachte, in ein paar Stunden Elijah wieder zu sehen, und ich musste vorher definitiv die Fragen in meinem Kopf sortieren, bevor ich sie ihm stellen würde. 

Die Chroniken der verborgenen JägerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt