Die frische Brise, die heute über das weitläufige Gelände um das Schloss wehte, spielte mit meinem brünetten Zopf, während ich den Weg hinunter zu den Ställen lief. Mittlerweile war mir beinahe, als könnte ich einen schmalen Trampelpfad zwischen den kräftigen, grünen Halmen erkennen, der von den hinteren Boxen zu den Baumstämmen führte, hinter denen sich eine kleine Lichtung auftat. Unsere Arena, dachte ich gut gelaunt und hüpfte über einen am Boden liegenden Ast. Das knöchellange beige Kleid, das ich aus meiner Sammlung an Gewand aus Ostwald mitgebracht hatte, war mir dabei kaum im Weg - Fletcher hatte sichergestellt, das ich zuallererst meine Kondition und Beinarbeit verbesserte. Ich war nicht überrascht gewesen, dass unsere ersten Treffen waffenfrei verlaufen waren, doch er hatte schließlich nichts dagegen gehabt mir nach wenigen Tagen bereits einen stumpfen Dolch in die Hand zu drücken und mich probieren zu lassen. Für jemanden wie mich, dem stets vorgeschrieben wurde sich leise und unauffällig zu verhalten und auf gar keinen Fall Probleme zu bereiten, war dies eine große Geste. Selbst wenn er es nicht wusste. Ich hatte jedoch aus irgendeinem Grund das Gefühl, das Fletcher sehr wohl verstand, worum es mir bei unseren, zugegeben, etwas albernen Trainingseinheiten ging. Ganz sicher hatte er Schwierigkeiten mit seiner eigenen Familie erlebt; worin sie bestanden hatten konnte ich mir jedoch nur ausmalen, da er verschwiegen wie ein Buch mit sieben Siegeln sein konnte. Sein hartnäckiges Schweigen verstärkte meine Neugierde jedoch bloß.
"Fletcher", rief ich, leicht außer Atem, als die Sicht auf das mitgenommene Stück Gras frei wurde, das wir für gewöhnlich beanspruchten. Mein Zopf war bestimmt bereits aufgelöst und meine Wangen gerötet, aber das spielte hier draußen keine Rolle. "Ich habe mir gedacht, dass wir heute vielleicht ..."
Meine Stimme wurde leiser, während ich die Augen über die freie Fläche schweifen ließ, und brach schließlich vollends ab, als ich merkte, dass niemand dort wartete. Ob er sich verspätete? Leise Zweifel begannen sich augenblicklich in meinem Kopf breit zu machen. Theodor Fletcher war niemand, der sich verspätete. Bei jedem unserer bisherigen Treffen hatte er bereits an einem der dicken Baumstämme gelehnt und mich mit einer Mischung aus Belustigung und Ungläubigkeit über meine Aufmachung angelächelt. Nervös verkrampfte ich die Hände in dem ausgewaschenen Leinenstoff meines Rocks. Wie konnte es anders sein. Ich hatte mir wieder erlaubt, mich mitreißen zu lassen, aber alles Gute musste enden und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ein Mann wie Fletcher es müde wurde, den Babysitter für einen verwirrten Bastard zu spielen.
Eine warme Hand legte sich von der Seite auf meinen Arm und mir entkam unwillkürlich ein kleiner Schrei.
"Nich' schrein, Fletcher schickt mich!"
Schwer atmend starrte ich in das kalkweiße Gesicht eines Jungen, schwerlich älter als dreizehn und ärmlich gekleidet. Allein das blitzweiße Halstuch stach hervor; es schien noch nicht lange in seinem Besitz zu sein. Der Schrei war noch dazu sehr hoch gewesen, vermutlich war er noch nicht im Stimmbruch gewesen.
"Meine wirklich aufrichtige Entschuldigung, das war nich' ... Ich soll Euch bloß was geben, Eure Hoheit", brachte er nun langsam hervor, während seine gebräunten Hände ein gefaltetes Stück Papier von sich streckten.
"Ich bin keine Prinzessin", murmelte ich leise, während ich den Brief entgegennahm und aufklappte. Wie um mich selbst zu beruhigen, strich ich einmal über das weiße Papier, das einige wenige Buchstaben zierten. Der fremde Junge hatte sich bereits unbemerkt entfernt, als ich die Augen wieder von der Nachricht hob und ich konnte mich nicht mehr bedanken. Das Blut stieg mir in die Wangen als ich an meine Reaktion vorhin erinnert wurde. Trotz des Trainings mit Fletcher, hatte ich auf den Schreck hin nur dagestanden und wie eine echte Dame gekiekst. Hoffnungslos, dachte ich und schüttelte den Kopf mit dem langen Zopf, aus dem sich immer mehr Strähnen lösten.
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Silberblut
Teen FictionSeit dem goldenen Krieg blüht das östliche Königreich unter der Führung der Silbermeer-Familie auf, doch um die Beziehung mit den Grenzgebieten stark zu halten, soll Kronprinz Jonathan zu seinem 19. Geburtstag eine Braut aus den ländlichen Grafschaf...