Die davonlaufende Zeit

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Es war mitten im Herbst, als die unglücksselige Botschaft kam. Cai saß an seinem Tisch aus dunklem, glänzendem Holz und schaute sich die Dokumente an, die ihm der Gildenrat vor kurzem geschickt hatte. Der späte Sonnenuntergang färbte alles um sich rot. Die hohen Bäume, die sich rund um die Residenz befanden, sahen wie vom Feuer gefangen aus und man spürte eine angenehme Wärme, wenn man aus dem Fenster schaute. Wie ein Feuer im Kamin, der einen in der Nacht wärmte oder wie tausend Kerzen, die einem den Weg beleuchteten. Der Tag verlief ruhig, bis plötzlich ein hell gefärbter Vogel durch das Fenster ins Zimmer reinflog und leise auf dem Tisch landete. Cai dachte, er würde ihn fürs erste ignorieren, dennoch verdeckte der relativ große Schatten des Geflügelten seine Schriftrollen. Deswegen hatte der Krieger keine andere Wahl, als hochzublicken und die Rolle aus dem Brustfach des Biestes zu entnehmen.

Die Schriftrolle trug ein goldenes Siegel. Es war ein blühender Bambuswald. Siegel seiner Gilde. Cai würde ihn gerne so selten wie möglich sehen. Mit schwerem Herzen zerbrach er das Siegel und rollte das Stück Papier auf. Der Betreff war mehr als nur verstörend. Es ließ das Blut in den Adern des Mannes kalt fließen. Es war ein klarer Aufruf zum Kampffeld in den Norden. Schnellstmöglich. Keine Widerrufe. Cai schloss die Augen, um die Wut zu unterdrücken. Dieser alte Mann tat alles, damit seine Würde und Stolz keinen Kratzer abbekamen. So einen Egozentrismus konnte niemand sonst haben. Vielleicht außer seiner Tochter aber Zeina handelte rationaler.

Der Mann sah nur aus dem Augenwinkel, wie der Vogel wieder aus dem Fenster flog, als er sich wieder gerade aufsetzte.

Mit einem schweren Seufzer stand er auf und begab sich aus dem Zimmer. Als er die Tür zur Seite schob, sah er sofort eine seiner Dienerinnen. Er konnte sich nicht mehr an ihren Namen erinnern, es war aber auch egal. Sie alle hörten so oder so nur auf das Eine. Cai ging schnell an ihr vorbei in die Richtung des Zimmers seiner Tochter. Dieses befand sich gleich im nächsten Flur. Er wollte das Mädchen in seiner Nähe haben und vielleicht so lange wie möglich. Dieser Wunsch würde nie in Erfüllung gehen, das wusste er. Es bedrückte nur, dass er sich von ihr früher als es geplant war verabschieden musste.

Er machte seine Präsenz bemerkbar, als er näher an die geschlossene Tür kam. Seine Schritte hallten leise zwischen den hölzernen Wänden. Er klopfte leise an die Tür und drehte sich zu der Dienerin um, die die ganze Zeit hinter ihm her war. Diese senkte den Kopf und stellte sich zur Seite, ohne einen Blick auf den Herrn zu werfen.

Cai hörte ein leises Hummen aus dem Zimmer und kam schließlich rein. Er schob die Tür hinter sich zu und schaute auf seine Tochter, die an ihrem Tisch saß und eine Schriftrolle studierte. Ihre zierlichen Augenbrauen hatten sich zusammengezogen und ihre schmalen Finger klopften auf der Tischoberfläche.

Jedes Mal wenn Cai auf sie schaute sah er Eliena. Seine Tochter sah ihnen beiden so ähnlich, was Stolz und Angst gleichzeitig mit sich brachte. Sie war nicht von normaler Schönheit. Es war die Schönheit, die jeden einen Schauder über den Rücken laufen ließ. Schon als ein kleines Kind war das Mädchen einer Göttin ähnlich. Sie hatte einfach keine Makel. Ihre Haut war weiß, wie das Porzellan, die Augen wie Täler mit Quecksilber und die gewellte Haarmähne hatte die Farbe der schwarzen Schokolade, welche so schwer zu ergattern ist. Cai hatte Angst, seine Tochter sich erwachsen vorzustellen, sie ins erwachsene Leben zu begleiten, denn egal, von welcher Seite man es sah, ihr Leben würde nie leicht sein.

Er trat langsam an ihren Tisch ran und endlich schaute das Mädchen zu ihm auf. Sie lächelte voller Freude und legte ihre Schriftrolle weg.

„Papa."

Cai konnte nur leicht zurücklächeln.

„Es ist Zeit über eine wichtige Sache zu reden, Diabel."

Silver Heart and Grey WingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt