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Aylana

Sephora setzte zum Flug an und entfaltete ihre Flügel. Die Spannweite war jedes Mal aufs Neue faszinierend und sie leuchteten in den schönsten Farben, die ich je gesehen hatte. Anmutig hob sie sich in die Luft und ließ den Wind unter ihren Flügeln wehen, damit wir von der Stelle kamen.

Ich bemerkte Nolans Griff um meinen Bauch, der sich verfestigte und ein Kribbeln in meinem Bauch auslöste. Kontakt zu Jungs in meinem Alter hatte ich verboten bekommen und musste mich strikt an die Anweisungen meiner Eltern halten. Ich bereute es, mich nicht genug über Jungs informiert zu haben, denn in den Augen meines Hintermanns benahm ich mich wahrscheinlich zu offensichtlich.

Ich gebe zu, ich kannte nur Calev, meinen Dad und meinen Bruder als männliche Person. Zwischen Calev und mir herrschte eine freigeräumige Freundschaft, die nicht tiefer ging, also stellte er kein gefühlstechnisches Problem da.

Marley würde ich am liebsten im Weltraum schmoren lassen und mein Dad sollte ab und zu an seinen Erziehungsmaßnahmen arbeiten.
Da war es doch nur berechtigt einen Nebel im Kopf zu haben, wenn Nolan mir nahe war und das ist in den letzten Stunden schon wieder passiert.

Das Kribbeln, welches mich hibbelig werden ließ und mir ein Grinsen auf die Lippen legte, ist verwirrend und manchmal schien es den Anschein zu haben, dass Nolan ungefähr wusste, was für eine Wirkung er auf mich hatte. Und trotzdessen er mir Erfahrungsgemäß um einiges voraus war, machte es mir nichts aus ein Anfänger zu sein.

Warum hatte mir meine Großmutter nicht darüber noch Bücher aufbewahrt ?
Gab es so etwas überhaupt oder musste man das selbst erlernen ?
Woher nahm man an, dass das alles richtig war ?

Nolan riss mich aus meinen verrückten Überlegungen: „Der Himmel ist faszinierend". Völlig aus dem Konzept gebracht nickte ich und sah selbst in den brombeerfarbenen Himmel, den durchsichtige Wolken zierten und kurz darauf weicher Regen hinab fiel.

Sephora landete, da es für sie mit verklebten Flügeln nicht mehr angenehm war und ich bedankte mich im Namen von uns beiden bei ihr. Mit festem Boden unter den Füßen stellten wir uns unter und ich riss kurzerhand zwei längliche Seerosenblätter ab. Eines überreichte ich meinem aufgegabelten Begleiter und hielt mein eigenes zur Demonstration über den Kopf. Einzelne Regentropfen perlen auf dem Blatt ab und fielen zu Boden, wenn sie sich nicht gerade zu kleinen Wassermengen zusammenschlossen.

Fasziniert legte Nolan seinen Kopf in den Nacken und betrachtete den Himmel: „Ich habe noch nie lila Regen gesehen". Ich bog meine Mundwinkel nach oben und gab mit einer Kopfbewegung die Richtung vor, in die ich laufen wollte. Er folgte mir und wir liefen durch das Dickicht. Unterwegs gabelten wir das Plate meines Vaters auf und kamen nach guten 12 Minuten an der Bewohnerzone an. Die Seerosenblätter hatten wir nach Ende des Regens entsorgt, obwohl sie uns nicht wirklich vor dem klebrigen Regen geschützt hatten.

"Warum starren die Leute so ?", wisperte Nolan in meine Richtung, als wir einige gepflasterte Wege pasierten und uns Bewohner entgegenkamen. „Ich bin hier nicht sonderlich beliebt", versuchte ich mich zu erklären und er grinste. „Weil du vielleicht gruselig bist ?". „Die Leute hier nennen es verschlossen, seltsam, arrogant und nicht dem Planeten entsprechend".

Sein Grinsen verschwand von seinem Gesicht und er sah einer alten Frau neutral entgegen, die uns im Vorbeigehen kopfschüttelnd betrachtete. „Ist bestimmt nicht leicht ein Außenseiter zu sein". Ich nickte um meine Zustimmung zu verdeutlichen und wand meinen Kopf, als ein lauter Schrei ertönte.

Die alte Dame, die uns zuvor gemustert hat, sank zu Boden und hielt sich mit einem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck ihr Schienbein. Ein kleiner Junge stand mit angsterfüllten Augen vor ihr und schrie um Hilfe. Unter seinem Arm klammte ein Plate hervor, jenes auch nicht mehr das Neuste war.

Ich presste meine Lippen aufeinander, irgendwer wird ihr helfen, schließlich kamen gerade einige Leute aus ihren Häusern um zu schauen was passiert war. Es ist nicht so, dass ich nicht helfen will, ich kann es einfach nicht. Zumindest nicht ohne etwas falsch zu machen oder mir abwertende Kommentare anzuhören.

Im Moment half der Dame immer noch niemand, aber plötzlich schien sich ein Schalter in Nolan umgelegt zu haben und er kniete sich neben die Bedürftige. Ich umklammerte den Griff meiner Tasche fester und trat zögerlich neben ihn. Er redete leise mit der Frau und der Junge stand hilflos daneben, also gesellte ich mich neben ihn, um ebenfalls auf die beiden Personen hinabzusehen. Ein Kreis von Schaulustigen hatte sich mittlerweile um uns gebildet und ich hörte ihre getuschelten Anklagen hinter vorgehaltenen Händen.

„Warum hilft sie nicht ?".

„Ach, die ist die Tochter der Hills, du weißt schon, die überdrehte".

„Ob sie dafür verantwortlich ist ?".

Nolan tastete derweil seelenruhig den Fuß des Opfers ab, als verarztete er jemanden tagtäglich und hätte sich nicht auf diesen Planeten eingeschleust. Und schon wieder war er in etwas besser als ich. Eigentlich sollte mir das in den Genen liegen, aber scheinbar besaß nur Marley das Glück.

Nach einigen Minuten half der Junge der Dame auf und stützte sie mit den Worten: „Nur eine Prellung, nochmal Glück gehabt". Sie bedankte sich überschwänglich und sah sich nach etwas oder jemandem um. Sie entdeckte den Jungen und deutete ihm an ihnen zu folgen. Er gehorchte und ich trottete wie das fünfte Rad am Wagen hinterher.

Nolan brachte die beiden zu ihrem Haus und wank von einer Belohnung ab. „Das ist doch selbstverständlich". Sie sah in meine Richtung: „Nein ist es nicht, sonst hätte sie mir geholfen. Kaum zu glauben, dass du die Tochter unserer Heilerin sein sollst".

Ich knirschte mit den Zähnen und unterdrückte meine bissige Antwort, stattdessen drehte ich mich um und ging zügig davon. Ich hatte heute genug gesehen und erlebt, da musste ich mir zusätzlich keine Moralpredigt über mein Verhalten anhören.

Was bildete die Frau sich eigentlich ein ? Es ist meine Entscheidung was ich mit meinem Leben mache und was nicht.

Überrascht drehte ich mich um, als sich eine Hand auf meine Schulter legte: „Hey, warte mal". Ich schnaubte genervt: „Worauf ? Bis der Himmel Schwarz wird ? Bis die Bewohner aufhören mich so zu behandeln ? Bis ich merke, dass du von woanders herkommst und es verboten ist, dass wir miteinander reden ?".

Nolan kam neben mir zum Stehen und hielt mich an. „Ich wusste nicht, dass sie das sagen wird". „Das kannst du auch nicht wissen, weil du nicht von hier bist. Jeder behandelt mich wie eine Aussätzige, du musst sie nicht in Schutz nehmen".

Er sah in die Ferne und setzte dann eine missmutige Miene auf. „Es tut mir trotzdem leid. Du bist ein nettes Mädchen und hast es eindeutig nicht verdient schlecht behandelt zu werden". Er stupste mich an der Schulter an und brachte mich zum Schmunzeln: „Ist schon okay. Aber nimm das nett zurück. Ich bin alles andere als nett, was hier eine Grundvoraussetzung ist".

„Ich weiß Gänseblümchen, ich weiß", seufzt er und sah mir in die Augen, „aber genau deshalb bist du anders. Und ich mag anders".

Revival of SocietyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt