16. Dezember

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Das Einzige was mich gestern beschäftigt hatte, war der Gedanke, dass Josh nach der Schule nicht nach Hause gegangen war, sondern zurück in die Klasse. Und ich war mir sicher, dass das gestern keine Ausnahme war. 

Meine Mutter und mein Vater hatten meine innerliche Abwesenheit wohl auch bemerkt, denn sie hatte mich mehrmals gefragt was los war. Ich hatte jedoch beschlossen, dass ich es ihnen nicht sagen würde. Zumindest so lange nicht, bis ich wusste warum er das tat.

Ich suchte nach realitätsnahen Begründungen dafür. Zum Beispiel, dass er auf den Bus warten musste und sich deshalb noch im Warmen aufgehalten hatten. 

In meinem Kopf geisterte auch seit gestern, das Foto von Joshs Adresse herum, dass ich schon wieder fast vergessen hatte. Jetzt hatte ich es, aber schon mehrmals aufgerufen und mir die Straße und die Hausnummer mittlerweile eingeprägt. Auch hatte ich diese in Google Maps eingegeben nur um eine grobe Vorstellung davon zu haben, wo er wohnte. Die Ortungsapp zeigte mir an, dass das Haus von Josh Eltern nur zwanzig Minuten von uns entfernt war. 

Dies widersprach meiner Theorie mit dem Warten auf den Bus, denn dieser Ortsteil wurde etwa drei Mal die Stunde mit dem Bus angefahren. Dafür hätte es sich eigentlich nicht gelohnt nochmal zur Schule zurück zu gehen, selbst wenn er den Bus verpasst hätte. 

Den ganzen Tag grübelte ich in der Schule darüber was ich tun sollte und das Einzige was mir einfiel, war, zu dem Haus von Josh zu fahren. Ich wusste nicht genau, was ich dort sollte oder was ich zu Josh oder seinen Eltern sagen wollte, aber ich musste es einfach probieren. 

Als Josh mich in der Pause beiläufig darauf ansprach, ob er denn heute mit zum Essen kommen könnte, musste ich natürlich absagen, denn ich wollte meinen Plan sofort nach der Schule umsetzten.

,,Tut mir leid,  heute geht's nicht. Meine Mutter macht gar nichts zu Essen heute", log ich schnell. 

Argwöhnisch sah Josh mich an. ,,Ach Echt?"

,,Ja, sie ist nicht da", sagte ich knapp und kramte in meinem Rucksack, damit er mein Gesicht nicht sehen konnte, denn ich war mir sicher, dass ich beim Lügen rot geworden war. 

,,Soll ich einfach so mitkommen? Ich meine, Elias hat mich sowieso gefragt, ob ich nochmal zum Spielen kommen will", fragte er jetzt.

Oh, Mist. Wie wimmel ich ihn bloß ab?

,,Mein Vater will im Moment nicht, dass du vorbeikommst, weil Elias sonst wieder so viel Zeit mit dieser Konsole verbringt und er muss Hausaufgaben machen und so ein Kram", murmelte ich ohne ihn anzusehen und stand jetzt mit gepacktem Rucksack auf. 

,,Wollen wir dann?", fügte ich noch hinzu, in der Hoffnung, dass er sich nicht zu sehr an meine Aussage festklammerte.

Josh musterte mich eine paar Sekunden abschätzig, ehe er nickte und ich mich wieder entspannen konnte, weil er meine Lüge geschluckt hatte. 

Dennoch hatte ich ein schlechtes Gewissen ihm eine solche Lüge aufgetischt zu haben. Heute Morgen noch hatte mein Vater gesagt, wie toll er es fand, dass Josh sich so sehr um Elias bemüht hatte. 

Nach dem Unterricht verabschiedete ich mich eilig von Josh und lief dann schnell hoch zum Parkplatz wo mich mein Vater schon erwartete. 

Zu Hause schlang ich mein Essen runter und erzählte dann meinen Eltern, dass ich ins Einkaufszentrum wollte.

,,Mit Josh?", fragte meine Mutter freundlich. ,,Dann bestell ihm schöne Grüße."

,,Nein, ich will bloß schnell allein was besorgen", erklärte ich knapp und verließ dann das Haus.

Ich war mit dem Bus zu der Haltestelle gefahren, die am nähsten an der Adresse von dem Foto auf meinem Handy war und trotzdem musste ich noch ein ganzes Stück laufen. Auf dem Weg wurden die Häuser immer großer und edler und dann stand ich vor einer großen Stadtvilla, die eine längere Einfahrt aufwies.

Ich überprüfte noch einmal Straße und Hausnummer, doch es stimmte alles. Also holte ich tief Luft und ging die Einfahrt entlang auf die Haustür zu. Dort hing an der Wand ein Schild mit den Namen: Monika, Richard und Liliana Reinhardt. Den Namen Joshua oder Josh konnte ich nirgends entdecken.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und drückte auf den Klingelknopf. Es dauerte einige Sekunden, aber dann öffnete mir ein großer Mann mit Anzug, dunklen Haaren und Bart die Tür.

,,Wie kann ich dir helfen?", fragte er und schien schon über meine bloße Anwesenheit genervt zu sein. 

,,Ähm ... ich wollte zu Josh, also Joshua", erklärte ich nervös.

Der Mann sah mich abschätzig an, dann huschte ein hämisches Grinsen über seine Lippen.

,,Joshua war schon seit Monaten nicht mehr hier. Ich denke auch nicht, dass er wieder kommt", sagte der Mann mit kalter, abweisender Stimme.

,,Sind sie sein Vater?", hakte ich nach, denn ich konnte nicht die geringste Ähnlichkeit zu Josh erkennen. Viel mehr, waren sie sich völlig verschieden.

Wieder verzogen sich seine Lippen zu einem spöttischen Grinsen.

,,Gott sei Dank bin ich das nicht. Dieser Junge ist ein einziger Albtraum gewesen und wir sind alle froh ihn los zu sein."

Ich musste mich zusammenreißen, dass ich nicht ausfällig wurde, denn dieser Mann war einfach nur widerlich und ich fragte mich warum Josh von hier abgehauen war.

,,Sie sind also sein Adoptivvater?", folgerte ich aus dem Gesagten, nur damit ich Gewissheit hatte.

Jetzt verschränkte der Mann seine Arme vor der Brust. ,,Wir waren seine Pflegefamilie, aber Josh hat sich mehr als quergestellt", sagte der Mann und sah mich aus kalten Augen an. ,,So und jetzt zu dir? Was willst du von diesem Taugenichts?"

Schnell schüttelte ich den Kopf. ,,Ich will gar nichts und ich muss jetzt auch gehen", erklärte ich schnell und drehte mich um und ging.

Ich war mir nicht sicher wozu dieser Mann fähig war, also nahm ich lieber schnell reiß aus. 

,,Komm bloß nicht wieder", rief der Mann mir noch hinter her, während ich mich so schnell ich konnte entfernte.

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