Elijah

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Ich stand vor dem Spiegel in dem kleinen Bad meines Pensionszimmers und betrachtete mich. Ich trug eine schwarze Anzughose und ein weißes Hemd. Meine Haare waren unordentlich wie immer und mein Bart war so lang wie schon seit Monaten nicht mehr. Ich fuhr mir einmal durch meine Haare und trat aus dem Bad. Ich nahm mir meine Lederjacke und mein Smartphone und verließ das Hotelzimmer. Ich lief den hellen Flur entlang bis zu der Tür von Hughs Zimmer. Er hatte mich schon gehört, denn als ich klopfen wollte, riss er die Tür auf. Er trug eine Jeans und ein schwarzes T-shirt. Seine Chucks waren dreckig und zerschlissen. "Bereit?", fragte ich.  "Nein.", antwortete er knapp, jedoch trat er auf den Flur und schloss die Tür hinter sich. Während wir die Gänge entlang liefen, kamen uns keine Menschen entgegen. Es war kurz vor Mitternacht und in der kleinen Pension gab es kaum Gäste. Wir öffneten die Tür der Eingangshalle und ich atmete die kühle Nachtluft ein. Die Pension war nicht weit vom Haus der Ältesten entfernt, weshalb wir nur wenige Minuten brauchten, bis wir den Strand sehen konnten. Auch auf dem Weg zum Strand waren uns keine Menschen begegnet, da mehrere Mitglieder unseres Ordens allen Bewohnern diesen Ortes geraten haben, heute Abend zu Hause zu bleiben. Natürlich wussten wir, dass am nächsten Morgen alles groß in den Medien zu sehen sein wird, aber heute wollten wir Ruhe haben.  Als ich den Strand sehen konnte, hörte ich auch die Herzschläge von tausenden von Menschen. Das regelmäßige Klopfen dröhnte in meinen Ohren und automatisch passte sich mein Herzschlag an diesen Rhythmus an. Wir gingen weiter Richtung Strand und ich sah die tausenden von Menschen, die sich über den Strand verteilten. Es war das erste Mal, dass ich alle Mitglieder des Ordens zusammen sah, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. Niemand bewegte sich, die tausenden Menschen waren komplett lautlos und nur deren Herzschläge verschmolzen in meinen Ohren zu einem einzigen. Als ich mich der Gruppe näherte und mich durch einzelne Menschen weiter in Richtung Meer schob durchflutete mich ein Gemeinschaftsgefühl. Wir waren hier, um eine Frau zu verabschieden, die wir alle respektiert hatten. Hugh, welcher mir gefolgt war, und ich stellten uns neben Diana. Mein Blick glitt zum Meer. Dort lag die Älteste in einem einfachen Leinenkleid. Ihre Haut war noch eingefallener und blasser als noch vor ein paar Tagen. Ihre Arme lagen neben ihrem Körper, welcher von den Wellen umspült wurde. Ihre Augen waren geschlossen und in den schwarzen Haaren schimmerte Sand. Sie wirkte friedlich, strahlte aber immer noch Stärke und Unabhängigkeit aus. Diana beachtete uns nicht, sondern hatte ihre Augen starr auf eine antike Uhr gerichtet, welche sie in den Händen hielt. Noch 30 Sekunden bis Mitternacht. Und wieder dröhnte der Herzschlag Tausender Menschen in meinen Ohren. Schweigend warteten wir und ich verfolgte den Sekundenzeiger auf der Uhr in Dianas Hand.

Um Mitternacht nahm sie einen Lederbeutel, der neben ihr gestanden hatte, verstaute die Uhr darin und nahm eine blutrote Kerze und ein Feuerzeug heraus. Sie zündete sie an und ging zu ihrer Mutter. Ihre Augen glänzten im Licht der Flamme, jedoch rollte nicht eine einzige Träne ihre Wangen herunter. Sie kniete sich neben die Älteste und stellte die Kerze ab. Wieder griff sie nach dem Lederbeutel und nahm nun einen aus Zweigen und Federn geflochteten Dolch heraus. Diesen legte sie der Ältesten auf die Stelle, an der bis vor kurzem noch ihr Herz geschlagen hatte. Die zarten Hände ihrer Mutter legte sie um den Dolch. Diana nahm die Kerze und führte sie zu Diesem. Sie neigte die Kerze, um den Dolch anzuzünden, wobei eine Tropfen des rot glänzenden Wachses auf die Klinge des Dolches fielen. Als der Dolch anfing zu brennen, trat sie zurück und fing leise an, eine sehr alte Melodie zu summen. Als sie wieder neben mich stellte, fingen immer mehr an, mit ihr die Melodie zu singen, sodass sie immer lauter über den Strand hallte. Und obwohl ich die Melodie nicht kannte, fing auch ich an zu summen. Ich gab mich der Musik hin und schon bald kam mir die Melodie so bekannt vor, als hätte ich sie seit Kindertagen jeden Tag gehört. Diana nahm ihren Dolch aus der Halterung an ihren Stiefeln und kniete sich in den Sand, den Dolch stieß sie in den feuchten Boden. Alle Mitglieder des Ordens taten es ihr nach. Wieder durchflutete mich ein überwältigendes Gemeinschaftsgefühl, welches mir eine Gänsehaut bereitete. Diana hielt immer noch die Kerze in den Händen und noch immer verließ keine Träne ihre Augen. Wir knieten so lange am Strand und sangen so lange die alte Melodie, bis die Asche vom Wasser weggetragen wurde. Alle verstummten gleichzeitig, nur Diana sang weiter. Sie ging wieder zum Wasser und stellte die nun weit herunter gebrannte Kerze in den Sand. Die Wellen trugen auch diese fort. Diana verstummte und Stille senkte sich wieder über den Strand. Auf einmal setzten sich alle in Bewegung, standen auf und verließen den Strand. Niemand sprach, niemand weinte. Es blieben nur Hugh, Diana und ich zurück. Auch die zwei Männer, die mit im Haus der Ältesten gelebt hatte, verließen uns. Sie hatten ihre Aufgabe erledigt und kehrten zurück zu ihrem eigenen Anwesen. Wir blieben noch eine Weile stehen und betrachteten still die aufgehende Sonne.

 Dann durchbrach Diana die Stille: "Also, Elijah, wirst du deiner Bestimmung folgen?" Ihre Stimme klang rau und voller Trauer. "Ja. Ich werde Leah erzählen, was deine Mutter über unsere Vergangenheit gesagt hat. Ich hoffe, sie will es auch.", sprach ich meine Sorge aus. "Sie wird es auch wollen. Wenn ihr wirklich Reinkarnationen seit, wird ihre Seele den richtigen Weg wissen.", sagte sie mit einem Lächeln. Sie wusste, ihre Mutter hatte Recht und Leah und mich gab es tatsächlich schon einmal. Ich wusste auch, dass sie die Wahrheit gesagt hatte, aber wie erklärte ich das Leah? "Und, wo geht du jetzt hin?", unterbrach Hugh meine Gedanken. Seine Frage war an Diana gerichtet, welche wieder den Sonnenaufgang ansah. "Ich werde in das Heimatland meiner Mutter gehen. Die Jäger, die dort leben, kenne ich schon lange. Ich werde wohl wieder anfangen, wie ein normaler Jäger zu leben.", seufzte sie. "Viel Glück.", lächelte Hugh ihr zu und auch ich verabschiedete mich von ihr. Wir gingen den Weg zurück zu der Pension, um unsere Sachen zu holen und wieder nach Hause zu fliegen. Ich drehte mich noch einmal um und sah, wie Diana das Haus der Ältesten in Brand setzte, den Lederbeutel aufhob und den Strand entlang von uns weg lief. Ich sah den Rauch, der in die Luft aufstieg und Dianas dunkle Haare, die einen starken Kontrast zu den hellen Flammen und dem Himmel, der ebenfalls zu brennen schien, bildeten. Sie drehte sich nicht noch einmal um. 















































Die Chroniken der verborgenen JägerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt