♕ Katrina - Prolog ♕

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Die Sonne wärmte mir das Gesicht und meine Fingerkuppen prickelten angenehm, als ich über die zarten Blüten der Rosen strich, die mich umgaben. Der schmale Pfad, auf dem ich spazierte, wand sich an zahllosen Beeten entlang, bis er vor den gewaltigen Gewächshäusern endete, deren Kuppen man von jedem Punkt der Gärten aus sehen konnte. Mein Blick wanderte über die sorgsam gepflegten Rosen, die erst in ein paar Wochen voll aufblühen würden. Beim Vorbeigehen zupfte ich mit einer gewissen Routine eine vertrocknete Blüte von einem Strauch. Es war einer meiner Lieblinge. Herz-Ass. Diese Rosenart zeichnete sich durch ihre tiefrote Farbe und die spitzzulaufenden Blütenblätter aus.

Die Rosen wuchsen in allen Farben, und dank der aufopfernden Pflege der Gärtner war eine prächtiger und leuchtender als die andere. Gleich neben dem Strauch, vor dem ich stand, wuchs die „Maxima", eine schneeweiße Sorte, deren Blüten größer als meine Hand werden konnten. Und auf der anderen Seite die knallig pinke „Bullata", deren Namen ich mir als Kind nie merken hatte können. Es fiel mir leicht, meine Tage zwischen den Rosen zu verbringen und die Zeit zu vergessen, denn ich liebte alles an ihnen, eine Liebe, die in meiner Familie von Generation zu Generation weitergereicht wurde. Den betörenden Duft, die prächtigen Farben, die zarten Blütenblätter in verschiedensten Formen und selbst die Dornen, denn sie ließen diese zarten Pflanzen gefährlich wirken. Etwas Zartes, das sich zu wehren wusste, hatte einen besonderen Charme. Ich seufzte, denn das konnte man von mir nicht behaupten. Seit klein auf musste ich auf meinen Körper besser achtgeben als die anderen Kinder, nicht zu viel Sonne, nicht zu viel Aufregung, nicht zu viel Spaß, denn ich war von kränklicher Konstitution – was meine Mutter nicht selten argumentierte, wenn ich wieder einmal darum bat, mit den Kindern im Dorf spielen zu dürfen. Dieser Gedanke gab mir einen kleinen, nur allzu bekannten Stich. Meine Mutter war nun seit knapp vier Jahren tot und noch immer dachte ich ungern an die gemeinsame Zeit zurück. Es tat weh, zu wissen, dass ich sie nie wieder treffen, nie wieder ihr blumiges Parfüm riechen, nie wieder ihre wunderschöne Singstimme beim Einschlafen hören würde. Es waren nicht nur Erinnerungen von meiner Mutter und mir, auch die Gesichter meiner Geschwister und meines Vaters tauchten immer wieder in meinen Träumen auf und wenn ich am nächsten Morgen tränenüberströmt aufwachte, fühlte ich mich wieder wie das kleine Mädchen, das von einem Tag auf den anderen alles verloren hatte. Ich schüttelte leicht den Kopf, um die traurigen Gedanken zu vertreiben, und hellblonde Strähnen flogen durch die Luft, golden glänzend, wo die Sonne auf sie traf. Mit einem nicht geringen Aufwand an Willensstärke, lenkte ich meine Gedanken in eine andere Richtung, die sich mit dem Hier und Jetzt beschäftigte. Ich durfte nicht vergessen, John zu bitten, ein paar schöne orange-rote Rosen zu suchen, um sie Raven ins Zimmer zu stellen, denn sie würde bald ankommen und sich sicherlich darüber freuen. Meine Cousine war ebenso verrückt nach den Rosen meiner Burg, doch eine solche Schwäche, die ihre romantische Seite zweifellos für sie darstellte, würde sie niemals offen zeigen.

„Frau Gräfin!", hörte ich meine Zofe von der Burg her rufen. Ich drehte mich gerade noch rechtzeitig um, als John zwischen den Rosen erschien. Fast wäre ich in ihn hineingelaufen.

„Vorsichtig", sagte er leise lächelnd, als er mich mit zwei starken, sonnengebräunten Armen am Umfallen hinderte, als wöge ich nicht mehr als ein Blatt im Wind. „Ihr vergesst doch nicht auf den Geigenlehrer, oder?"

„Oje, das hätte ich beinahe vergessen. Richte ihm doch bitte aus, dass ich auf dem Weg bin." Ich seufzte. Die Spaziergänge durch den Garten, nach denen ich mich stets sehnte, waren niemals lang genug.

„Sehr wohl, Gräfin", antwortete John und schenkte mir noch ein warmes Lächeln, bevor er wieder zur Burg zurückging. Ich pflückte noch rasch eine dunkelrote, noch nicht ganz erblühte „Baccara" und machte mich ebenfalls auf den Weg zum Musikzimmer.

Als ich beim Betreten der Eingangshalle an dem kleinen Silbertablett vorbeiging, auf dem meine Dienstmädchen die Briefe ablegten, entdeckte ich einen roten Umschlag, der heute Morgen noch nicht vorhanden gewesen war. Neugierig hob ich ihn auf und betrachtete das Siegel, worauf ich mit leiser Überraschung das königliche Wappen erkannte. Ich öffnete den Brief und faltete das blütenweiße, dicke Papier flink auseinander.

Hiermit lade ich Katrina Rosalinde, Gräfin der Rosenburg, anlässlich des 19. Geburtstags des Kronprinzen ein, den Sommer über auf Schloss Silbermeer zu verweilen, in die dortige Gesellschaft eingeführt zu werden und seine Bekanntschaft zu machen.

Gräfin Katrina, es würde uns alle ehren, Euch auf unserem Schloss willkommen heißen zu dürfen. Eine Kutsche steht bereit, um Euch komfortabel in die Hauptstadt zu bringen.

Auch der Hofstaat von Schloss Silbermeer freut sich darauf, Eure Bekanntschaft zu machen. Nicht auszunehmen davon sind die Gärtner, sie reden seit Wochen über nichts anderes als die bemerkenswerte Rosensammlung Eurer Burg.

Gezeichnet, Almar Silbermeer, König des Ostens, Sieger der silbernen Schlacht und Bezwinger des goldenen Reiches.

Langsam ließ ich das Blatt sinken. Einen direkten Brief des Königs hatte ich erst ein einziges Mal erhalten, direkt nach dem Unfalltod meiner Eltern und der darauffolgenden Ernennung als Familienoberhaupt. Wieso wurde ich nun nach Silbermeer eingeladen? Ich hatte mein Leben lang nichts mit der Königsfamilie zu tun gehabt und nicht erwartet, dass sich etwas daran ändern würde.

„Gräfin, ist alles in Ordnung bei Euch?", fragte mich eines der Dienstmädchen zögerlich, bevor sie näher kam und sich den Brief ansah. Sie schien das Siegel zu erkennen. „Das ist doch nicht das, was ich denke!", rief sie aufgeregt und riss mir das Blatt aus der Hand.

Verblüfft sah ich zu, wie sie mit großer Mühe den kurzen Text Wort für Wort entzifferte. „Was ist denn so besonders an dieser Einladung, Miriam?"

Das Mädchen machte große Augen. „Aber wisst Ihr denn nicht, was sich diesen Sommer im Schloss abspielen wird?"

Mit einem leichten Stirnrunzeln versuchte ich mich an alles zu erinnern, was ich in letzter Zeit gehört hatte. Mir fiel aber nichts ein, das eine Verbindung zu diesem Brief haben könnte – was vielleicht auch nur daran lag, dass ich in der Burg meiner kleinen Grafschaft nicht viel von der brodelnden Gerüchteküche Walesteins mitbekam.

Ungeduldig platzte Miriam mit dem gehörten Klatsch heraus: „Der König hat groß angekündigt, dass er diesen Sommer einige junge Damen mit gutem Stammbaum und Ansehen auf das Schloss einladen möchte, denn schließlich braucht sein Sohn einmal eine Königin. Es heißt, der König ist ungeduldig geworden, weil der Prinz kein Interesse daran zeigt, sich eine Braut zu nehmen."

„Das heißt ... ich meine ... es geht um eine Vermählung?", stotterte ich, völlig aus der Bahn geworfen. Das Blut schoss mir in die Wangen. „Und ich soll ... eine Königin werden?"

Mein Dienstmädchen verdrehte kichernd die Augen und machte sich wieder an die Arbeit. Schon aus der Tür, steckte sie noch einmal ihren roten Lockenschopf in den Raum und rief keck: „Schnappt ihn Euch, Frau Gräfin, wir glauben an Euch!"

Vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Bedürfnis, einer Bediensteten nachzulaufen, um sie für ihre freimütigen Worte zu rügen. Konnte es wahr sein, was sie erzählte?

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