3. Dezember

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Samstagmorgen wachte ich viel zu früh für meine Verhältnisse auf und ich konnte auch nicht wieder einschlafen. Also schwang ich die Beine aus dem Bett und machte mich fertig für den Tag.

Vanessa hatte mich gestern gefragt, ob wir shoppen gehen wollte und nach der Auseinandersetzung mit Joshua kam mir das gerade recht. Ich brauchte jetzt jemandem mit dem ich reden und lachen konnte.

Wir trafen uns an der Bushaltestelle und Vanessa begann sofort zu erzählen. Es war schon immer so gewesen, dass sie der aktive Redner war und sie ließ sich nur ungern dazwischen reden. Ehrlich gesagt war es ziemlich nervig.

,,Oh und meine Schwester hat sich wieder meine Jacke genommen, jetzt ist eine riesen Fleck auf dem Ärmel. Die Jacke ist hin. Ich kann sie einfach nur wegwerfen. Und jetzt will Lorena mir nicht mal das Geld geben", beschwerte sich Vanessa während sie in einem kleinen Spiegel ihr Make-up überprüfte.

,,Könntest du sie nicht in die Reinigung bringen?", fragte ich.

,,Ach nein, ich kaufe mir gleich einfach eine neue. Papa hat mir eben noch Taschengeld gegeben." Vanessa zog ihr Portmonee raus und zeigte mir zwei grüne Scheine.

Ich machte große Augen, woraufhin Vanessa nur eine abtuende Handbewegung machte.

,,Es ist nicht so viel, wie du denkst. Wenn ich mir die Jacke und 'ne neue Hose geholt habe, dann ist das Geld auch schon wieder alle. Aber ich weiß ja, dass du das nicht so kennst", gab Vanessa zurück.

Ich zog ungläubig die Brauen hoch, doch sie beachtete meine Reaktion gar nicht, weil sie jetzt auf ihrem Handy tippte.

Dann nahm ich meinen Mut zusammen und fragte sie das, was ich mir schon gestern überlegt hatte.

,,Vanessa, mir geht's grade ziemlich mies, weil meine Eltern sich so oft streiten. Das macht mich echt fertig", erklärte ich ihr.

Ich wusste, lügen war auch nicht toll, doch ich wollte sicher sein, dass sie unsere Freundschaft ernst nahm.

,,Oh nein, Süße, das tut mir leid", sagte sie mit ihrer hohen Stimme und es hörte sich an, als täte ihr es gar nicht leid.

Ich senkte den Kopf und sah traurig in meinen Schoß.

Vanessa legte den Kopf schief. ,,Das wird schon wieder. Wir werden die schlechte Laune jetzt einfach weg shoppen", erklärte sie gut gelaunt. ,,Ich muss unbedingt in diesen neuen Laden."

So war Vanessa. Kaum hatte sie ein Wort zu meinen Problemen gesagt, war sie auch schon wieder bei ihrem eigenen Leben.

,,Tust du mir einen Gefallen und erzählst es niemandem. Ich will ungern, dass es alle in der Schule wissen", fügte ich noch hinzu und sah ihr dabei direkt in die Augen.

,,Oh ja, natürlich, kein Problem", kam es von Vanessa.

Der Rest des Tages war gar nicht nach meinem Geschmack. Vanessa hat ewig in den einzelnen Läden gebraucht und ich war froh, als ich zu Hause war. Dann musste ich schon wieder auf Mira und Ella aufpassen, die mir furchtbar auf die Nerven gingen. So stellte man sich echt kein Wochenende vor.

Und zu allem Überfluss hatte ich Vanessa auch noch zugestimmt mich mit ihr morgen bei Daniel zu treffen.

Am Abend rief ich Pia an, um zu überprüfen, ob mein Plan aufgegangen war. Oder na ja, eigentlich hoffte ich ja, dass er nicht klappt, aber ehrlich gesagt glaubte ich nicht dran.

Pia gehörte auch zu unserer Clique und sie stand Vanessa sehr nahe. Sie passten aber auch einfach zu gut zusammen. Sie war ähnlich oberflächlich wie Vanessa. Ich verstand auch ehrlich gesagt nicht, wie ich es so lange mit denen ausgehalten hatte, wo ich doch vom Wesen eigentlich ganz anders bin.

,,Hey, Lena. Wie geht's dir?", fragte Pia, ließ mir dann aber keine Pause zum Antworten. ,,Vanessa hat schon von eurer Shoppingtour erzählt. Ihr seid richtig fündig geworden, oder?"

,,Vanessa hat ziemlich viel gekauft, ja ...", sagte ich und dachte an die Berge von Klamotten, die in den Tüten von Vanessa verschwunden waren.

,,Ihre neue Jacke ist toll nicht?", sagte sie dann begeistert.

,,Ohh ja, ganz wunderbar", sagte ich abwesend. ,,Hast du Vanessa denn heute noch gesehen?"

,,Ja, wir waren noch einen Kaffee trinken. Oh und Lena es tut mir so leid wegen deinen Eltern", sagte Pia, mit plötzlich trauriger Tonlage.

,,Wieso?", fragte ich knapp, denn scheinbar hatte sich das vorhersehbare Ergebnis meines Plans gerade bestätigt.

,,So 'ne Scheidung ist schrecklich. Ich weiß das von meiner Cousine ..." Pia hielt einen Vortrag über die Scheidung der Eltern ihrer Cousine, während ich darüber grübelte, ob ich am Nachmittag irgendwas von Scheidung gesagt hatte. Nein, ich war mir sicher, Scheidung hatte ich mit keinem Wort erwähnt. Es war also bewiesen, Vanessa konnte nicht mal ein einfaches Versprechen halten.

,,Schon gut", beendete ich ihre Leier, wie furchtbar leid es ihr doch tat. ,,Es ist echt nicht so schlimm."

Pia verabschiedete sich fröhlich, ich halbherzig und wir legten auf.

Mein Plan herauszufinden, ob Vanessa vertrauenswürdig war, hatte also geklappt. Mit dem Ergebnis, dass sie es nicht war. Welch eine Überraschung aber auch.

Aber irgendwie muss ich doch die Länge der Freundschaft berücksichtigen, oder? Immerhin sind wir seit der sechsten Klasse befreundet und das sind fast vier Jahre.

Ich grübelte eine Weile und dann stand fest, dass Teil zwei meines Plans morgen stattfinden würde.

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