2. Dezember

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,,Na, was grübelst du Lena?", fragte mein Vater, während ich lustlos in meiner Suppe löffelte.

,,Nichts", log ich und steckte mir hastig einen Löffel Suppe in den Mund. Prompt verbrannte ich mir die Zunge.

,,Pusten", sagte mein Vater und lächelte. ,,Sag schon, was ist los?"

,,Ach, es ist nichts Besonderes. Wir Wichteln bloß in der Schule und wenn wir uns nicht genug Mühe geben müssen wir ein Referat halten", erklärte ich meinem Vater, der jetzt die Stirn runzelte.

,,Und wieso stellt das ein Problem dar?", hakte er nach.

,,Das Wichteln an sich ist kein Problem. Nur Joshua, der Junge, dem ich ein Geschenk machen soll, redet kein Wort mit mir", erklärte ich meinem Vater.

,,Du hast doch schon fast jeden aus deiner Klasse mit nach Hause gebracht. Warum ist er kein Freund von dir?"

,,Ich habe gewiss nicht jeden mitgebracht und eigentlich sind diese Leute gar nicht meine Freunde", gab ich missgelaunt zurück.

Ich musste daran denken, dass er mich Prinzessin genannt hatte. Natürlich wusste ich, dass er sich damit auf meine Clique bezog. Ich gehörte zwar irgendwie dazu, aber zugehörig fühlte ich mich nicht.

,,Ich glaube, er denkt, ich bin einer von ihnen", murmelte ich in Gedanken.

,,Mhh", machte mein Vater. ,,Versuch doch einfach nochmal mit ihm zu reden und vielleicht arrangiert er sich dann mit dem Gedanken, dass du ein guter Mensch bist", erklärte mein Vater weise und stand auf um den Tisch abzuräumen.

Mein Vater hatte natürlich Recht, aber jetzt wusste ich auch, dass Joshua mich für oberflächlich und gemein hielt und das war einfach nicht die Wahrheit. Früher wollte ich vielleicht zu den Beliebten gehören, doch ich hatte gemerkt, dass es nichts für mich war. Auch wenn er mir nicht mit dem Wichteln helfen wollte, wollte ich unbedingt, dass er die Wahrheit wusste und so stand mein Plan fest.

,,Lena, kannst du bitte auf deine Geschwister achten, ich muss gleich nochmal weg und Mama kommt erst spät nach Hause", sagte meine Vater über seine Schulter. 

Ich stöhnte.

Ich hatte ehrlich keine Lust auf meine kleinen Geschwister aufzupassen.

,,Tu mir den Gefallen okay?", hakte mein Vater nach, als er meinen genervten Gesichtsausdruck sah. ,,Ich weiß es ist nicht so einfach, wo Mama jetzt auch wieder arbeiten geht, aber wenn wir zusammenhalten wird das schon."

,,Kein Problem, Papa. Ich schaue bei Mira und Ella", sagte ich dann und lächelte ihm zu. Mein Vater sollte sich keine Sorgen machen.

Am nächsten Morgen fuhr ich mit meinem Vater und meinen Geschwistern zur Schule. Ich war wie jeden Morgen zu früh da, denn meine Geschwister mussten in die Grundschule im Nachbardorf und ich nutzte so die Chance nicht mit dem überfüllten Bus fahren zu müssen. Da war zu früh da sein das kleinere Übel.

Normalerweise wartete ich auf Vanessa, doch heute hatte ich gar keine Lust auf ihr arrogantes Getue. Also lief ich zu unserem Klassenzimmer und betrat den Raum. Ich war mir sicher, dass über eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn noch niemand da war, doch ich irrte mich.

Joshua saß auf dem Platz in der ersten Reihe, auf dem er auch gestern gesessen hatte und hatte auch wieder sein Heft vor sich liegen. Außer der beeindruckenden Landschaft von gestern konnte ich dort auch einige Fabelwesen erkennen. Zumindest dachte ich, es waren Fabelwesen, denn solche Tiere hatte ich noch nirgends gesehen.

Als er merkte, dass ich ihn anstarrte, hob er den Kopf.

,,Wirst du mir jetzt bis Weihnachten auf der Pelle hängen?", fragte er sichtlich genervt.

Ich verkniff mir eine widerspenstige Antwort und versuchte es nochmal auf die nette Art und Weise.

,,Wie wär's, wenn du aufhörst so genervt von mir zu sein und wir beginnen nochmal von vorn?", fragte ich und setzte ein Lächeln auf.

Joshua schnaubte abfällig. ,,Da gibt es nur ein Problem: Ich will nicht von vorn beginnen und schon gar nicht mit jemandem wie dir", sagte er.

Dieser Satz brachte mich zur Weißglut.

,,Was denkst du eigentlich, wer ich bin?", fragte ich wütend.

Dieses Mal schnaubte er noch lauter.
,,Oh, ich bin mir sicher, du bist eine verwöhnte, oberflächliche Göre, so wie deine Freunde", erklärte er.

,,Du kennst mich nicht", presste ich hervor.

,,Mir reicht, was sich vor meinen Augen abspielt und davon ausgehend will ich dich gar nicht kennen."

Joshua wandte sich wieder seinem Heft zu, zeichnete aber nicht weiter, sondern starrte nur darauf.

,,Und dann nennst du mich oberflächlich, wo du deine Mitmenschen nur nach dem ersten Eindruck beurteilst", gab ich kopfschüttelnd zurück. ,,Das ist traurig."

Joshua hob den Kopf und sah mich überrascht an. ,,Ich ...", fing er an, doch ich unterbrach ihn.

,,Vergiss es, ich halte einfach das doofe Referat."

Ich hatte Herrn Baumgartner ernst genommen. Zu ernst.

Ich wollte unbedingt einen neuen Freund finden und dachte, dieses Projekt wäre dafür geeignet, doch ich hatte mich geirrt. Joshua verhielt sich nicht anders, wie meine jetzigen Freunde. Dann hielt ich doch lieber ein Referat, als meine Zeit mit so jemandem zu verschwenden.

Ohne Joshua weiter zu beachten, ging ich zu meinem Platz in der letzten Reihe und ließ mich auf den Stuhl fallen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er sich zu mir umgedreht hatte und im Begriff war etwas zu sagen, doch ich ignorierte ihn stoisch.

Zu meinem Glück kamen im nächsten Moment meine oberflächlichen Freunde und heute freute ich mich besonders sie alle zu begrüßen.

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