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Es war inzwischen wieder Nacht geworden. Die Schule hatte ich mit einem grimmigen Gesicht locker überstanden. Die Busfahrt mit Peter war wie immer schön gewesen, wenn auch kurz, aber morgen würde ich ihn wieder sehen. Meine Eltern hatte ich heute noch nicht gesehen.
~Niemand weiß von dem Umzug~
Genervt ignorierte ich meine innere Stimme. Sie hatte zwar recht, aber es nervte abgöttisch.
"Das sag ich ihnen noch früh genug", flüsterte ich mir selbst zu.
"Was hast du gesagt?" Ich sah auf. George stand gähnend im Türrahmen und sah mich müde an. Mein Blick fiel auf den Wecker auf dem kleinen Nachttisch.
"George, du müsstest schon längst schlafen."
"Ich hatte einen Albtraum", schluchzte er. Erst jetzt erkannte ich die kleinen Tränen auf seinen rosigen Wangen. Ich stand vom Bett auf und lief auf ihn zu. Sofort umarmte ich ihn. Langsam führte ich ihn zum Bett auf das er sich leise fallen ließ. Ich setzte mich neben ihn.
"Was hast du denn geträumt?"
Stille.
"Dass Mami und Dadi einfach gegangen sind. Sie waren weg." Meine Kinnlade klappte runter. Mein Bruder hatte noch nie solch einen Albtraum gehabt. Es waren immer nur Monster gewesen die ihn verfolgten, aber niemals etwas das mit der Familie zu tun hatte.
Ich nahm sein junges Gesicht in die Hände und zwang ihn mich anzusehen.
"George, unseren Eltern geht es gut. Sie sind nur noch nicht von der Arbeit zurück."
Plötzlich klopfte es an der Haustür. Mein Herz pochte laut gegen meine Brust. "Warte hier", flüsterte ich George zu. Er schüttelte den Kopf, nahm meine Hand und ging mit mir zur Tür.
Dort angekommen schaute ich durch den Spion. Erleichtert stöhnte ich auf und drehte den Schlüssel um.
"Oh Mann. Mum! Dad! Warum seid ihr so spät erst hier?"
Beide sahen fertig und müde aus.
"Wir mussten noch einiges wegen dem Umzug klären", antwortete Dad. Doch so richtig glaubte ich ihm nicht. Bevor ich aber nachfragen konnte, fragte Mom mit wütenden Unterton:"Warum bist du noch nicht im Bett, George?"
Er sah etwas beschämt weg.
"Er hatte einen Albtraum und wird deshalb bei mir schlafen." Mit ernsten Gesicht lief ich mit George in mein Schlafzimmer zurück.
"Wir müssen eh zugleich aufstehen", grinste ich, versuchte ihn so zum Lachen zu bringen. Doch George lachte nicht. Ohne ein Wort legte er sich ins Bett.
Ich legte mich neben ihn.
"Gute Nacht", sagte ich noch. Er antwortete nicht.

Biep. Biep. Biep
Ich drehte mich zur Seite und drückte so lange auf dem Wecker umher, bis das nervige Biepen endlich aufhörte. Stöhnend schlug ich die Decke zur Seite. Neben mir seufzte George auf. "Ich will nicht aufstehen", jammerte er. Kurz lachte ich.
"Ach George. Geh du dich schon mal umziehen, während ich Frühstück mache." Ich schaute zwar nicht hin, aber ich wusste, dass er die Augen verdrehte.
Schnell lief ich in die Küche und deckte den Tisch. Dann schnitt ich das dunkle Brot in Scheiben und stellte die Butter mit der Marmelade auf den Tisch. Ich setzte mich hin und fing an das Pausenbrot für George zu streichen. Schließlich legte ich es in die Box und stopfte diese in den Rucksack.
Es dauerte daraufhin nicht lange und George kam schlurfend in die Küche. Er setzte sich an den Tisch und schmierte sich sein Brot zum Frühstück selbst. Ich tat es ihm gleich. Still saßen wir uns gegenüber und frühstückten. Ich trank meinen Orangensaft aus und sagte:"Ich zieh mich schnell um. Wenn du fertig hast, gehst du bitte deine Zähne putzen. Das hast du gestern wieder vergessen." Mahnend sah ich ihn an. Er nickte.
~Er denkt sicher noch an den Albtraum von letzter Nacht~
In meinem Zimmer angekommen, zog ich mir die blaue Jeans und den roten Pullover an. Mit meinen schwarzen Schuhen ging ich in die Küche zurück. George war schon beim Zähne putzen, weshalb ich den Tisch abräumte.

"Ich bin fertig. Darf ich noch rin bisschen Fern sehen?" Ich nickte, schaltete für George einen Kindekanal ein und machte mich dann auf den Weg in das Badezimmer.
Die Zähne weiß geputzt, die Haare gekämmt und die Toilette benutzt, machte ich mich wieder auf den Weg zu George.
Bevor ich im Wohnzimmer ankam, hörte ich einen Schrei. George's Schrei.
Sofort rannte ich zu ihm. Er lag schlafend auf dem Sofa und schrie was das Zeug hielt. Die kleinen Hände waren zusammen gekrampft, das Gesicht verzogen.
"George!" Ich kniete mich neben ihn und schüttelte seine Schultern. Langsam wurde er ruhig. Das Schreien verebte, die Hände und die Gesichtszüge entspannten sich.
Seine braunen Augen öffneten sich.
Kleine Tränen rannen über seine Wangen.
"Laura", er stockte. "Mami und Dadi. Sie sind weg."
Ich streichelte über seinen Rücken. "Ja, sie sind bei der Arbeit."
Er schüttelte den Kopf.
"Nein, nicht bei der Arbeit. Weg. Sie sind wirklich weg."
Nun musste ich den Kopf schütteln.
"George, das hast du nur geträumt. Mom und Dad geht es gut. Sie sind wie jeden Tag bei der Arbeit. Heute Abend siehst du sie wieder."
Er blieb still, schien nachzudenken. Dann nickte er.
"Okay."
"Gut. Aber jetzt komm. Wir müssen beide in die Schule."
Er stand auf.

Der restliche Tag war wie jeder Tag.
Gewöhnlich.
Mein Mittagessen verbrachte ich wie immer mit meinen Freunden. Mit MJ redete ich viel über Lucy. Sie war ganz aufgeregt. Morgen hatte sie das Date mit Lucy und übermorgen das Vorstellungsgespräch.
Ein aufregendes Wochenende stand ihr bevor.
Peter musste das Wochenende zu Mr. Stark, deswegen würde ich ihn weniger sehen.
Ned hatte nichts zu tun. Er hatte vor lange zu schlafen. Gar keine blöde Idee.
Bis auf Samstag hatte ich auch nichts vor. Nicht gerade spannend für jemand in meinem Alter.

Nun war ich fast Zuhause. Ich musste nur die Haustür aufsperren.
George war noch nicht da. Er war noch zu einem Freund gegangen.
~Wenigstens geht es ihm nach heute Morgen besser~
In der Wohnung angekommen ging ich in mein Zimmer, schaltete Musik ein und setzte mich auf den Balkon. Dort las ich, lange.

Es war inzwischen 18:00 Uhr. Meine Eltern würden bald Heim kommen. Mein Bruder müsste auf dem Weg sein. Der Vater seines Freundes würde ihn hier absetzen.
Und, als hätte er mich gehört, klingelte es. Ich rannte zur Haustür und öffnete. George stand allein da.
"Hey. Wie wars?"
"Es war schön. Wir haben ganz viel gespielt."
Dann wurde er still.
Nach längerer Zeit fragte er:"Sind Mami und Dadi schon da?"
Ich schüttelte den Kopf und antwortete:"Sie kommen in zwanzig Minuten. So wie immer."
Mir ging seine Fragerei um Mom und Dad ein wenig auf die Nerven. Doch er war noch jung. Wahrscheinlich hat ihm irgendwer in der Schule diesen Blödsinn eingeredet.

Inzwischen war es 19:00 Uhr. Mom und Dad waren noch nicht da. Angerufen hatten sie auch nicht, Anrufe nahmen sie auch keine entgegen.
"Ich rufe mal bei ihrer Arbeit an."
George saß mir gegenüber und malte. So hatte ich ihn ein wenig beruhigen können.
Ich nahm das Haustelefon und suchte dort die eingespeicherte Nummer. Nach einer gefühlten Ewigkeit fand ich sie.
Ich rief an.
Es dauerte nicht lange und ein junger Mann ging ran.
"Guten Abend. Wie kann ich Ihnen helfen?"
"Hallo. M-mein Name ist Laura Wilson. Kann ich bitte meine Mutter oder meinen Vater sprechen?"
"Wie heißt deine Mutter?"
"Jenna Wilson. Mein Vater heißt Harry Wilson. Er ist der Vorgesetzte meiner Mutter."
Ich hörte ein Rascheln.
"Tut mir Leid, aber deine Eltern sind schon weg. Sie sind um 18:00 Uhr gestartet."
Ich seufzte. "Hätten Sie vielleicht eine Idee wo sie hin sein könnten?"
"Nein, tut mir Leid. Darf ich fragen warum du anrufst?"
"Meine Eltern sind noch nicht Heim gekommen. Sonst sind sie immer um 18:20 Uhr da. Und ans Telefon gehen sie auch nicht."
Kurz war es still. "Soll ich die Polizei verständigen?"
Das versetzte mir einen Schlag.
"Nein. Ich denke wir warten noch. Danke trotzdem." Ohne weiteren Worte legte ich auf.
George sah von seinem Blatt auf und mich fragend an.
"Kommen sie bald?"
"Ich weiß es nicht, George."

Inzwischen war es Mitternacht. George war hundemüde, wollte jedoch nicht schlafen. Er lag auf dem Sofa und starrte auf den Boden. Ich saß immer noch am Esstisch.
Meine Hände stützten meinen Kopf.
Schließlich wählte ich nochmals die Nummer meiner Mutter.
Niemand ging ran.
Dann die Nummer meines Vaters.
Niemand ging ran.

"Laura. Bitte ruf die Polizei an."
Ich sah auf. George stand vor mir. Die Augen vor Müdigkeit halb geschlossen.
"Okay", ich musste die Tränen zurück halten.
911 tippte ich auf das Tastfeld ein.
"NYPD. Was ist passiert?"
"Mein Name ist Laura Wilson. Und ich glaube, dass meine Eltern verschwunden sind."
"Wie lange sind sie schon weg?"
Kurz rechnete ich nach.
"Seit ungefähr sechs Stunden. Eigentlich sind sie um 18:20 Zuhause, aber sie sind noch nicht da. Anrufe nehmen sie auch nicht entgegen. Ich hab es auch bei der Arbeit versucht, aber sie sind da wie immer um 18:00 Uhr weg."
"Ist heute ein besonderer Jahrestag bei deinen Eltern?"
"Nein! Sie sind einfach weg. Helfen Sie mir!" Ich spürte die Wut in mir hochkochen. Was fragte der solch blöde Sachen? Was hatte ein Jahrestag damit zu tun, wo meine Eltern waren?!
"Laura, beruhige dich. Wir machen das jetzt so. Hast du Geschwister?"
"Ja. Einen jüngeren Bruder."
"Gut. Dann gehst du und dein Bruder in Ruhe schlafen. Wenn deine Eltern morgen Früh immer noch nicht Zuhause sind, dann rufst du mich nochmal an, verstanden?"
Ich fand, dass das eine blöde Idee war.
"Okay."
Er legte auf. Mit dem Telefon ging ich zu George, der inzwischen wieder auf dem Sofa lag.
"Komm. Wir gehen schlafen."
"Aber was ist mit Mami und Dadi?"
"Der Polizist hat gesagt, dass wenn sie morgen Früh nicht hier sind, wir ihn nochmal anrufen sollen."
George wurde ernst.
"Ich habe dir doch gesagt, dass Mami und Dadi weg sind."
"Wie meinst du das?"
"Der Traum. Es war keiner. Mami und Dadi sind weg."
Er hatte recht. George hatte es gewusst.
"Mami und Dadi werden auch morgen noch weg sein."
"George, du machst mir Angst."
Er lächelte.
"Hab keine Angst, Schwesterherz. Bald werde ich wieder träumen und dann wissen wo Mami und Dadi sind."

Want you, Spidey Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt