Kapitel 16

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Mitten in der Nacht klingelt mein Handy. Sofort schlage ich die Augen auf. Ich bin einer dieser Menschen, die bereits dann aufwachen, wenn der Wecker mit einem leisen Klick! seinen in ein paar Sekunden schrillenden Alarm ankündigt. Ich wuchte dann meine Hand auf das arme, würfelförmige Ding und stelle ihn dann gleich aus, damit ich meine Eltern nicht wecke. Meine Eltern...

Ich schieße in die Höhe, wobei ich Felix' Arm, der noch um mich gelegt war, fast auskugle.

"Fuck", flucht dieser im Halbschlaf, während ich schnell nach meinem Handy schnappe und einfach über den Bildschirm wische, um den Anruf anzunehmen.

"Jaaah?", nuschle ich verschlafen, während ich aufstehe und das Zimmer verlasse, um Felix nicht noch mehr aufzuwecken. Ich will nicht nochmal so eine Auseinandersetzung mit ihm haben, wie heute Nachmittag.

"Hey, Haruka...", ertönt die Stimme meines Dads, die mich sofort glücklich macht. "Du klingst so müde... wie spät ist es in Korea?"

Ich sehe kurz auf die Uhr meines Handys.

"Halb vier in der Nacht", antworte ich seufzend und fahre durch meine zerzausten Haare. Ich muss aussehen, als wäre ich einmal durch einen Tornado gelaufen.

"Tut mir leid...", murmelt mein Dad. Ich sehe ihn förmlich vor mir, wie er sich gestresst mit der Hand durchs Gesicht fährt und auf seine Lippe beißt. "Hier ist es jetzt halb neun, Haruka, ich habe nicht darüber nachgedacht."

"Schon okay", tröste ich ihn und setze mich unten im Wohnzimmer auf die weiche, hellbraune Ledercouch. Alles ist dunkel, auf dem Tisch im anschließenden Esszimmer liegen noch immer Woojin und Minhos Karten, von hier kann ich erkennen, dass Woojin definitiv das bessere Blatt hatte. Und wenn ich genau hinhöre... kann ich Changbin sogar schnarchen hören.

"Wie läuft es? Mit... Mom... und dem ganzen Kram?", frage ich zögerlich. In den letzten Tagen konnte ich das alles so gut verdrängen. Ich konnte so viel lachen und musste nicht darüber nachdenken, dass meine Eltern unter einander gerade leiden müssen. Doch in diesem Moment, indem ich mich selbst mit der Wahrheit, den Fakten, beschäftige, rutscht mir das Herz in die Hose und es scheint so, als würde ein Zwerg mit einem Knüppel anmarschiert kommen und dann noch zusätzlich auf es einschlagen.

"Das ist nicht wichtig. Ich regle das schon. Erzähl du mir, wie es in Seoul ist. Schläft Onkel Jinyoung?"

"Eh... Jinyoung ist nicht hier, Dad", gestehe ich meinem Vater. Kurz herrscht Funkstille. Nur ein leises Rauschen ist am anderen Ende der Leitung zu hören, dann ein genervtes Stöhnen, mit einem Hauch von Verzweiflung und Enttäuschung.

"Wo treibt sich der Bastard wieder herum?", fragt mein Vater schließlich.

"Dad, sa-", will ich keifen, doch reguliere sofort meine Lautstärke. "Sag sowas nicht!"

"Also. Wo ist er?"

Ich seufze. "Er ist in China und klärt etwas mit einem Sponsor, der droht, seine Gelder zu streichen. Er sollte aber bald wieder hier sein. In den nächsten Tagen."

"Bist du jetzt allein in seinem Apartment?"

"Nein", antworte ich. "Er hat mich bei einer seiner Gruppen untergebracht. Das sind 9 total nette Jungs, die mich wirklich gut aufgenommen haben. Dad, du musst dir keine Sorgen machen, ich bin kein kleines Kind mehr. Ich schaffe das. Außerdem ist Jinyoung bald wieder da."

"Dann hätte er mir Bescheid geben müssen", murmelt mein Vater und ich höre das vertraute Geräusch seiner Finger, die auf die Tastatur seines MacBooks auf seinem gigantischen Schreibtisch einhacken.

"Dad, lass den Laptop in Ruhe", sage ich in einem ruhigen Ton. "Mir geht es gut. Manchmal haben die Jungs Termine und sind auch gar nicht da. Wir kochen sogar manchmal zusammen."

"Dir geht es also gut?" Klapp. Er muss seinen Laptop gerade zugemacht haben.

"Mir geht es gut, Dad, keine Sorge." Von Felix' sexy Auftritt heute Abend erzähle ich ihm lieber nicht...

"Okay, Kleines."

"Hat... Nathalie noch was gemacht?", frage ich dann zögerlich. Mein Vater wird abrupt still. Es ist beinahe noch stiller als eben.

"Nein", antwortet er dann. "Mom ist zu ihrer Mutter gegangen und hat mit der gesprochen. Die wird Ärger bekommen haben."

"Aber Dad!", protestiere ich, senke wieder meine Stimme. "Jetzt wird es bestimmt noch schlimmer werden..." Ich seufze.

"Wir reden darüber, wenn du wieder in Deutschland bist, ja?"

"Ja."

"Dann schlaf jetzt. Gute Nacht."

"Gute Nacht, Dad." Ich lege auf. Lege mein Handy auf den Glastisch vor der Couch, der übersaht mit bunten Zeitschriften ist und, soweit ich erkennen kann, auch der neusten Playboy Ausgabe. Ich muss schmunzeln.

"Haruka?", ertönt auf einmal eine leise Stimme hinter mir. Ich drehe mich um. Jüngling Jeongin steht auf der Treppe, in der Hand hält er sein Handy, die Übersetzer App geöffnet. Ich habe mit meinem Vater deutsch gesprochen.

"Wer ist Nicole?", fragt der Schwarzhaarige und setzt sich neben mich. Er nimmt eine Fernbedienung vom Glastisch und drückt auf den roten Knopf. Dieser aktiviert ein künstliches Feuer in einem künstlichen Kamin. Nun sehe ich sein verschlafenes Gesicht und muss daran denken, wie Felix mir sagte, dass er so schlecht wieder einschlafen kann, wenn er erstmal wach ist.

"Sie ist eine blöde Kuh", erkläre ich kurz angebunden und sehe auf den Kamin. Jeongin scheint zu verstehen, dass ich nicht wirklich darüber reden möchte und sieht ebenfalls auf den Kamin.

Fast wie von allein landet mein Kopf auf seiner Schulter.

"Ich möchte eigentlich gar nicht mehr nach Deutschland zurück", gestehe ich ihm. "Ich möchte hier bleiben. So weit weg von dem ganzen Stress. Ihr seid in den paar Tagen hier bessere Freunde gewesen, als diese ganzen Mistkröten in meiner Schule."

Jeongin legt seine Hand auf meine und lehnt seinen Kopf an meinen. "Dir steht doch alles offen. Du sprichst drei Sprachen fließend. Ich kann kaum ein Wort Englisch und du? Du sprichst fließend deutsch, englisch und koreanisch. Du könntest dir hier eine Wohnung suchen. Du könntest nach Amerika gehen. Oder Großbritannien. Oder Australien. Oder in Deutschland bleiben. Haruka, du wirst doch nirgendwo eingesperrt."

Ich sehe zu Jeongin auf. Ein niedliches Lächeln umspielt seine Lippen.

"Danke, Jeongin", flüstere ich und lächle ebenfalls. Wir sitzen noch ein paar Minuten vor dem künstlichen Kamin, bevor Jeongin ihn ausschaltet und wir wieder in unsere jeweiligen Zimmer gehen. Ich tapse leise zurück zu dem immer noch schlafenden Felix und lege mich in seine Arme. Ich fühle mich so sicher und geborgen, dass ich mit einem dämlichen Grinsen im Gesicht einschlafe.

—IG: mxxnkr

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