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George schlief leise neben mir.
Ich hingegen lag wach da, horchte und dachte.
Horchte auf mögliche Geräusche meiner Eltern.
Dachte über die Worte meines Bruders, über seine Träume und unsere Eltern nach.
Woher hatte mein Bruder diese Träume? Und woher wusste er das mit unseren Eltern?
Woher? Verdammte Scheiße!
George machte mir deshalb ein wenig Angst, aber er war immer noch mein Bruder. Auch wenn sich das im Moment nicht so anfühlte. Er verhielt sich so... falsch.

Mein Blick fiel auf die Uhr.
In einer halben Stunde würden meine Eltern aufstehen, sich für die Arbeit fertig machen und dann zu dieser gemeinsam fahren.
Doch heute würde das nicht geschehen, denn sie waren nicht da.
Und sie würden auch nicht mehr kommen.
Deshalb stand ich auf, nahm meine Klamotten und ging mit ihnen ins Badezimmer. Dort zog ich mich um. Dann putzte ich mir Zähne, denn essen werde ich in den nächsten Stunden nichts.
Da ich mein Handy im Zimmer vergessen hatte, holte ich es auf leisen Sohlen und schaltete dabei den Wecker aus.
"Heute geht niemand von uns Beiden in die Schule", flüsterte ich leise. Er hörte es nicht, oder reagierte nicht darauf.
Leise schlich ich in das Wohnzimmer. Dort ließ ich mich auf das Sofa fallen. Lange starrte ich mein Handy und das Haustelefon an. Beide lagen auf dem kleinen Tisch vor mir.
Zuerst nahm ich mein Handy und klickte mich in die Kontakte. Dort wählte ich meinen Dad aus und rief an.
Ich ließ es so lange klingeln, bis seine Stimme als Mailbox zu hören war. Nach dem Biep sagte ich mit Tränen in den Augen:"Hallo Dad. Ich weiß nicht wo du bist, aber wenn du das hörst, dann bitte ruf mich an. Oder komm nach Hause. Ich hab dich lieb. Bitte komm bald."
Sanft strich ich mir die erste Träne weg. Jetzt kam meine Mom dran. Auch bei ihr wartete ich auf die Mailbox.
"Hey Mom. Wo bist du? Warum bist du nicht hier? Ich vermisse dich. George vermisst dich. Wir brauchen euch. Bitte kommt wieder zurück. Du und Dad. Ich hab dich lieb."
Traurig legte ich das Handy weg. Auf einen Rückruf hoffte ich nicht wirklich. Mein Blick fiel auf die Uhr.
Zeit die Arbeit meiner Eltern anzurufen.
Es biepte nicht lange, dann hob der junge Mann von gestern ab.
"Guten Morgen. Wie kann ich Ihnen helfen?"
Ich holte tief Luft. "Hallo. Ich bin es wieder, Laura Wilson."
Er schien nicht lange überlegen zu müssen, denn er antwortete sofort:"Oh richtig! Sind deine Eltern wieder zurück?" Ich seufzte.
"Eigentlich wollte ich dich... oh entschuldigung... Sie das fragen. Aber anscheinend sind sie auch nicht bei der Arbeit."
"Nein, tut mir Leid. Aber wenn ich etwas höre, könnte ich dich anrufen."
Mein Gesicht erhellte sich ein wenig. "Das wäre wunderbar. Ich danke Ihnen."
"Du kannst ruhig du zu mir sagen. Ich heiße übrigends Ron."
"Okay, Ron. Wir hören voneinander."
Ich legte auf. Die Nummer musste wohl angezeigt werden, denn er hatte nicht mehr danach gefragt.
Aber das war jetzt unwichtig.
"Polizei", sagte ich laut während ich wieder die kurze Nummer wählte.
"NYPD. Was ist passiert?"
Dieses Mal war es eine Frau. Vielleicht hatte die bessere Ratschläge als der Mann von gestern.
Geschlafen hatte ich nämlich nicht.
"Hallo. Ich hatte gestern schon angerufen, aber richtig geholfen hat man mir nicht."
"Wer hat mit Ihnen geredet?"
"Weiß ich nicht. Aber das ist jetzt auch egal. Meine Eltern sind nämlich verschwunden."
"Seit wann?"
"Seit gestern. Normalerweise kommen sie Abends immer um 18:20 Uhr. Aber sie sind gar nicht mehr aufgetaucht."
"Wo wohnst du, Laura?"
Ich gab ihr meine Adresse.
"Ich komme zu dir und erkläre dir den weiteren Verlauf."
Bejahend nickte ich. Warum auch immer ich nickte.
Sie legte auf.
Ich legte das Telefon ab. Wieder schaute ich auf die Uhr.
Mit leisen Schritten ging ich in mein Zimmer. George lag auf dem Bauch, die Hand baumelte über der Bettkante.
Nein, ihn würde ich nicht wecken, sonst plauderte er noch die Träume aus. Damit wollte ich mich ohne die Polizei beschäftigen. Im schlimmsten Fall gaben sie ihn in eine Irrenanstalt für Kinder.
~Gab es das überhaupt?~
Was wollte denn jetzt meine innere Stimme wieder? Sie half nicht, sondern störte.

Es vergingen zwanzig Minuten, bis es an der Tür klopfte. Ich öffnete. Vor mir stand eine große, schlanke Frau mit braunen Dutt und blauen Augen. Sie steckte in einer ordentlichen Polizeiuniform mit dem NYPD Zeichen an der Schulter.
"Laura Wilson, ich heiße Mona Pengmourth. Wir haben telefoniert."
"Hallo."
Sie sah sich um und fragte etwas argwöhnisch:"Bist du allein?"
Kopfschüttelnd antwortete ich:"Nein. Mein jüngerer Bruder ist in meinem Zimmer und schläft. Ich wollte ihn nicht zu sehr aufregen."
Es war die halbe Wahrheit, aber sie merkte nichts.
Ich bat sie herein. Zusammen gingen wir in die Küche und setzten uns an den Tisch. "Möchten Sie etwas trinken?", fragte ich nettigkeitshalber.
"Nein, danke."
Ich nickte und faltete nervös die Hände.
"So Laura. Du hast gesagt, dass deine Eltern seit gestern verschwunden sind. Anrufe nehmen sie auch nicht entgegen?"
Ich konnte nur den Kopf schütteln. Das Einzige was ich wollte war meine Eltern finden und weinen.
"Weißt du Laura, es ist so. Deine Eltern sind erwachsen und können rein theoretisch einfach gehen wann sie wollen. Da sie aber zwei Kinder zu versorgen haben, ist das rechtlich gesehen verboten."
"Sie müssen wissen, dass ich hier am Meisten getan habe. In der Früh kümmere ich mich um meinen Bruder, gehe in die Schule und Abends koche ich für alle. Eigentlich trage ich die ganze Verantwortung."
Plötzlich wurde ich wütend.
Meine Eltern waren gegangen, weil sie genau wissen, dass ich es auch allein schaffe!
~Nein... das würden sie nie machen~
Ich seufzte. Meine innere Stimme hatte recht.
"Das tut nichts zur Sache. Sie können nicht einfach gehen."
"Das würden sie such nicht. Sie würden nicht einfach gehen. Das sieht ihnen nicht ähnlich."
Mona nickte.
"Du kannst zwar eine Vermisstenanzeige aufgeben, aber suchen werden wir sie erst können, wenn wir wissen, dass sie in Gefahr sind."
"Was ist denn das für ein Scheiß?"
Sie sah mich entschuldigend an.
"Es tut mir wirklich Leid. Aber eine Vermisstenanzeige würde trotzdem helfen."
"Na gut. Was brauchen Sie alles?"
Sie nickte. "Möglichst viele Daten deiner Eltern, sowie ein aktuelles Foto."
Ich deutete ihr zu warten und stand auf. Schnell lief ich ins Wohnzimmer und holte aus einem der Hängeschränke ein Fotoalbum heraus. Daraus entnahm ich das letzte Foto meiner Eltern auf denen man sie gut erkennen konnte.
Mit dem Foto kam ich in die Küche zurück. Ich gab Mona das Foto und sagte:"Das habe ich an Weihnachten geschossen. Ein aktuelleres habe ich nicht."
"Das ist perfekt, Laura. Jetzt bitte die Daten."
Sie holte einen kleinen Block heraus und einen Kugelschreiber.
Und dann erzählte ich alles was ich von meinen Eltern wusste.
Von der Haarfarbe bis zur Größe.
"Perfekt. Danke Laura. Ich gebe die Anzeige auf. Da du und dein Bruder jedoch minderjährig seid, muss ich das Jugendamt verständigen, das aber erst in drei Tagen. Falls deine Eltern in drei Tagen wieder hier sein sollten, besteht kein Problem mehr. Oder hast du eine Verwandte, die sich nach frei Tagen um euch kümmern kann?"
Meine Gedanken wanderten zu Petra, meiner Tante mütterlicherseits. Doch sie war in Washington.
"Wir haben eine Tante. Aber sie ist in Washington und ich weiß nicht ob sie einfach herkommen kann."
"Entweder das oder eine Betreuerin."
"Na schön. Ich werde meine Tante anrufen. Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe." Sie nickte, stand auf und schüttelte mir die Hand. Bevor sie aber aus der Tür raus war, drehte sie sich nochmal um und steckte mir einen Zettel zu.
"Meine E-Mail und Handynummer. Wenn du deine Tante kontaktiert hast, ruf mich bitte an. Und sollte sonst irgendwas sein, ruf an. Aber ganz wichtig, wenn deine Eltern zurück sein sollten." Ich nickte.
Sie nickte ebenfalls und verschwand aus der Haustür.
Plötzlich hörte ich meinen Klingelton. So schnell ich konnte rannte ich ins Wohnzimmer und sah auf das Display. Enttäuscht ging ich ran.
"Hallo Peter."
"Alles okay, Laura?"
Ich zögerte.
"Wie kommst du darauf, dass nicht alles okay ist?"
"Keine Ahnung. Ich spüre es einfach."
Wieder zögern. Dann fing ich an bitterlich zu heulen. Meine Hoffnung war abgestorben.
"Nein. Es ist überhaupt nichts okay. Meine Eltern sind verschwunden."
"Ich komme sofort!"

Want you, Spidey Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt