♕ Juliana - Prolog ♕

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Routinemäßig überprüfte ich mein Aussehen in einem großen, mit Gold umfassten Spiegel, dessen geschwungenen Ornamente sich nahtlos in den Prunk des Zimmers einfügten. Mein Spiegelbild blickte mir mit entschlossenen dunklen Augen und hochgerecktem Kinn entgegen, eine Mimik, welche die kühle Strenge der Haltung unterstrich. Die langen, kastanienbraunen Strähnen flossen wie Wasser über die Schultern meiner Doppelgängerin, welche von den goldbestickten Ärmeln eines zinnoberroten Brokatkleides bedeckt wurden. Das Rouge saß perfekt, die fülligen Lippen waren mit einem leuchtenden Rot bemalt und jeder noch so kleine Makel der Haut unter Schichten von Puder verborgen. Das Mädchen in dem Spiegel war eine Schönheit. Warum fühle ich dann eine solche Unzufriedenheit mit meiner Erscheinung aufsteigen?
Ich schob die Haarklammern wieder an ihren Platz in den kunstvoll nach hinten frisierten Haaren und ignorierte dabei das Schreien meiner geplagten Kopfhaut. Mit kalten Händen glättete ich den kostbaren Stoff meines maßgeschneiderten Kleides zum wiederholten Male. Meine aufquellende Nervosität war fehl am Platz, doch so oft ich es mir vorbetete, so wenig wirkte es. Es erwartete mich im unteren Stockwerk nicht mehr als ein völlig informelles Frühstück mit meiner Familie. Vielleicht lag es daran, dass ich in der Nacht nur wenig Schlaf bekommen hatte. Meine Mutter merkte so etwas immer sofort, denn seit dem Unfall meiner Schwester und meinem eigenen Fehltritt konnte ich ihr nichts mehr recht machen. Ich wollte ihr keinen zusätzlichen Grund geben, an mir herumzumeckern und Augenringe waren schon oft ein Anlass dazu gewesen, also puderte ich die dunklen Stellen unter meinen mandelförmigen Augen noch einmal kräftig, bevor ich die Tür öffnete.

„Also los, und reiß dich gefälligst zusammen!", befahl ich mir und atmete tief durch, bevor ich die breite Treppe nach unten nahm. Die schwarzen Flügeltüren zum Esszimmer standen weit offen und die ebenfalls in Schwarz gekleideten Dienstmädchen warteten eifrig darauf, dass ich Platz nahm und sie mit dem Servieren beginnen konnten. Mein Vater hingegen sah nicht einmal von dem Bericht vor ihm auf, als ich mich auf den Platz zu seiner Rechten gleiten ließ. Neben mir hatte Neslin es sich lange vor meiner Ankunft am Tisch bequem gemacht, in ledrige Reitkleidung gehüllt und in einen Band über strategische Kriegsführung versunken, nahm sie kaum Notiz von uns anderen. Ihre unkonventionelle Lektüre wurde gebilligt, da es nach dem Unfall ohnehin keinen Sinn mehr hatte, sie weiterhin auf reiche Erben anzusetzen.

„Du bist zu spät." Die tiefe Stimme meines Vaters unterstrich die Worte, denen seine wohlbekannte Strenge zugrunde lag.

„Vergebt mir, es war keine Absicht. Ich wünsche Euch ebenfalls einen schönen Morgen, Vater."
Erneut legte sich stählerne Stille über die morgendliche Familienzusammenkunft und ich unterdrückte mit Mühe ein Seufzen. Ein Dienstmädchen huschte währenddessen um den Tisch herum und schenkte allen Wasser ein. Meine Mutter lehnte sich in ihrem thronartigen Sitz zurück, eine Bewegung bei der sie das Mädchen mit dem Ellbogen wie zufällig stoßen konnte. Wasser ergoss sich aus dem Krug über die Tischfläche, wo es sich in einer Lacke sammelte, bevor es gemächlich in den dicken Stoff der Tischdecke sank.

„Pass doch auf!", fuhr meine Mutter das Mädchen an, konnte das selbstgerechte Lächeln, das um ihre Lippen spielte, jedoch nicht zur Gänze verbergen. Es war nicht viel älter als ich, höchstens ein oder zwei Jahre. Bei der harschen Ansprache der Gräfin senkte es sofort demütig den Kopf und wisperte: „Verzeiht, Erlaucht. Es wird nicht wieder vorkommen." Dann war es in der Küche verschwunden, vermutlich um sich eine weitere Rüge ihrer Vorgesetzten abzuholen oder um sich bei ihren Freundinnen darüber auszuweinen, was bei Tisch geschehen war. Für mich war es sternenklar, dass es kein Versehen meiner Mutter gewesen war. Ihr gefiel es einfach, die jungen Bediensteten zu quälen, ohne Sinn und Ziel. Doch nun, da das Mädchen verschwunden war, richtete sie ihre volle Aufmerksamkeit auf mich und ich wünschte mir die junge Dienstmagd wieder herbei.

„Wie siehst du denn wieder aus heute Morgen! Hat in deinen Haaren etwa ein Vogel genistet? Und bei den Göttern, Juliana, deine Augenringe wären selbst unter 10 Schichten dieses grässlichen Puders noch zu sehen. Schläfst du überhaupt? Wenn wir schon von Puder reden, wer hat dich denn so geschminkt? Du siehst aus als wärst du mit dem Kopf voran in einen Farbkasten gefallen! Verstehst du die Wichtigkeit eines eleganten Auftretens denn nicht? Besonders in deiner Position. Vergiss nicht, dass du in diesem Jahr deinen 18. Sommer erlebst und noch kein einziges Angebot erhalten hast. Du wirst mir noch graue Haare bescheren, du und deine gottlose Schwester."

SilberblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt