Kapitel Sechzehn

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Das Kratzen der Kreide auf der Tafel ging mir dezent auf die Nerven. Wozu schaffte man bitte Whiteboards an, wenn die halbe Lehrerschaft sich nicht damit befassen will und bei den alten Materialien bleibt? Meine Ohren waren einfach zu gut und vernahmen jeden noch so kleinen Ton trotz meines hintersten Fensterplatzes. 

Nachdenklich sah ich aus den verspiegelten Fenstern. Draußen stritten sich Sonne und Regenwolken über die Himmelsherrschaft. Tropfen fielen auf die glatte Rasenfläche und brachen sogleich das einfallende Licht in die bunten Komponenten. Ich hasste diese Art von Wetter. In meiner Welt gab es klare Regeln und da hatten auch Sonne und Regen sich zu entscheiden, wer von ihnen nun das Wetter bot, aber nicht zusammen.

Gedankenverloren  kritzelte ich Schriftzeichen auf meinen Papierblock oder Motive. Die Stifte wechselten dabei in meinen Händen hin und her, praktisch beidseitig veranlagt zu sein. Oder auch befremdlich wenn du als einzige Ausnahme der ganzen Gesellschaft von zwei Schwertern und gleich dazu Kristallklingen erwählt wurdest. Jene waren den Ratsältesten vorbehalten. Die Erinnerung an jenen Tag waberte auch nur verschwommen in meinem Kopf hindurch.

Jemand tippte vor mir auf den Tisch, sodass ich aufsah. „Hey, hast du eigentlich was von Fate gehört? Sie wird nun schon seit einer Woche vermisst", flüsterte Sarah, ein Mädchen mit dunkelbraunen Haaren vor mir sitzend, mir zu.

„Nein, keine Ahnung. Vermutlich hat sie wieder eine Lebensmittelvergiftung oder so und kotzt sich die Seele aus dem Leib", antwortete ich kühl. Komisch, dass sie noch hier herumspukte, wo Dämonen mit ihrem Tod eigentlich auch das Gedächtnis der Menschen verließen. Ich schloss die Augen und hoffte, dass sich das selbst regeln würde ohne dass ich mich um diesen Schrott kümmern musste.

Seltsamerweise war es aber ruhig um meine Auftraggeber seit diesem Vorfall geworden. Ich hätte mit neuen Anweisungen oder Schimpftiraden gerechnet, weshalb ich keinen direkten Kontakt mehr führte, aber nichts. Das war fast gruseliger als die elendigen Zombiehunde, die sie zu Einschüchterungszwecken auf Abtrünnige hetzten. Einmal und nie wieder hatte ich mir bei der ersten und letzten Razzia meines Lebens gesagt. Die Viecher hatten die Größe eines knappen Endmaßponys, triefende vergammelnde Fleischfetzen über dem Knochengerüst, wenn nicht bereits dort einige Stücke fehlten, und mehr Geschwindigkeit als Geparden. Keine Chance wenn man einmal auf deren Kieker landete. Und ihr Gestank erst. Wahrlich beim Verrottungsprozess ausgegraben und wieder auf die Beine gestellt.

Ekelhaft.

Kurz überlief mich ein kleiner Schauer, um diese Vorstellungen abzulegen. Ich mochte zwar auch nicht gerade liebevoll mit meinen Aufträgen umgehen, wenn sie das Zeitliche gesegnet hatten, aber so grausam war ich noch nicht geworden. Und vorallem hatte ich keine vergammelnde Hülle.

„Aber ihr wart doch-"

Desinteressiert drückte ich auf den Home Button meines Smartphones, um Sarah zu demonstrieren, dass ich nicht mehr Worte austauschen würde. Das Klingeln erlöste mich, ich raffte meine Sachen zusammen, schwang die Tasche über die Schulter und rauschte aus dem Raum auf den Flur hinaus.

Ein komisches Gefühl einer sich nähernden Präsenz beschlich mich, welches ich jedoch nicht zuordnen konnte. Misstrauisch sah ich umher. Auch wenn sie sich diskret verhielt konnte ich spüren, dass sie eine starke Macht mit sich brachte. Meine Sinne behielt ich jedoch für mich, ich traute mich nicht meinen Schirm zu riskieren. Der Strom an Bewusstsein auf diesem Gelände würde mich mitreißen in eine Szene, die ich keinem biete wollte. Somit ging ich also zu meinem grauen Schließfach, öffnete es und tauschte Bücher aus. Kurz betrachtete ich mein Gesicht im kleinen Spiegel an der Türinnenseite. Augenringe wie kein zweiter und blasse Haut wie immer. Mein langes, welliges, helles, bald silbriges, blondes Haar hatte ich wie immer nach hinten zu einem hohen Zopf gebunden, aber ein paar Strähnen lösten sich jedesmal heraus und wellten ich um mein Gesicht. Kühle Eiszapfen in Form einer Iris boten mir die Stirn. Hätte ich mal doch zu Concealer gegriffen, der Zusammenbruch gestern hatte seine Zeichen hinterlassen.

Unmotiviert schlich ich beim nächsten Signal wieder in den folgenden Unterricht- Ethik und Mythologie. Das einzige Fach mit dem einzigen Lehrer, was mich nicht auf die Palme brachte. Grimmig kam mir in den Sinn, wie Fate und ich die jeweiligen Inhalte kommentiert hatten. Nie war mir aufgefallen, dass sie Details nannte, die auf ihr wahres Wesen Schlüsse zuliessen.  Mit einem Blinzeln wischte ich sie fort. Die linke Seite neben mir war nun leer und würde es auch hoffentlich bleiben.

„Nun denn, liebe Leute, auf ein neues nicht war?", rief Mr Cypress als er die Tür schloss, vollgepackt mit Materialien. Vereinzelt höfliche Antworten. „Die Motivation dieser Räumlichkeit ist ja erdrückend. Nahezu euphorisch", quittierte er sie. Ich frug mich hin und wieder, wie er immer gut gelaunt hier erscheinen konnte. Das passte nicht zum Rest seiner Kollegschaft.

„Wir werden uns heute mit Drachen beschäftigen. Ein netter Exkurs, oder nicht? Dazu müssten Sie ja alle etwas beizutragen haben." Er blickte durch den Raum, ein Raunen ging hindurch. Meine Mundwinkel zuckten minimalistisch aus Schadenfreude, dass er somit sagte, dass es einen regen Austausch geben würde. Entspannt lehnte ich mich zurück. Ich würde als Einzige in Ruhe zuhören, wenn ich wollte, da Cypress warum auch immer gnädig mit mir war solange ich meine schriftlichen Nachweise, der Bestnote würdig, regelmäßig abgab.

„Einen Moment noch", setzte mein Lehrer wieder an, „Ich würde Ihnen gerne zuvor unseren Neuzugang vorstellen." Cypress wies zu einer an der Wand lehnenden Person nahe des Eingangs. Erschrocken hob ich meinen Kopf und blickte nach vorne.

Cypress winkte ihn zu sich. Ein Typ, gechillt wie kein Zweiter, kam gemächlich, fast anmutig, zu ihm. Kürzere, leicht gewellte Haare, dezent nach oben gestylt, in einem... Ja, schillernder Färbung? Oder doch silber weiß? Ich wusste es nicht zu benennen. Er trug eine dunkle Jeans, ein weißes Shirt und darüber eine schwarze Jacke. Trotz dieser einfachen Zusammensetzung stand es ihm verdammt gut. Boots inklusive.

„Das ist Cassian Rhys", stellte Cypress den Jungen vor. „Mund zu Mädels, hebt euch den Sabber für später auf", warf er noch theatralisch hinterher. Ich erkannte wie Cassians Mundwinkel leicht zuckten. Überheblich.

Noch immer verdattert bekam ich nichts von der Zuweisung eines Sitzplatzes mit, bis die entscheidenden Worte fielen.

„Mr Rhys, neben Sie bitte auf dem freien Stuhl neben Mrs Cunningham Platz. Ich hoffe die hintere Reihe beeinflusst nicht Ihre sonstige vorbildliche Leistung."

Entsetzt verfolgte ich wie Cassian, die Hände locker in den Hosentaschen, auf mich zu schlenderte.

Was mich am meisten beschäftigte und in Aufruhr versetzte war seine Leere. Kein einziger Lebensfunken einer Seele oder seiner Gedanken quoll hinüber zu mir. Ich nahm nichts wahr, so als wäre er überhaupt nicht hier.

Dann stand er neben mir.

Glowing EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt