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Nolan

Ihr verwirrter Blick war unbezahlbar, als ich ihr Starren unterbrach. Wäre Zarley hier würde er mittlerweile Popcorn in den Händen halten und mich für meinen Rückzieher ausbuhen. Mir fehlte der kleine Knirps, ich hoffe es tat ihm niemand weh.

In Gedanken schweifend tauchte vor meinem Gesicht eine winkende Hand auf. „Kannst du mir einmal zuhören ?", fragte die Kleine vor mir und stemmte die Hand in die Hüfte. Ich gab zu, dass sah alles andere als sauer aus, eher niedlich. Man möchte dieses Mädchen einfach knuddeln, auch wenn man danach von ihr geschlagen wird.

Ich lächelte charmant: „Was ist los Gänseblümchen ?". „Für dich immer noch Aylana", zischte sie beleidigt, „ob du frische Klamotten von meinem Bruder haben willst bevor du gehst ?". Ich sah sie verwirrt an und sie deutete nach draußen. Der Himmel färbte sich von violett in schwarz, war das die Nacht ? Mich überrollte auf einmal die Müdigkeit und ich gähnte herzhaft. „Ich würde gerne hier bleiben, wenn ich darf ?". Sie sah sich zögerlich im Zimmer um und ich sprang schnell ein: „Mir würde schon der Boden reichen. Ich könnte dich morgen auch nach Megaclite bringen".

Sie zuckte mit den Schultern und tat so als wäre es ihr gleichgültig, aber ich wusste, dass es ihr alles andere als egal war. Schließlich verließ sie das Zimmer und ließ mich verwirrt stehen.
War das jetzt ein Ja oder ein Nein ?
Frauen sind kompliziert, wenn sie nicht direkt sagen was sie wollen.

Und wieder war ich allein in ihrem Zimmer und wusste nichts mit mir anzufangen. Ich begann meine nassen Schuhe auszuziehen und entknotete meine Schnürsenkel um die Schuhe mitsamt den vollgesogenen Socken abzustreifen. Barfuß stand ich im Raum und tippelte mit meinen Füßen einige Takte auf den Boden, die mir im Kopf herumspukten.

„Hast du Zuckungen ?", riss mich eine erheiterte Stimme aus dem Rhythmus und ich starrte Aylana peinlich berührt an. „Es ist nicht...", stotterte ich, wurde aber von ihr unterbrochen. „Zieh dich um". Sie schmiss mir Kleidung entgegen und ging aus dem Zimmer.

Dieser Stil war eindeutig männlich.
Woher hatte sie die Sachen ?

Während ich mir Gedanken darüber machte schlüpfte ich aus meinen nassen Klamotten, die unangenehm an meinem Körper hafteten und zog mir die frische Kleidung an. Der Duft war relativ neutral und ich konnte mich damit abfinden, Kleidung von fremden Leuten zu tragen. Gerade, als ich meine Schuhe über die frischen Socken angezogen hatte, krachte die Tür ein weiteres Mal auf und Aylana tauchte vor mir auf.

Rasant zog sie an meinem Arm und beförderte mich nach draußen in den Flur. Überfordert ließ ich mich hinterherziehen: „Willst du wandern ?".

Sie ignorierte mich grandios und zog mich erbarmungslos die tückischen Treppen herunter. „LANA. Warum hast du meinen Schrank durchgewühlt ?", kreischte plötzlich jemand von der oberen Etage und ich verstand langsam ihre Hektik. Sie fluchte, schubste mich aus der Tür und nahm sich eine Jacke von der Garderobe.

„Wo gedenkst du hinzugehen junges Fräulein ?", zischte eine hohe Stimme. Aylana blieb wie eingefroren stehen und prompt tauchte ihre Mutter in meinem Blickfeld auf. Aylana atmete tief ein und drehte sich dann mit einem Schwung um. Nebenbei ließ sie meinen Arm los, was ich zum Anlass nahm sie wie träge Säcke an meinem Körper herunter baumeln zu lassen. „Ich wollte Jeyley rausbegleiten".

Die Art wie sie meinen Decknamen betonte ließ es mir eiskalt den Rücken runterlaufen. Ich hatte bereits bemerkt, dass die beiden nicht die beste Beziehung zueinander hatten, aber das sie nahe am Tiefpunkt lag hätte ich auch nicht gedacht. Der Blick ihrer Mutter wanderte zu mir und sie verengte ihre Augen drastisch.

Da half ihr gespieltes Lächeln auch nichts mehr: „Und Sie sind ?". „Jeyley, freut mich ihre Bekanntschaft zu machen", stellte ich mich anstandshalber vor und reichte ihr meine rechte Hand, die sie ergriff und daran schüttelte. Sie musterte mich: „Du kommst mir irgendwie bekannt vor. Bist du von hier ?". Da haspelte Aylana dazwischen: „Er ist Calevs Cousin. Wir müssen jetzt gehen, Calev fragt sich sicher schon wo wir sind, bye".

Sie zog an meinem Arm und wir verfielen wieder in unser altes Muster. Sie zog und ich trottete hinterher. Ihre Mutter blickte uns nach und ich meinte sowas ähnliches wie „Wer ist Calev ?" zu hören. Ich zuckte mit den Schultern und zwang Aylana hinter dem nächsten Haus langsamer zu laufen, sonst würde ich noch einen Krampf in den Waden bekommen.

Sie kochte vor Wut: „Nur weil Marley dazwischenfunken musste, muss ich jetzt Calev einweihen. Und ich habe keine Ahnung, ob er schon schläft, denn er hasst es geweckt zu werden". Sie ließ meinen Arm los und massierte sich mit einem genervtem Gesichtsausdruck die linke Schläfe. Nach wenigen Minuten Gehzeit erreichten wir einen weiteren Flachbau, der im Gegensatz zu Aylanas Zuhause nicht beleuchtet war. Deshalb nahm ich an, dass dieser Calev entweder nicht da war oder wie vermutet bereits schlief.

Nichts desto trotz machte Aylana eine gute Miene zum bösen Spiel.
Warte...was dachte ich da eigentlich ?
Es gab kein böses Spiel.
Noch nicht.

Jedenfalls standen wir nach einigen Sekunden vor der Haustür und sie tippte auf einem an der Wand befestigten Tablet herum, welches scheinbar mit der Tür verbunden war, denn es gab einen schrillen Ton von sich. Eine Türklingel ?

Es geschah überhaupt nichts, auch nach zwei weiteren Malen.
Fehlanzeige.
„Scheint als wäre niemand zuhause". Sie sah mich genervt an: „Das weiß ich auch, du musst Sherlock Holmes keine Konkurrenz bieten". „Wer ?". Sie sah mich entgeistert an: „Du kannst russisch, aber kennst keinen Sherlock Holmes ?". Ich runzelte verwirrt die Stirn: „Ist das ein früherer Herrscher gewesen ?".

Sie lachte ungläubig: „Sherlock Holmes ist höchstens ein Beherrscher. Von Detektivarbeit und Aufdecken von Fällen und Verbrechen". Während sie mir das erzählte schimmerten ihre Augen. Es schien wohl ihre Leidenschaft zu sein andere aufzuklären. Ich kratzte mich unwohl an meinem Nacken: „Ich habe keine Ahnung wer das sein soll". Sie rollte mit ihren Augen und das schimmern verschwand allmählich: „Ich vergaß, der Herr hält sich brav wie ein Hund an die Befehle des Komitees".

Eine genervte Stimme polterte hinter uns: „Das würde dir auch nicht schaden Hill". Wir drehten uns zur nun geöffneten Tür und ein Gleichaltriger blickte uns entgegen. Aylana hob grüßend die Hand: „Guten Morgen Calev. Das neben mir ist Nolan, dein Gast für diese Nacht". Er grummelte und rieb sich seine Augen die Müdigkeit ausstrahlten: „Ich bin keine Pension für Obdachlose". Aylana setzte eine Art Hundeblick auf: „Aber du sagtest, dass ich jederzeit auf dich zählen kann".

Er versuchte ihrem Blick stand zu halten, aber der war selbst für mich eine Nummer zu groß.
Wie machte sie das ?
Hatte sie heimlich Unterricht bei Zarley genossen ?

Unser Gegenüber seufzte auf: „Eine Nacht. Und ihr schuldet mir morgen eine Erklärung. Nolan sieht nicht so aus, als wäre er von hier".

Revival of SocietyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt