Kapitel Zwei

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Gut, auch ich musste hin und wieder ein paar Dinge zugeben und gerade biegen. In dem Sinne: Nicht alle waren mir egal. In den letzten drei Jahren hatte ich mich, wenn auch zunächst widerwillig, mit einem Mädchen dieses Jahrgangs angefreundet. Fate Yoonghi.

Sie lehnte an ihrem Schließfach, direkt neben meinem, gestylt wie immer. Die langen, hellroten Haare waren leicht in Strähnen eingedreht und zum Pferdeschwanz hochgebunden, zwei fielen um ihre Stirn, ihre wasserblauen Augen kamen gut zur Geltung. Ich fragte mich schon seit geraumer Zeit wie ein Mensch eine solch ungewöhnliche Augenfarbe haben konnte. Das blau war so gut wie ausgewaschen, somit erschienen sie mehr weißlich als hellblau. Keine Frage, unter den meinen kam das zwar unregelmäßig, aber öfter vor. Aber bei Menschen?

Die grau- blaue Bluse steckte ordentlich im grün- blau karierten Rock - ihre Ausgabe der Schuluniform. Meine Wahl fiel damals auf eine weiße Bluse mit rot- schwarz kariertem Rock. Irgendwo gab es die typische Schuluniform- Klausel, aber andererseits legte sie jeder auf eigene Art an ihren Grenzen aus. Nur die idiotische dunkelblaue Krawatte war Pflicht. Meiner Meinung nach zerstörte sie alles. Außerdem trug ich Kniestrümpfe, heute schwarz mit weißem Randsaum, und schwarze Converse.

Ich näherte mich ihr und legte Hand an die Schließfachöffnung.

"Hey", sagte sie lächelnd.

"Hey."

"Danke, mir geht es gut und dir?" Sie rollte mit den Augen. Gewohnheiten mussten gepflegt werden. "Irgendwas neues?"

Oh man. Small talk war nie mein Ding. Ich war noch nie vom Rednergeschlecht gewesen. Sicher, mal fand ich ein gutes Gespräch, aber die meiste Zeit verbrachte ich mit der Abschottung. Was tat ich hier eigentlich?

"Nun, ich habe mich, wie sooft, wieder einmal unter unseren Mitschülern unbeliebt gemacht. Was soll's. Wenn ich die Antworten weiß? Die Idioten kümmern mich nicht", murmelte ich.

"Azura, kannst du deinen Eisblock mal ein wenig der globalen Erwärmung hingeben?", seufzte Fate.

"Wozu? Eiskalte Genies sind die besten", sagte ich schnippisch mit einem schiefen Grinsen.

"Ein absolutes D im Sozialverhalten." Fate legte sich die Hand theatralisch auf ihr Gesicht. Nicht, dass noch ihre Wimperntusche verwischte, Obacht.

"Komm schon. Was erwartest du nach den drei Jahren von mir?"

"Dass du in dieser angehenden freundschaftlichen Beziehungen auch etwas mit einbringst. Aber weißt du was? Heute Abend stellen wir dein soziales Können mal auf die Probe." Ihre Lippen verzogen sich verräterisch.

"Was hast du denn vor?" Ich ahnte schlimmes.

"Galen feiert seinen Neunzehnten. Und wir werden da auch aufkreuzen."

Nun verdrehte ich die Augen. "Nie im Leben. Keine zehn Pferde bekommen mich auf eine Schnöselfeier."

"He, komm schon! Du musst mal unter die Leute kommen. Das wird Spaß machen." Ihre Augen blitzten vorfreudig.

"Nein. Ich habe weder Interesse an deren Saufpartien noch an ihren Arten mit Menschen umzugehen." Sollte ich noch mehr Arroganz raushängen?

Fate knurrte frustriert. "Musst du so eine verdammte Zicke sein?"

Ich prustete. "Ich war nie anders, Schatz."

"Steck dir dein Schatz sonst wo hin." Okay, nun war sie ein wenig beleidigt.

Ich holte Luft und stieß sie seufzend aus. Dann nahm ich die richtigen Bücher in die Hand und verstaute sie in meiner Tasche, ehe ich mich zu ihr drehte. Okay, Azura, du kannst das.

"Hat er dich persönlich eingeladen?" Fate stand schon seit längerem auf Galen. Dazu brauchte ich nicht einmal meine Sehergabe, um darauf zu kommen. Ich schloss meine Augen. War ja klar, dass sie gerade dann auf die Party gehen wollte und sich Chancen erhoffte.

Sie nickte bestätigend.

"Na gut. Aber wenn ich mehr als angepisst bin verschwinde ich auf der Stelle, damit das klar ist." Ich hielt meinen Zeigefinger, nebenbei perfekt mandelförmig gefeilt und schwarz lackiert, in ihr Sichtfeld.

"Geht doch", grinste Fate in drückte meine andere Hand.

Ich winkte dezent und ging den Gang hinunter, auf dem Weg zu meiner letzten Stunde.

Eine schlechte Vorahnung beschlich mich. Irgendwas war faul an Galen, und wenn er auch nur krumme Dinger drehte, ich traute ihm nicht. Und ich hatte das dumpfe Gefühl, dass etwas auf der Party geschehen würde.

Schließlich saß ich für die letzten fünfzig Minuten in meinem Geschichtskurs fest. Das Thema des Tages, meine Damen und Herren, Hexenverfolgung und Foltermethoden. Eine der wenigen Stunden zu denen ich mal meine Klappe hielt. Sonst würde man mich noch als übergeschnappt vermerken, wenn ich aus meinem wahren Wissen plauderte.

Mr Shivington, stolze zweiunddreißig Jahre jung und Brillenträger, fand angesichts der Unterrichtsstunden wahrliche Erfüllung in seinem Fach. Wenn er doch wüsste wie viele der Legenden war waren.

Jeanne D'Arc, eine Ritterin von Arshad, im Kampf gegen die Dämonen. Barbarossa im Krieg gegen tollwütige Wassernymphen und Waldkobolde. Shakespeare verwirrte die Geister der Anderwelt mit seinen Reden und Stücken bis sie von unseren Kriegern rechtmäßig zurückgeschickt werden konnten.

Ja, immer diese Menschen und Magiewelt Verbindungen. Ich sprach wie aus einem der abertausenden Fantasybüchern.

Mein Blick glitt durch das Fensterglas. Es goss wie aus Kübeln draußen. Doch irgendwas huschte da draußen herum. Ich konzentrierte mich darauf es in Augenschein zu nehmen. Der mir bekannte violette, eisblaue Randschleier überzog mein Blickfeld. Alles wurde schärfer und kontrastreicher. Aber was da draußen war erkanne ich immer noch nicht so recht. Eine Gestalt, aber sie bewegte sich zu schnell, als dass ich sie hätte identifizieren können.

"Ms Cullington? Würden Sie vielleicht etwas beitragen?"

Mein Kopf schnellte herum, leicht erschrocken sah ich zu Shivington. Der Farbschleier verschwand. Hoffentlich noch bevor ich ihn angesehen hatte, da war ich mir nicht ganz so sicher.

"Entschuldigen Sie bitte. Könnten Sie Ihre Frage einmal wiederholen? Ich wurde abgelenkt", gab ich auf meine leicht kühle Art zu. Shivington nickte und wiederholte seine Frage nach Hexenstrafen des Mittelalters. Ich lieferte ihm die korrekten Antworten.

Die Hexen von damals waren schon echt arm dran gewesen. Der Gedanke daran mit einer Eisenkugel an den Füssen auf dem Flussgrund versenkt zu werden ließ selbst mir kalte Schauer über den Rücken laufen. Die heutigen Hexen und Hexenmeister wurden geschätzt für ihre Tätigkeiten und Kräfte, nicht zuletzt aufgrund ihrer Rarität.

Ich schaute wieder hinaus. Mein Gefühl sagte mir, dass das, was eben noch dagewesen war, nun verschwunden war. Es klingelte. Erleichtert nahm ich meine Sachen und verließ den Raum, auf dem Weg zum Gebäudeausgang.

Ich hatte die wenigen, fallenden Schneeflocken nicht bemerkt.

Glowing EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt