Ein Weg rein

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Es war ein ziemlich normaler und ruhiger Morgen, sonnig aber relativ kühl draußen. Der Wind war nicht stark, man konnte nur selten das Rascheln der Bäume hören und sogar die Vögel haben beschlossen, relativ ruhig zu bleiben.

Wie die Stille vor dem Sturm, dachte Amarath.

Perfekt für einen Besuch in ein Ort, den man nicht besuchen darf.

Das Ehepaar war auf der Reise zur Gildenstadt.

Fast die ganze Garde war mit ihnen.

Die Diener waren alle sehr beschäftigt.

Und fast niemand näherte sich der Galerie.

Einen besseren Zeitpunkt würde der Junge wahrscheinlich nie erwischen. Also begab er sich schnell aber unbemerkbar in den anderen Flügel des Hauses. Dort, wo das Schlafgemach des Ehepaars war. Die Galerie war im selben Flur mit dem Arbeitszimmer seines Vaters und dem Zimmer seiner Mutter. Sie hielten ihren wahrscheinlich toten Sohn so nah an sich, doch ihren jetzigen konnten sie nicht mal betrachten.

Wenn ich sterben würde, würde mein Portrait auch in dieser Galerie sein?

Amarath war sich ziemlich sicher, dass es kein Portrait von ihm gab. Er war schließlich noch da.

Also stieg er langsam und vorsichtig die Treppen hoch. Obwohl es schon so lange her war, dass er das letzte Mal hier reingelaufen ist, die Erinnerungen waren frisch. Damals wurde er auch das erste und letzte Mal von seinem Vater angeschrien. In gewisser Weise gut – sein Vater wusste von seiner Existenz. Leider nicht im vortrefflichen Sinne.

Deshalb wollte er es nicht nochmal riskieren. Der Mann gab ihm deutlich, dass sein Sohn nicht in diese Hälfte des Hauses treten durfte.

Bis zu den einem Tag hat der Junge diese Regel auch eingehalten. Aber dieses Mal würde er sichergehen - war er seinem Bruder ähnlich oder nicht.

Die Galerie befand sich am Ende des Flurs. Sie hatte Doppeltüren, die immer fest verschlossen schienen aber eigentlich immer offen waren. Es war wegen des Wachezaubers. Der Zauber einer hohen Stufe, wie Amarath es mal gelesen hat. Aber nichts Unausweichliches. Dieser Zauber hatte eine Besonderheit und nämlich Angriff. Es gab nicht nur eine Schutzschicht, sondern auch einen sehr starken Schlag auf die Aura – es war nicht möglich, so einem Angriff zu entkommen. Angeblich. Aber so müsste niemand darüber informiert werden, beziehungsweise man bräuchte keinen Alarm. Nur der Schaffer dieses Zaubers würde es spüren. Aber wie, das wusste Amarath noch nicht. Er würde es aber erfahren, wenn der Zauber nicht klappt. Und nämlich, indem er eine identische Schutzschicht aber mit einem stärkeren Schlag über sich legt. Aber er plant einen komplett identischen Zauber zu entwickeln. Man sagt, man kann Feuer nur mit Feuer löschen? Wieso denn nicht mit Magie auszuprobieren.

Da sein Vater und seine Mutter beide Magier waren, war der Junge sich sicher auch einer zu sein.

Wenn er schonmal nicht Kämpfer wird, dann kann er es mit Zauber ausprobieren. Also bräuchte er eigentlich nur den richtigen Moment zu ertappen, wo er den Wachezauber an der Tür analysieren und kopieren kann.

Als dies auch klappte, stellte er sich innerlich vor, wie ein dünner, weißer Schleier mit goldenen Punkten sich über ihn legte. Alles musste schnell passieren, damit sein Vater die Aktivierung seines Zaubers nicht merkte.

Also lief Amarath schnell auf die Tür zu. Die zwei Schilder trafen aufeinander und bei aktivierten ihre Angriffe. Der Junge konnte innerlich den Zusammenstoß sehen. Es war als ob zwei Rauchwänder aufeinander trafen und dies löste Blitzangriffe aus. Ziemlich faszinierend. Nach einer Sekunde löschten sich beide gegenseitig aus. Da Amarath nichts innerlich spürte, hieß es, dass sein Plan geklappt hat. Beide Zauber hatten sich neutralisiert und da war der Weg frei.

Mit einem im Hals klopfenden Herz, ging der Junge näher an die Türen ran. Er legte seine zitternde Hand auf die Türklinke und drückte sie nach unten. Er hatte so Angst reinzugehen. Er wollte sichergehen, dass er seinem Bruder nicht ähnlich sah aber gleichzeitig würde er gerne nie diese verhasste Person sehen.

Wie sagte es Arhad der Große? „Ich bin schon so weit gekommen, habe so viele auf meinem Weg umgebracht und jetzt soll ich einfach dem so nah liegenden Ziel den Rücken zuwenden?" Ich bin auch schon so weit gegangen. Was für ein Mann bin ich, wenn ich die Wirklichkeit nicht so hinnehme wie sie ist.

Also drückte er stärker zu und machte mit einem leicht quietschenden Geräusch die Tür auf.

Der große Raum, der sich vor seinen Augen öffnete, war mehr als faszinierend. Es war unglaublich. Noch nie hat Amarath so viele Bilder gesehen. Der Raum war voll mit Portraits, Landschafts- und Familienbildern. Es gab Pärchen, Einzelpersonen, Familien. Doch alle waren ihm unbekannt. Er sah, dass die Leute ihm irgendwo ähnelten aber er sah nicht das, was er suchte. Also musste er weiter in den Raum gehen. Als er bis ans andere Ende des Raumes ging, sah er, dass es hinter der Wand noch einen weiteren Innenraum gab.

Wahrscheinlich ist sein Bild dort.

Also begab er sich in den Innenraum.

Er wusste, dass es sich nicht gut anfühlen würde. Er wusste, es würde wehtun, wenn er sein Gesicht sah.

Aber er wusste nicht, dass der Schmerz alles in ihm zerstören würde.

Denn nie hätte er gewollte, dass dort – genau vor seinen Augen, über einen schweren Kamin aus Stein das größte Bild hängen würde. Ein Bild von einem kleinen, fröhlich lächelnden Jungen mit weißgoldenen Locken und dunkel violetten Augen.

Er würde die Wahrheit nie SO hinnehmen.



Silver Heart and Grey WingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt