Kapitel Sechs

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Das Schulgebäude war wie anzunehmen leergefegt. Lediglich ein Hausmeister wischte die Flurböden, wie immer mit Kopfhörern in den Ohren. Ich ging nochmals zu meinem Spind, schloss diesen auf und schob zielsicher Bücher und Stiftbehälter zur Seite, die die Rückwand meines Spindes verbargen. Ich streckte meine Hand bis dahin aus und tastete nach dem minimalen Fach, das ich dort angebracht hatte. Mit magischen Mitteln versteht sich, die Wand auszuhöhlen war nicht mein Ding, das ging auch schneller. Ich öffnete die kleine Tür und langte hinein, um meine Kette herauszuholen. Mit dem Handrücken drückte ich sie wieder zu und wechselte die Kette in die andere Hand, damit ich die Bücher und Stifte verdeckend wieder zurückschieben konnte. Schließlich steckte ich sie vorübergehend in meine Jackentasche.

Schließlich schloss ich den Spind wieder ab und ging den Flur hinunter zur Wendeltreppe, um das Gebäude für heute zu verlassen. Mit einer leichten Zuckung meines Zeigefingers ließ ich die große Doppeltür der Eingangshalle aufschwingen und wieder schließen nachdem ich hindurchgegangen war.

Nun stand ich unter dem kleinen Vordach und blickte auf den strömenden Regen vor mir. Ich hätte natürlich nach einem Schirm in der Abstellkammer schauen können.

Was machte ich mir eigentlich Gedanken um Regeln? Da hatte ich schon weitaus schlimmere gebrochen, als mir vor den Straßen Seattles aus dem Nichts einen Regenschirm herbeizuzaubern.

Kurz hielt ich meinen Arm ausgestreckt vor mir, die Hand für die Halterung des Schirms geöffnet, und schnipste einmal. Einen Wimpernschlag später hielt ich bereits einen tiefschwarzen, großen Schirm in der Hand und spannte ihn über mir aus. Dann machte ich mich auf den Weg nach Hause.

Die Läden waren noch hell erleuchtet, Restaurants im Hochbetrieb. In manch einer dunkleren Seitengasse lungerten wenige Gestalten herum. Der Himmel war mit schwarzen Wolken verhangen, sodass das Licht einen leichten Goldschimmer hergab. Die Autos fuhren wie gewohnt über die breiten, nun leicht überschwemmten Straßen. Zu den Wegesseiten spritzte nicht selten das Regenwasser hoch. Grummelnd lief ich weiter, den Pfützen ausweichend.

Warum genau nochmal hatte ich mich heute für Converse statt meinen schwarzen Overkneestiefeln entschieden?

Mein Handy vibrierte. Ich sah auf das Display - eine Erinnerung von Fate. Genervt schloss ich die Augen. Diese dumme Party hatte ich ja wieder vollends vergessen. Nun musste ich mich auch noch beeilen nach Hause zukommen. Gut, ich hatte auch nicht vorgehabt ewig im Regen zu stolzieren, aber ich musste schon einen Zahn zulegen. Meinen Rücken durchzuckten immer wieder Schmerzstiche. Ich überlegte, ob ich überhaupt noch etwas zur Kurierung zu Hause hatte, ich hatte meinen Vorrat schon länger nicht mehr aufgefüllt. Zum Teufel mit dieser Ordnung!

Nach meinem mehr oder weniger gehetztem Gang stand ich schließlich vor meinem Appartement. Wenigstens sparte Arshad bei meiner Unterbringung nicht, auch wenn ich ihnen vieles ankreiden konnte. Ich kramte nach meinem Schlüsselbund und schloss die Tür auf, um wenig später meine Sachen im Eingang abzulegen. Meine nassen Schuhe legte ich auf die Heizung. Der Schirm war wieder verpufft. Seufzend drehte ich von innen wieder den Schlüssel um, um vorerst abzuschließen. Dann dachte ich an die Lichtschalter und somit erhellte sich die Wohnung.

Mein erster Gang führte mich in meine Küche. Ich brauchte Kaffee, ansonsten käme ich nicht wieder in die Gänge, um pünktlich bei diesem Idioten für Fate zu erscheinen. Während ich auf mein Handy schaute wischte ich ein paar Mal in der Luft herum, um die Maschine zu betätigen, sowie um eine Tasse aus dem Schrank auf den Mahagonitresen zu stellen.

Was war denn nur los heute? So wenige Vorfälle und nicht mal Aufträge für mich. Da musste doch was im Busch sein. Schließlich hatte ich noch keinen "Urlaub", wenn man es denn in meiner jetzigen Situation so nennen konnte. Meine freien Tage waren immerzu mit Schulzeit vermischt, anstatt sie auf menschenübliche Ferien zu legen. Der Geist sollte ja schließlich immerzu beschäftigt werden - was eine idiotische These meiner Vorangestellten.

Nur war dieser Vorfall in der Bibliothek nicht gelistet. Da war doch was faul, aber was nur? Die gelben Augen tauchten wieder vor meinem innere Auge auf. Meine Befehlsmissachtung.

Ein leichter Schauer rann über meinen noch schmerzenden Rücken. Ich hoffte mal, dass nichts und niemand in Arshad das Ganze mitbekommen hatte.

Mein Rücken. Stimmt ja, ich sollte schlauerweise noch nach einer Schmerzlinderung sehen. Ich stieß mich zischend vom Mahagoni ab und durchsuchte meinen entsprechenden Schrank, der, wie erwartet, nicht gerade gut gefüllt war. Weinraute, Arnika und Teufelskralletinktur. Mein Heilwissen war eher schwach ausgeprägt, auch wenn ich es früher besser wusste. Nun gut, Arnika würde mir schon für den Abend helfen. Mit der entsprechenden Kräutermenge im Gepäck betrat ich ein letztes Mal seufzend mein Ankleidezimmer, um mich für den Abend fertig zu machen.

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