♕ Juliana III ♕

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Es war zu früh für so etwas. Viel zu früh. Nichtsdestotrotz war ich den Anweisungen gefolgt, die ich heute Morgen in Form eines Briefes bekommen hatte. „So eine Demütigung kannst du nicht auf dir sitzen lassen!", ahmte ich in Gedanken den näselnden Tonfall meiner Mutter nach, die verlangt hatte, dass ich mich für die Angelegenheit mit der Seife an den anderen Mädchen, allem voran Victoria, rächte. Nachdem meine Zofen gestern darüber geredet hatten, dass Victoria einen Ausritt plante, war mir sofort eine Idee gekommen, wie ich sie aus dem Weg räumen konnte. Das einzige, was ich dafür noch brauchte, war ein Ablenkungsmanöver. Und ich wusste schon genau, wer sich dafür zur Verfügung zu stellen hatte, was weiterhin der Grund dafür war, dass ich zu solch früher Stunde bereits durch die Flure des Schlosses schlich.

„Mach auf!" Ich klopfte ein zweites Mal an die Tür. Bevor ich noch einmal dagegenhämmern konnte, wurde sie geöffnet und eine zerzauste Elion hielt sich gähnend die Hand vor den Mund. Als sie mich erkannte, weiteten sich ihre Augen und sie machte einen Schritt zurück.

„Lady Juliana, was..."

„Du wirst mir bei etwas helfen.", teilte ich ihr mit, während ich mich an ihr vorbei ins Zimmer drückte. Ich rümpfte die Nase, als ich die abgestandene Luft im Raum wahrnahm. War dieser Bastard sogar zu blöd, das Fester zu öffnen? Ich strich mir über mein Brokatkleid, der Tatsache wohl bewusst, dass ich wie aus dem Ei gepellt aussah, während Elion einer ungewaschenen Zofe ähnelte. Es war wirklich ein Wunder, dass der König sie nicht längst nach Hause geschickt hatte.

„Also", fing ich an, da Elion mich immer noch bloß geschockt ansah. „Victoria wird, wie ich gestern von meinen Zofen aufgeschnappt habe, einen Ausflug zu Pferd unternehmen. Bevor sie losreitet, wirst du sie für ein paar Minuten ablenken. Verstanden?" Ich neigte fragend den Kopf.

„Wieso sollte ich das tun?", verlangte sie zu wissen, die Stimme offensichtlich wiedergefunden habend.

Ein diabolisches Grinsen breitete sich auf meinem Mund aus und ich machte mir nicht die Mühe es zu verstecken. „Ganz einfach. Wenn du meinen Anweisungen nicht Folge leistest, werde ich alle wissen lassen, dass du es warst, die meinen grässlichen Ausschlag verursacht hat."

„Aber das bin ich doch gar nicht gewesen!", protestierte sie. Das kurze Aufflackern von Panik in ihren Augen bewies mir, dass ich mit der Annahme, sie wäre das schwächste Glied der Kette, Recht gehabt hatte.

„Wer sollte dir schon glauben?", spielte ich meinen Trumpf aus, der bloß mit Schweigen ihrerseits quittiert wurde. Nie und nimmer würde sie das Selbstbewusstsein haben, mich in der Öffentlichkeit als Lügnerin abzustempeln. Ich machte ein paar Schritte auf sie zu, bis ich die hässliche Falte in ihrem Gesicht sah, die vermutlich vom Schlafen herrührte. Ich lehnte mich nach vorne, bis meine Lippen beinahe ihr Ohr berührten. „Solltest du es wagen, jemandem von unserer Abmachung zu erzählen, werde ich dich zerstören", raunte ich bedrohlich und zuckersüß zugleich und registrierte zufrieden, wie sie bei meinen Worten merklich zusammenzuckte. Ich richtete mich wieder auf und strich eine Strähne meiner Haare aus meinem Gesicht.

„In zwanzig Minuten unten an den Stallungen. Und lass dir etwas einfallen, wie du sie ablenkst." Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das sollte selbst dir nicht so schwer fallen."

Die Haare über die Schulter werfend, griff ich an ihr vorbei nach dem Türknopf und trat auf den Gang. Jetzt stand meiner Rache nichts mehr im Wege.

Eine hastig zurechtgemachte und offensichtlich nervöse Elion wartete wie verabredet zwanzig Minuten später hinter den Stallungen, als ich hinzustieß. Hinter einem großen Stapel Holz hatten wir eine gute Sicht auf Victoria, die gerade ihr Pferd aufsattelte. Wie lange würde das noch dauern? Ich unterdrückte ein Schnauben, als sie zum gefühlten zehnten Mal den Hals des Tieres streichelte. Die Minuten zogen träge dahin und ich wurde zunehmend nervös. Wenn jemand beobachtete, was ich gleich vorhatte, konnte ich selbst die Koffer packen – dagegen kam nicht einmal mein Stammbaum an. Kurz überlegte ich, einen Rückzieher zu machen, doch der Gedanke an meine erboste Mutter hielt mich zurück. Als Victoria sich gerade daran machte, aufzusteigen, versetzte ich Elion einen Stoß mit dem Ellbogen. „Los jetzt", zischte ich und beobachtete, wie sie mit gehetztem Blick hinter dem Holzstapel hervortrat und hastig auf Victoria zuging.

„Victoria!"

Beim Klang von Elions Stimme drehte sie sich im Sattel um und ich wich schnell hinter das Holz zurück, als Victorias Blick in meine Richtung zu gleiten drohte. Nun konnte ich nur noch hören, welche Worte sie wechselten, und selbst das nur undeutlich. Elions weinerliche Stimme war schwer zu verstehen, aber dem dumpfen Aufprall nach zu urteilen, war Victoria vom Pferd gestiegen.

„Natürlich!", hörte ich sie sagen, als sie sich dem Eingang zum Stall nähern mussten. „Wo hast du sie das letzte Mal noch getragen?"

„Im Stall hatte ich sie noch oben, aber danach war sie weg", drang Elions Stimme zu mir durch. Welche Geschichte hatte sie Victoria wohl aufgetischt?

„Lass uns bei den Boxen anfangen zu suchen", vernahm ich noch, bevor die Tür zugemacht wurde. Endlich!

Schnell schlich ich hinter dem Holzstapel hervor und nach einem prüfenden Blick über den Platz vor den Stallungen ging ich mit großen Schritten auf das fertig gesattelte Pferd zu. Während ich nach dem Sattelgurt griff, zog ich das Messer aus meinem Gürtel hervor, das ich aus der Küche entwendet hatte und ritze den Sattelgurt auf der Innenseite an, sodass er bei einem flotten Galopp nachgeben und Victoria vom Pferderücken katapultieren würde. Zumindest in der Theorie. Zur Sicherheit ritzte ich ihn auch seitlich ein wenig an, um sicherzugehen, dass alles auch wirklich nach Plan lief. „Halt still, du dummes Vieh", zischte ich, als das Pferd schnaubte und ein paar Schritte zur Seite tänzelte. Weit kam es jedoch nicht, da es mit dem Zaumzeug an einem Pfahl auf dem Vorplatz angebunden war. Prüfend betrachte ich noch einmal meine Arbeit, bis ich zu dem Schluss kam, dass das wohl reichen musste. Schnellen Schrittes entfernte ich mich vom Pferd und ließ das Messer wieder in den Falten meines Gewandes verschwinden.

„Ich habe sie gefunden! Sie ist noch in der Sattelkammer gelegen!", schallte Victorias Ruf bis zu mir nach draußen und ich beeilte mich, wieder hinter dem bereits bewährten Holzstapel zu verschwinden. Elions Antwort konnte ich nicht verstehen, allerdings hörte ich wenige Momente später Hufgetrappel und schloss daraus, dass Victoria losgeritten sein musste. Ich trat hinter meinem Versteck hervor und erblickte eine Elion, die mit hängenden Schultern der Staubwolke auf dem Weg hinterherblickte, eine Kette an ihrer Hand baumelnd.

„Gut gemacht." Bei meinen Worten fuhr sie herum, die Augen aufgerissen, wie ein hilfloses, junges Reh. Unbeholfen, naiv und dreckig. „Denk daran. Ein Wort, und ich erzähle allen, was du getan hast", fügte ich noch hinzu, bevor ich umdrehte und mich auf den Weg zurück ins Schloss machte, um auf die Nachricht von Victorias tragischem Unglück zu warten.

Mutter würde diesmal äußerst zufrieden mit mir sein.

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