Vom Himmel gefallen

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„Amarath!"

Er drehte sich um.

„Da bist du ja." Ein Junge rannte schwer atmend zu dem hellhaarigen hin. Er stoppte genau vor ihm und presste seine Hände gegen seine Knie, während er versuchte nach Luft zu schnappen. Amarath klopfte ihm leicht auf die Schulter und beugte sich ein wenig hin.

„Was ist lost Fynnias? Was ist denn so wichtig, dass du mir hier fast zusammenklappst?"

Fynnias drehte seinen Kopf zu Amarth und erstarrte plötzlich. Er spürte, wie sein Herz bei dem Anblick seines guten Freundes anfing zu rasen. Aber nur ein wenig. Ja, ein wenig. Er sah in die mysteriösen, violetten Augen und blinzelte. Egal wann, immer schienen diese Augen die Fenster in das Innere des Trägers sein. Sie waren voller Magie und zogen zu sich hin. Und niemand konnte Amarath wiederstehen. Er war nett, geduldig, hilfsbereit, schlau und unglaublich attraktiv – sogar als Kind. Diese dunklen Augen machten einen unglaublichen Kontrast zu den vollen, hellen Locken, die ihm auf die Schultern fielen und sein Aussehen fast schon mädchenhaft machten.

Wie vom Himmel gefallen.

Amarath wartete, bis sein Klassenkammerrade sich sammelte und stellte sich wieder gerade hin. Fynnias keuchte ein letztes Mal auf und lächelte dem blonden zu.

„Der Vorsitzende möchte dich sehen. Und zwar schnell. Ich musste durch die ganze Akademie laufen um dich zu finden. Ich befürchtete schon, du wärst in der Bibliothek."

Amarath lachte leise auf und nickte ihm zu,

„Ja, dann würdest du mich wirklich Jahre lang suchen. Danke dir Fynnias. Ich gehe lieber jetzt los."

Der Junge nickte Amarath zu aber dieser drehte sich schon um und begab sich schnellen Schrittes in den Saal des Schülerrates.

Er bemerkte, wie die Blicke der anderen Schüler auf ihn landeten und wie diese ihn begrüßten, wie die ersten Stufen sich sogar vor ihm verbeugten. Und er fühlte sich unglaublich gut. Noch nie hatte er in seinem Familienhaus das Gefühl, gewollt und geliebt und zu sein. An dieser Akademie war es aber ganz anders. Hier wurde er von allen betrachtet, sogar respektiert. Es war ein wunderschöner Ort und Amarath wollte nie wieder von hier weg. Sogar der unglaublich schwere Unterricht machte ihm nichts aus – Hauptsache er war nicht allein. Noch nie hatte Amarath in seinen fast zwei Jahren hier so viel mit Leuten kommuniziert – er wusste gar nicht, dass es so toll sein könnte.

Der Junge drehte sich dem großen Fenster zu,  schaute raus, auf den von Sonnenstrahlen beleuchteten Garten und lächelte leicht. Ja, es war wirklich perfekt wie noch nie.

Er überquerte den hellen Flur und ging geradeaus auf die große Doppeltür aus hellem Holz. Er klopfte leicht und nach ein paar Sekunden öffnete sich die Tür von selbst.

Amarath kam rein und machte die Tür leise hinter sich zu. Er sah zu dem jungen Mann hinter einem Holztisch sitzend hin. Der Jugendliche hatte seine schwarzen, glatten Haare zu einem tiefen Schwanz gebunden und hatte eine Brille mit goldener Umrandung auf. Er saß entspannt in seinem Sessel und las eine Schriftrolle – Amarath schien er nicht bemerkt zu haben.

Der Junge stand noch eine kurze Weile vor dem Tisch, keuchte aber nach einer Minute leise auf. Der Vorsitzende schrak auf und schaute von der Schrift abrupt auf Amarath.

„Ah! Amarath, du bist ja schnell. Ich dachte, du würdest noch Zeit brauchen, darum habe ich mich noch an Dokumente ran gesetzt. Aber du bist ja bei uns ganz vorbildlich, du würdest nie zu spät kommen." Seine Stimme hatte irgendwas ruhiges an sich.

Mit einem leichten Lächeln legte der Jugendliche die Schriftrolle weg und schaute auf Amarath, der sich noch näher an den Tisch begab.

„Hallo Nuriel. Fynnias ist durch die ganze Akademie gerannt, um mich zu finden, ich konnte seine Mühen nicht so zunichte gehen lassen."

Nuriel kicherte und schüttelte leicht seinen Kopf.

„Genau, genau. Na dann können wir jetzt mal über eine sehr wichtige Sache reden."

Auf einmal wurde er seriös und Amarath spürte, wie seine Hände anfingen zu schwitzen.

„Amarath, viel zu viele wissen, dass du gerade wirklich einer der besten Schüler unserer Akademie bist. Du bist vielleicht noch nicht der stärkste Magier aber ich glaube, dass im nächsten Jahr du schon bestimmt ganz oben landen wirst. Dein Wissen in vielen Bereichen ist außerordentlich, du bist sicherlich begabt in allem und du weißt Verantwortung zu schätzen. Viele Schüler empfinden dich als sehr nett und hilfsbereit, die Lehrer reden nur über dich und können nicht anders, als deinen Namen mit ein Paar lobenden Worten zu erwähnen. Ich sage dir, bei deinem Anblick wird man weiß vor Neid. Deswegen wollte ich dich fragen: möchtest du im nächsten Jahr meinen Posten übernehmen?"

Nuriel schaute den plötzlich viel zu stillen Amarath durchdringlich an. Und der jüngere konnte auf einmal nichts antworten. Er war innerlich voller Begeisterung und positiver Überraschung. Man könnte sagen, dass sein Schulleben erst anfing aber sogar nach diesem einem Jahr hatten die Leute so viel Vertrauen in ihn.

Nuriel saß still hinter seinem Tisch und betrachtete den Jungen vor ihm. Und er würde lügen, würde er sagen, dass er nicht fasziniert von ihm sei. Sobald er auf dieser Akademie war, hatte er sich bis zu der Spitze durchgekämpft und erst Anfang dieses Jahres holte er sich den Sieg über einen Schüler aus der fünften Stufe. Er war perfekt in allem und dazu noch sehr verantwortungsvoll. Im nächsten Jahr würde Nuriel seine letzte Mission von der Akademie ausführen müssen und dies außerhalb der Insel. Er wollte mit Würde seine Position einer passenden Person übergeben und verdammt sollte er sein, wenn Amarath sie nicht annahm.

Deswegen schluckte er schwer runter, als dieser endlich seinen Mund aufmachte.

„Ich..."

Amarath war sich nicht sicher. Natürlich, zu dieser Position strebte er – er wollte auf Nuriel's Platz sitzen, er wollte diese Verantwortung tragen. Eigentlich war es ihm egal, wie viele da nicht zustimmen würden. Dennoch fühlte es sich mehr als komisch an – würden denn so viele einen Unterstufenschüler akzeptieren? Sie könnten ja zustimmen aber würden sie auch auf seine Entscheidungen hören? Würden sie ihn ernst nehmen? Was würden sie über ihn denken? Wie sehr würde es ihn stören?

Der Junge blickte Nuriel tief in die Augen.

„Ich nehme den Posten an."



Silver Heart and Grey WingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt