♕ Rosalie I ♕

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Ein graues Gefühl hatte an diesem Morgen Besitz von mir ergriffen. Es war nicht die übliche Schwere, die einen ergriff, wenn die Sonne sich tagelang nicht blicken ließ oder es nichts anderes als Haferbrei im Haus gab. Vielmehr war es das langsame, stückweise Scheitern meines Vorhabens, das mich zu dieser frühen Stunde dazu brachte, melancholisch an die Decke zu starren.

Er war genau wonach ich gesucht hatte.

Und doch reagierte er auf keinen meiner Versuche ihm entgegenzukommen.
Es war zum Haareraufen.

Das Grau wich einer neuen Entschlossenheit, als ich realisierte, dass ich meine Strategie ändern musste. Das nette Mädchen von nebenan konnte sein Herz vielleicht nicht gewinnen, aber das war auch nicht meine Stärke. Ich war klug und wusste strategisch vorzugehen, das hatte mir schon oft weitergeholfen. Auch ein Prinz hatte Pflichten und diese vernachlässigte Jonathan momentan grob, sodass selbst die anderen Mädchen, von denen die meisten doch nur willige Marionetten im Spiel der Mächtigen waren, begonnen hatten aufgrund der regelmäßigen Abwesenheiten des Kronprinzen unruhig zu werden. Vielleicht war es an der Zeit, seiner schlechten Laune auf den Grund zu gehen und sie für mich zu nutzen.

Es dauerte nicht lange, bis sich mir eine Chance bot, nachzubohren. Das Mittagessen wurde heute in einem anderen Speisezimmer gereicht als üblich, kleiner und etwas bescheidener, was vermutlich den schwindenden Gästezahlen auf Silbermeer zuzuschreiben war. Seit meiner Ankunft hatte ich mit einem gewissen Missfallen festgestellt, dass die Königsfamilie alles andere als verschwenderisch mit ihrer Macht und ihrem Vermögen umging. Ich war keineswegs dafür, dass man sich in den Bankrott wirtschaftete, doch der erhoffte Glanz und Glamour war im täglichen Leben am Hof ausgeblieben. Die Feste mochten rauschend und luxuriös sein, doch sobald der Vorhang fiel, hätte man die Königsfamilie mit jeden anderen Adeligen verwechseln können. Ein kleiner Seufzer entkam mir. Sollte ich es auf den Thron schafffen, würde sich das ändern. Herrscher hatten immerhin repräsentativ zu sein, zu leben, zu speisen.
Nachdenklich stocherte ich in meinem Fischfilet herum.

"Er kommt heute wieder nicht, oder?", sagte Elion neben mir gerade leise zu ihrer dunkelhaarigen Sitznachbarin, einer schwierigen Person. Das einzig Gute, das ich seit meiner Ankunft auf Silbermeer über die Prinzessin des westlichen Königreichs herausfinden hatte können, war ihr starker Wille. Im Gegensatz zu den anderen Mädchen war sie nicht leicht zu manipulieren und dadurch stieg sie in meiner Achtung, doch ihr Verhalten und ihre Kleidung schrien nicht gerade nach zurückhaltender Eleganz.

Raven schüttelte leicht den Kopf und warf dem jüngeren Bruder des Prinzen, der ihr gegenüber Platz genommen hatte, einen schwer zu deutenden Blick zu. Ich nahm an, dass sie mehr wussten, als der Rest von uns, immerhin standen die beiden Jonathan nahe.

"Und dabei habt Ihr Euch die Mühe gemacht anwesend zu sein", fiel ich mit einem knappen Lächeln ein.

Elion wusste sofort, dass ich mich auf ihre ebenso häufige Abwesenheit bei allen nicht-essentiellen Veranstaltungen bezog und sah verlegen in ihren Teller. "Das macht doch nichts, es ist überhaupt keine Mühe."

"Das ist äußerst verständnisvoll von Euch", lobte ich sie, "Doch es gibt keinen Grund für mich auf Silbermeer zu verweilen, wenn der Kronprinz sich nicht blicken lässt."

Anstatt auf Elions leise Überlegungen, weshalb er womöglich verhindert sein könnte, einzugehen, legte ich meinen Löffel zur Seite und wandte mich an den kleinen Bruder.
"Eure Hoheit, dürfte ich den Grund für den schlechten Zustand Eures Bruders erfahren? Ich bin mir sicher, dass wir uns alle Sorgen machen."

Da war er wieder, der flüchtige Blickwechsel zwischen der Prinzessin und Cambriel, der ohne Worte auskam. Ich wollte verdammt sein, wenn die beiden nicht mehr verband als eine langjährige Freundschaft. Der Ruf des Zweitgeborenen eilte ihm immerhin voraus - es würde bestimmt niemanden wundern, wenn selbst die Versprochenen seines Bruders kein Tabu für ihn darstellten.

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