15. Dezember

15 4 0
                                    

Ella und ich hatten unseren Eltern gestern Abend von dem einsamen Auto auf dem Feld erzählt. Danach hatte ich mir gewünscht, wir hätten es nicht erzählt.

,,Warum seid ihr denn soweit weg gegangen?", sagte mein Vater und seine Stimme hatte zornig geklungen.

,,Das war doch der Platz, an dem wir früher mit dir waren", hatte ich trotzig zurückgegeben, denn ich hatte gar nicht verstanden, warum mein Vater so wütend war. 

,,Ja, aber Lena, wir haben doch hier direkt vor dem Haus die Gelegenheit zum Schlittenfahren und deine Mutter hat gedacht ihr würdet dort sein. Was glaubt ihr denn, was sie sich für Sorgen gemacht hat, als ihr nicht dort wart", hatte mein Vater geantwortet. 

,,Es ist doch nichts passiert", sagte ich und verdrehte die Augen.

,,Mensch, Lena, ein bisschen Verantwortungsbewusstsein ist doch nicht zu viel verlangt, oder?", gab mein Vater zurück und warf die Hände vor Frust in die Luft. ,,Niemand sonst war dort und hätte mitbekommen, wenn euch etwas passiert wäre. Nicht einmal ein Handy hattet ihr mit."

,,Ach, und sonst beschwert ihr euch immer, dass ich ständig mein Handy benutzte und jetzt hab ich es nicht dabei und es ist trotzdem nicht richtig", warf ich ein und verschränkte die Arme. 

,,Du weißt ganz genau, dass du es dabei haben sollst, wenn du unterwegs bist, besonders wenn deine kleine Schwester dabei ist und ihr nicht Bescheid sagt, wo ihr hingeht. Und dann diese Sache mit dem Auto." Mein Vater schüttelte finster den Kopf und ließ sich jetzt auf einem Stuhl gegenüber von mir nieder. 

,,Was ist denn an dem Auto so schlimm?", fragte ich verwirrt.

,,Es ist beunruhigend, dass dort, weit weg von allem, ein Auto steht, was ganz offenbar genutzt wird. Das ist nicht normal und dort drinnen hätte irgendein Verrückter sein können." Mein Vater sah mich seufzend an und hoffte wohl darauf, dass ich ihn verstanden hatte und ihn ernst nahm.

Ich fand jedoch, dass diese ganze Reaktion viel zu überzogen war, doch das sagte ich natürlich nicht. Ich hatte einfach zustimmend genickt, woraufhin mein Vater ein bisschen zufriedener wirkte.

Jetzt beim Frühstück war wieder alles beim Alten. Meine Eltern waren noch nie nachtragend gewesen und auch Ella schien nicht mehr an Gestern zu denken. Und trotzdem war ich genervt davon, wie wenig mir meine Eltern vertrauten. Ich hatte die ganze Zeit auf Ella aufgepasst. Es hätte gar nichts passieren können, da war ich mir sicher und die Theorie mit dem Verrückten war ja wohl auch ein bisschen weit hergeholt. 

Dass ich genervt war, schien mir wohl auch Josh anzumerken, denn er sah mich besorgt an, als ich ihn in der Schule traf.

,,Alles Okay bei dir?", hakte er nach und beobachtete mich eingehend. 

,,Es ist wegen meinen Eltern. Sie vertrauen mir kein Stück. Ich war gestern mit Lena wo anders als sonst Schlittenfahren und sofort bekomme ich eine Predigt, wie gefährlich es woanders ist", erklärte ich und klatschte wütend meine Bücher auf den Tisch.

,,Ich bin sicher, sie meinen es nur gut. Sie wollen, dass euch nichts passiert", gab Josh zurück.

Ich sah ihn skeptisch an und wusste nicht was ich davon halten sollte, dass er sich auf die Seite meiner Eltern schlug, doch dann seufzte ich und zeigte Einsicht.

,,Ich schätze, du hast Recht. Mich hat es einfach nur so genervt, dass mein Vater so wütend geworden ist. Es ist  schließlich nichts passiert."

,,Wenn es das aber wäre, hätten sie sich ewig Vorwürfe gemacht, dass sie dir nicht gesagt haben, dass ihr nicht dorthin gehen sollt", sagte Josh nun.

Wieder musterte ich ihn und versuchte zu begreifen, was er da sagte. 

,,Eure Eltern lieben euch und wollen nur das Beste. Warum verstehst du das nicht? Es ist doch so offensichtlich", sagte Josh und seufzte. 

Ich starrte ihn ein wenig überrascht und verwirrt an. ,,Ich weiß, dass sie uns lieben und auch, dass sie das Beste für uns wollen", sagte ich.

,,Gut", erwiderte Josh bloß und begann seine angefangene Zeichnung zu beenden. 

Am Nachmittag liefen wir Beide zusammen hoch zum Parkplatz und ich war mir sicher, dass Josh zum Essen mitkommen würde, um so überraschter war ich, als er die Frage von meinem Vater, diesbezüglich, verneinte. 

,,Nein, danke. Heute kann ich leider nicht", winkte Josh ab. 

Verwirrt sah ich ihn an. ,,Bist du sicher?"

,,Natürlich bin ich sicher", sagte er knapp.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, es ging hier um unser Gespräch gestern. Immerhin hatte er gesagt, dass er keine Umstände machen wollte. Vielleicht glaubte er das noch immer. 

,,Kommst du dann Lena?", fragte mein Vater und mir blieb keine andere Wahl, als einzusteigen. 

,,Dann bis Morgen", sagte ich schnell zu Josh, der den Abschiedsgruß erwiderte. 

Durch die Heckscheibe sah ich, dass er eine Weile stehen blieb und dann mit den Händen in den Taschen davon ging. Er lief jedoch nicht die Straße entlang, sondern den schmalen Weg zurück zur Schule. 

Was machte er denn jetzt?

,,Papa, kannst du mich hier rauslassen? Ich habe mein Bio-Buch vergessen und ich brauche es, weil ich für den Test Morgen noch lernen muss", log ich rasch.

Mein Vater warf mir durch den Rückspiegel einen fragenden Blick zu, hielt aber dann am Straßenrand an. 

,,Na gut, ich warte hier. Beeil dich aber", erklärte er.

,,Nein, schon gut. Ihr müsst nicht warten. Ich komme einfach mit dem Bus nach", antwortete ich und schnallte mich ab.

,,Gut, dann bis später."

Ich stieg aus und machte mich dann auf den Weg zurück zur Schule. der Wind blies mir ins Gesicht und ich zog den Reißverschluss meiner Jacke höher. 

In der Schule waren fast keine Schüler mehr. Nur vereinzelt sah man noch Nachzügler, die sich jetzt beeilten, nach Hause zu kommen. Lehrer entdeckte ich allerdings noch einige. 

Ich huschte leise durch die Gänge und versuchte so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Dann war ich in dem Gang meiner Klasse angekommen und lief auf unseren Klassenraum zu. Die Tür war einen Spaltbreit offen und ich linste hindurch. 

Dort auf seinem üblichen Platz saß Josh. Er hatte wieder seine Zeichensachen raus geholt und arbeitete an einem neuen Wesen, dass ziemlich bedrohlich aussah. Er trug keine Jacke und es wirkte nicht so, als würde er sich nur ein paar Minuten die Zeit vertreiben.

Ich schreckte zurück, doch ich machte keinen Mucks, als Josh plötzlich den Stuhl zurück geschoben hatte und seine leere Wasserflasche nahm, um sie am Waschbecken in der hinteren Ecke aufzufüllen. 

Das war doch verrückt. Was machte er bloß hier?

Ich wollte zu ihm reingehen und ihn zur Rede stellen, aber ich hielt mich zurück. Ich hatte eigentlich gedacht ich würde Josh kennen, doch jetzt war ich mir nicht mehr sicher, wie er reagieren würde, wenn ich hier reinplatzen würde. 

Leise zog ich mich zurück und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle immer mit dem Gedanken bei Josh, der alleine im Klassenzimmer saß und zeichnete. 











WichtelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt