Leah

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Ich lief durch den Park. Der Kiesweg knirschte unter meinen Schuhen, ich hörte das Rascheln der Bäume um mich herum und das Singen der Vögel weit über mir. Ich schaute ihnen hinterher, wie sie mit kräftigen Flügelschlägen über die Baumwipfel flogen. Ich bog nach links, in einen verlasseneren Teil der Parks, ab. Hier war es deutlich ungepflegter, die Hecken waren nicht so schön in Form geschnitten, das Gras reichte mir fast bis zu den Knöcheln und zwischen den Blumen lag Müll. Ich mochte diesen Teil dennoch am liebsten. Das künstlich Schöne wirkte aufgesetzt, als versucht es, von den unschönen Seiten dieser Stadt abzulenken. Ich setzte mich auf eine schon etwas mit Moos überwachsene Bank. Ich nahm mein Handy aus der Tasche meiner Lederjacke und starrte auf die Nummer von Elijah. Sollte ich ihm schreiben? Ich entschied mich dagegen und lehnte mich zurück. Meine Gedanken gingen wieder zurück zu letzter Nacht. Ich seufzte. Mich verwirrte nicht, das, was Elijah mir gesagt hatte, ich hatte nicht einmal Angst, obwohl er mir ja quasi gestanden hatte, dass er ein Auftragskiller war, mich machte nur fertig, mit was für einer Ruhe ich das ganze akzeptierte. Sollte ich mich nicht panisch in meinem Zimmer einschließen und zur Polizei gehen? Achja, bringt ja nichts.

Ich hörte Schritte auf mich zukommen und drehte meine Kopf nach rechts und sah einen lächelnden Henry vor mir stehen. Die Sonne, ließ seine braunen Haare heller erscheinen und unter seinen braunen Augen hatte er dunkle Augenringe. Er tat mir etwas leid. Er strengte sich an, um die Uni zu schaffen, aber leider lief es nicht so gut. Nachdem er sich neben mich gesetzt hatte, reichte er mir eine Coffe-to-go-Becher, den ich dankbar annahm. Ich hatte vier Stunden geschlafen und hatte einen ziemlichen Kater. Auch Henry bemerkte, dass ich noch nicht ganz fit war und wollte seinen Arm um mich legen. Jedoch hielt er in seiner Bewegung inne und ließ seinen Arm sinken, als ich ihn böse ansah und ihm somit signalisierte, dass ich keinen Körperkontakt wollte. Während ich einen Schluck von der heißen, bitteren Flüssigkeit nahm, beobachtete mich Henry genau.

"Was willst du sagen?", fragte ich ihn. Er seufzte: "Du weißt, dass ich nicht gut finde, dass du mit 16 Jahren schon trinkst und feiern gehst." Ich konnte deutlich die Sorge in seiner Stimme hören.

"Du gibst mir doch selber was. Heny, du bist Barkeeper. Du bist der letzte, der etwas gegen Alkohol haben sollte."

"Nur weil ich als Barkeeper arbeite, heißt das nicht, dass ich Alkohol gut finden muss. Ich mache den Job sowieso nur, um mein Studium zu bezahlen. Aber es ist deine Entscheidung." Ich musste lächeln. Henry hatte in seinem ganzen Leben noch nie etwas Verbotenes gemacht. Er rauchte nicht, trank nicht, ging nicht auf Partys. Das Einzige, was für ihn zählte, war sein Studium. Er wollt ein einfaches Leben. Ja nicht auffallen. Bei Partyspielen wie "Ich habe noch nie" hatte er immer gewonnen.

"Ja, es ist meine Entscheidung", wiederholte ich seinen letzten Satz und trank noch einen Schluck Kaffee. "Du wolltest mit mir reden. Was ist los?", lenkte er vom Thema ab.

Ich erzählte ihm, was gestern Abend passiert war. Allerdings nur das Nötigste. Ich sagte ihm nur, dass Elijah ein ausgebildeter Kämpfer war Aufträge annahm. Ich erzählte ihm auch, dass es mehrere solcher Menschen gab. Elijahs und meine Verbindung erwähnte ich nur kurz. 
Während ich erzählte, wurde Henrys Blick immer ängstlicher und besorgter. Er starrte mich an und nahm meine Hand: "Leah, du darfst dich nie wieder mit ihm treffen. Er ist gefährlich!" Ich tätschelte ihm beruhigend über den Handrücken: "Hugh, es wir dir nichts passieren. Es gab sie schon die ganze Zeit. Der Unterscheid ist nur, dass du jetzt davon weisst. Du bist in Sicherheit."

"Ich mache mir auch keine Sorgen um  mich, sondern um dich!"

"Er wird mir nichts tun. Keiner von ihnen. Vertrau mir einfach."

Ich konnte ihn zwar nicht wirklich beruhigen, allerdings lies er meine Hand los und starrte jetzt stur nach vorne. Ich konnte seine Nervosität und Angst sehen. Er knetete seine Finger, schluckte und trippelte mit den Beinen. Dann atmete er tief durch und fuhr sich durch die Haare. Nachdem er sich wieder zu mir gedrehte hatte und mich lange angeschaut hatte, sagte er mit fester Stimme: "Ich bin zwar alles andere als begeistert, aber ich bin für dich da. Immer. Und ich unterstütze dich. Wobei auch immer." Dann umarmte er mich kurz. Ich seufzte: "Womit habe ich dich verdient?" 

"Also willst du dich wirklich weiter mit ihm treffen und dieser 'Verbindung' auf den Grund gehen? Was ist, wenn du ihn einfach nur attraktiv findest und deshalb denkst, euch verbindet etwas besonderes? Wie alt ist er überhaupt?" 

"Er ist 24. Und nein, ich bin nicht in ihn verliebt. Es ist etwas anderes."

"Leah, er ist viel zu alt für dich! Und er ist gewalttätig!"

Ich schüttelte nur den Kopf. Es war unmöglich, Henry seine Sorgen auszureden.  Lange saßen wir schweigend nebeneinander. Ich dachte über unser Gespräch nach und wir wurde klar, dass egal welche rationalen Argumente Henry hatte, egal, wie oft er mich warnte, ich wollte dieser Verbindung auf den Grund gehen. Ich hatte immer das Gefühl, dass etwas in meinem Leben fehlte. Das, was ich jetzt hatte, konnte nicht alles sein. Und vielleicht habe ich jetzt das gefunden, nachdem ich die ganze Zeit gesucht hatte. 

"Ja, möchte ich", durchbrach ich die Stille und beantwortete Henrys Frage. "Gut. Dann werde ich dir helfen.", sagte er. 

"Danke, Henry. Aber ich glaube, dabei kannst du mir nicht helfen."

"Dann kommst du sofort zu mir, wenn dir was passiert. Du weißt, meine Tür steht dir immer offen."

"Ja, Henry, ich weiß."

Er umarmte mich noch einmal und stand dann auf. "Es tut mir leid, aber ich muss wieder los. Ich kann nicht noch mehr Uni schwänzen. Wir sehen uns." "Ciao, Henry.", lächelte ich. Er war der reinste Musterschüler. Als er sich umdrehte und ging, nahm ich einen weiteren Schluck von dem mittlerweile kalten Kaffee. 

Die Chroniken der verborgenen JägerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt