♔ Jonathan - Prolog ♔

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Der dumpfe Schlag, den meine Reitstiefel verursachten, als ich vom Pferd auf den harten Boden sprang, ging in den Rufen der Marktschreier, dem Lachen der Besucher und dem Geschrei der zum Verkauf angebotenen Tieren unter. Die Zügel meines Rappen fest in der Hand, bahnte ich mir meinen Weg durch die Menschenmassen. Der Markt vor dem Palast war in den späten Morgenstunden voll mit Menschen und Gerüchen - von beidem gute und schlechte. Die orientalischen Düfte der Gewürzläden kämpften mit dem Gestank der Armen und Kranken, die hierhergekommen waren, um zu betteln oder zu stehlen, und die Händler hatten es längst aufgegeben, sie zu verscheuchen. Jedes Mal wenn sie einen verjagten, kam ein anderer und ließ sich an seinem Platz nieder. Mir wurde das Herz schwer, als mein Blick über rund ein Dutzend dieser Bedürftigen glitt und mir bewusst wurde, wie viel wir noch vor uns hatten. Selbst nach dem Bau von unzähligen Waisen- und Armenhäusern war unser Problem noch lange nicht gelöst. Ich seufzte. Die stinkende, verwilderte Hauptstadt wieder zu der glänzenden Metropole zu machen, die sie einmal gewesen war, das war schon immer Vaters größter Wunsch gewesen. Trotz ihrer Schattenseite war Walestein noch immer etwas Besonderes und tausende von Menschen besuchten die Hauptstadt jedes Jahr, doch seit das alte Königreich mit Ausnahme seines alten Mittelpunkts in die Königreiche des Westens, Ostens und Nordens gespalten worden war, war sie ein wenig verkommen. Der goldene Krieg, in dem auch mein Vater als junger Mann kämpfen hatte müssen, hatte zweifellos seine Spuren auf Menschen und Städten hinterlassen. Die typisch sandfarbenen Häuser starrten in den ärmeren Vierteln vor Dreck, der Markt wuchs jedes Jahr um mehr Betrüger und Bedürftige und die Straßen waren abseits der Hauptwege in schlechtem Zustand. Das Schloss Silbermeer, auf dem ich aufgewachsen war, thronte prächtig wie eh und je auf den Klippen hinter der Stadt, doch die Hauptstadt selbst wieder herzurichten schien mir die Aufgabe mehrere Generationen zu sein. Deshalb brachte ich meinem Vater großen Respekt entgegen, weil er, seit er nach meinem Großvater den Thron bestiegen hatte, auch für die ärmeren Leute hier kämpfte. Er übersah nicht wie so viele andere Adelige geflissentlich, wenn jemand Hunger oder Schmerzen litt und ignorierte keine einzige Beschwerde oder Bitte grundlos, egal wie unbedeutend der Mann auch war. Eines Tages würde ich selbst den Thron besteigen und dieses Land regieren müssen und wenn es soweit war, wollte ich meinem Vater Ehre machen und das Königreich genauso gerecht und stark führen. Soweit es mir möglich sein würde. Von Zeit zu Zeit fragte ich mich, ob mir etwas Bedeutendes fehlte, das Almar besaß. Doch was war die Alternative? Meinem kleinen Bruder den Thron anzuvertrauen wäre Wahnsinn. Ich muss härter arbeiten, wiederholte ich die Worte, die seit vielen Jahren mein Mantra waren, in Gedanken.

Der dicke Händler im roten Wams neben mir sah mich schon eine Weile interessiert an und ich schob mir schnell die Kapuze tiefer ins Gesicht und drängelte mich weiter. Heute sollte mich keiner erkennen, war mir doch geboten worden, mich im Schloss für einen Empfang vorzubereiten. Ich konnte daher keine Verzögerungen in Kauf nehmen. Vater erwartete die Ankunft von fünf Adeligen, die auf ausdrückliche Einladung der Königsfamilie den Sommer auf Silbermeer verbringen würden und demnach eine angemessene Begrüßung bekommen sollten. Die Frage danach, wer Almars Gäste sein würden, beschäftigte mich bereits seit einigen Wochen, nachdem ich zum ersten Mal davon gehört hatte. Es war nicht ungewöhnlich, dass Almar für sich alleine plante, doch für gewöhnlich wurde ich eingeweiht, sobald es ernst wurde. Diesmal hatte ich jedoch das Gefühl, dass ein jeder auf Silbermeer mehr wusste als ich. In letzter Zeit hatte ich immer öfter Bedienstete über die erwarteten Gäste tuscheln hören.

„Eure Hoheit, der Kronprinz, was für eine Ehre, Euch heute hier zu sehen!", brüllte auf einmal ein Händler quer über die Marktstraße und ich stöhnte. So viel zu meinem Bestreben, unbemerkt zu bleiben. Getuschel setzte ein, Köpfe drehten sich und ich schwang mich flink wieder auf mein Pferd, um so schnell es ging ins Schloss zurückzureiten.

Mit einem Anflug von Erleichterung erreichte ich noch im geplanten Zeitrahmen die Ställe und übergab einem Stallburschen die Zügel.

„Jonathan, fang!" Automatisch wirbelte ich in die Richtung herum, aus der die Stimme gekommen war und da flog es auch schon auf mich zu. Ich packte geübt zu und fing das Eisenschwert einhändig.

SilberblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt