5. Dezember

28 1 3
                                    

Ich war noch immer überrascht von dieser Wendung meines Lebens.

Nachdem Vanessa und Daniel so unterirdisch auf mein Hobby reagiert hatten, war ich am nächsten Tag einen Platz von ihnen weggerückt und das hatte alles verändert.

Ich hatte gemerkt, dass weder Vanessa noch Daniel, Lorenz oder Pia meine Freunde gewesen waren.

Seit diesem Moment hatten sie lauthals über mich hergezogen, natürlich sodass ich es mitbekam. Sie dachten wahrscheinlich, dass es mich verletzten würde, doch da diese Leute noch nie meine Freunde gewesen waren, konnte mir ihr Gerede nichts anhaben.

Das einzige was fehlte, war, dass ich die belanglosen Sachen nicht mehr mit Vanessa teilen konnte. Eigentlich hatte ich im Moment niemanden, mit dem ich reden konnte. Daher war ich auch die erste, die nach dem Unterricht aus dem Raum flüchtete.

Ich stieß die Tür, die nach draußen führte auf und wurde von Schneeflocken begrüßt, die mir ins Gesicht wehten.

Na super. Schnee hatte mir gerade noch gefehlt.

Vorsichtig setzte ich auf dem nassen Gehsteig einen Fuß vor den anderen. Bis jemand meinen Namen rief: ,,Lena."

Joshua schlitterte mir entgegen und prallte beinah mit mir zusammen. Automatisch packte er mich an den Armen, um nicht um zufallen und riss mich damit zu Boden. Er folgte mir und fiel auf mich. Er drückte mich in den Matsch und ich merkte, wie meine Hose durchweichte.

Klasse, dieser Tag wurde immer besser.

,,Sorry, das war echt keine Absicht", entschuldigte sich Joshua.

,,Schon gut", gab ich zurück. ,,Geh einfach runter von mir."

Joshua rappelte sich auf und reichte mir dann seine Hand. ,,Hier, ich helfe dir"

Ich wollte mich selbst aufsetzten, aber dazu hätte ich mich auf der matschigen Wiese abstützen müssen und ich wollte nicht noch dreckiger werden. Also nahm ich seine Hand und ließ mir aufhelfen.

,,Danke", murmelte ich und drehte mich um und ging langsam in Richtung Parkplatz.

,,Hey, warte", sagte er jetzt wieder.

,,Ich erinnere mich an deine eindeutigen Worte, also lass gut sein", antwortete ich knapp.

,,Ich habe gesehen, dass du dich nicht mehr mit der ollen Vanessa und diesem Daniel abgibst", rief er jetzt.

Jetzt drehte ich mich doch um. ,,Was soll das? Vorgestern hast du mich wütend angemacht und jetzt rennst du mir hinterher?"

Joshua seufzte. ,,Du hattest recht, ich kenne dich nicht. Lass uns von vorn beginnen, dann sage ich dir auch, was du mir schenken kannst", sagte Joshua und wenn ich mich nicht täuschte, hatte er kurz gelächelt.

Stirnrunzelnd sah ich ihn an.

So richtig war das keine Entschuldigung, aber fast.

,,Komm schon, Lena, du willst doch kein ödes Referat halten, oder?", fragte er nun und dieses Mal lag dort wirklich ein Lächeln auf seinen Lippen. Eins, dass mich herausfordern wollte.

,,Na schön, Joshua", gab ich mürrisch nach, doch innerlich freute ich mich.

,,Josh", verbesserte er mich prompt und grinste. Er sah so jung aus mit diesem Lächeln. Etwas war anders als sonst.

,,Also, Josh, wann sagst du mir, welche Kleinigkeit bis zehn Euro dich glücklich machen würde?", fragte ich, während wir langsam dem Gehweg folgten.

,,Nicht so schnell, außerdem musst du mir auch diesen Gefallen tun", sagte Josh und blickte mich von der Seite an.

Ich dachte darüber nach, was ich gebrauchen könnte. So spontan viel mir nichts ein.

,,Lena, schnell, Papa wartet schon", rief meine kleine Schwester, die nun auf mich zu gerannt kam. ,,Wo bleibst du denn?" Die braunen Locken von Mira hüpften auf ihrer Schulter und zusammen mit dem weißen Anorak wirkte sie wie ein Engel. Sie blieb vor mir stehen und sah mich an. Dann wanderte ihr Blick zu Josh. ,,Wer ist das?", fragte sie mit großen Augen.

,,Hey Mira, alles klar? Wir war's im Kindergarten?", fragte ich und hockte mich neben sie.

,,Toll, wir haben den ganzen Tag draußen gespielt." Mira äugte wieder zu Josh rüber. ,,Wer ist das?"

,,Das ist Josh", erklärte ich ihr.

Josh lächelte verhalten. Aus irgendeinem Grund war ihm diese Situation nicht geheuer und er hielt sich einige Meter von meiner Schwester fern.

,,Ist er dein Freund?", fragte sie wieder.

,,Mira, Mensch, du sollst doch nicht einfach weglaufen", ertönte nun die Stimme meines Vaters, der uns entgegenkam. ,,Können wir dann los?", fragte er mit einem Blick auf mich. Dann blieben seine Augen kurz an Josh hängen, der ein wenig Abseits stand und die Situation beobachtete.
,,Du bist Joshua, oder?", fragte er freundlich und nahm Mira auf den Arm.

Josh sah überrascht darüber aus, dass mein Vater seinen Namen kannte. Mich wunderte es allerdings nicht, denn mein Vater hatte schon immer ein gutes Gedächtnis.

,,Ja, der bin ich", sagte Josh.

Mein Vater reichte ihm seine freie Hand und Josh ergriff sie nach kurzem Zögern. Förmlich schüttelten sie sich die Hände.

,,Meine Tochter hat schon einiges erzählt ...", begann mein Vater, doch ich sah kommen, dass er Sachen ausplaudern würde, die niemanden außer meiner Familie was an gingen.

,,Papa, können wir einfach fahren", verhinderte ich Schlimmeres.

,,Natürlich", sagte mein Vater und drehte sich dann zu Josh. ,,Können wir dich irgendwo absetzen?"

,,Nein, vielen Dank. Ich komme schon klar", wehrte Josh das Angebot ab.

,,Na gut, dann los, Lena" Mein Vater ging mit meiner Schwester auf dem Arm zum Auto zurück. Mira winkte Josh zu, der langsam den Arm hob und zurückwinkte.

,,Also, ich muss dann los. Wir sehen uns dann morgen, oder?", fragte ich, weil ich mir unsicher war wie diese Verbindung in der Zukunft aussehen wird.

,,Ja sicher", erwiderte er und lächelte aufrichtig, was mir auch ein Lächeln aufs Gesicht zauberte.

Auch ich winkte ein letztes Mal über die Schulter und stieg dann ins Auto. Mein Bruder Elias saß vorn, so musste ich mich zwischen Mira und Ella auf die Rückbank quetschen.

,,Lena hat einen Freund", erklärte Mira sofort, woraufhin ich die Augen verdrehte.

,,Er ist nicht mein Freund. Er ist ein Freund", erwiderte ich, während mein Vater losfuhr.

,,Er scheint aber nett zu sein, nur ein wenig schüchtern", bemerkt mein Vater, der meinen Blick im Spiegel suchte. Ich zuckte nur mit den Schultern.

,,Also eigentlich ist er gar nicht schüchtern", murmelte ich während ich mich an die anderen Begegnungen mit ihm erinnerte. Josh war sogar ziemlich schlagfertig gewesen.

Man muss allerdings auch beherzigen, dass Mira schon öfter für Sprachlosigkeit gesorgt hatte. Sie sah einfach zauberhaft aus. Man musste sie einfach lieben und da konnte man schon mal überfordert sein.

,,Auf jeden Fall ist er nicht so furchtbar, wie du neulich erzählt hast."

,,Nein, das ist er nicht", murmelte ich noch immer in Gedanken.

Josh hatte schon immer mürrisch und unaufgeschlossen gewirkt, aber jetzt hatte er sich als völlig andere Person entpuppt. Wer weiß, vielleicht ist das ja die Basis für eine enge Freundschaft.

Am Nachmittag ging ich mit meiner Mutter einkaufen. Ich mochte es gerne, außer wenn meine Geschwister mit dabei waren. Ich liebte sie, wirklich. Allerdings waren sie beim Einkaufen einfach nur nervenaufreibend.

Ich schlenderte durch die Gänge und suchte nach der Schreibwarenabteilung, weil ich dringend neue Bleistifte brauchte. Kurz darauf bog ich in den richtigen Gang ein und fand mich vor Schreibblöcken, Stiften und Co. wieder.

Ich wählte einige weiche und harte Exemplare aus und als ich die Stifte so ansah, fiel mir ein, dass Josh in der Schule mit dem viel zu kurzen Stift gezeichnet hatte.

Kurzerhand packte ich einen weiteren Bleistift und ging dann auf die Suche nach meiner Mutter Richtung Kasse.

WichtelnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt