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"Bin am Boden auch wenn ich vor euren Augen noch stehe."

Mitten in der Nacht sitze ich da und starre aus dem Fenster. Der Wind peitscht um die Baumwipfel und lässt sie hektisch tanzen. Ich sitze da und bewege mich nicht. Keinen Zentimeter. Keine Regung in meinen Gliedmaßen. Ich sitze da und spüre meinen Herzschlag. Uneben und nicht kontrolliert pocht er in meinem so starren Körper und nur er lässt erahnen, was in meinem Innern vor sich geht. Immer wieder die gleichen Gedanken. Immer wieder diese Vorwürfe und Beschwichtigungsversuche an mich selbst gerichtet. Sie laufen vor meinem inneren Auge ab und kontrollieren damit meine, an der Oberfläche kratzenden, Emotionen. Es darf nicht wieder passieren. Ich muss mich beruhigen und wieder schlafen gehen. Mich nicht von ihnen bewältigen lassen. Ich schlucke schwer. Bilde mir ein, sie damit in den Griff zu bekommen. Sie hinunter zu schlucken, sie zu verbannen in den Teil meines Gehirns, zu dem ich keinen Zugriff erhalte. In den Teil, der mich vor ihnen bewahrt und so lange schützt, bis ich für sie bereit bin. Du solltest glücklich sein! Dieses Wochenende war das, was du immer wolltest! Es wird alles besser, reiß dich am Riemen! Immer und immer wieder kehren sie zu mir zurück. Die Zweifel, die mich plagen. Stellen sich mir in den Weg und vebarrikadieren sich in ihren unzerstörbaren Bunkern. Sie verharren. Stunden, Tage, Monate, Jahre. Sie besitzen kein Limit. Meine Zusprüche schon. Sie halten nicht lange an und werden schon bald in die Knie gezwungen werden. Du hast eine Familie. Nach all den Jahren hast du eine Familie! Das ist wundervoll! Zuspruch gegen Zweifel. Hoffnung gegen Angst. Himmel gegen Hölle. Engel gegen Teufel. Schlimm nur, dass der Teufel einen längeren Atem besitzt. Er spielt nicht mit fairen Mitteln. Er hält sich an keine Regeln. Pausiert nicht. Gewinnt mit unzulässigen Schachzügen und schließt sich in meine Seele ein. Erinnerungen holen mich ein und spielen sich in Dauerschleife vor meinem inneren Auge ab. Ich kann mich nicht rühren und bin ihnen regungslos ausgesetzt. Die mir noch so bekannte und im Gedächtnis gebliebene Sitzung mit meinem Psychologen hängt sich auf. Immer wieder die gleiche Frage. Immer wieder die gleiche Antwort. Die Antwort, die er nicht hat hören wollen. Die Antwort, die mich selbst noch bis heute erschüttert.

"Diese Schnitte waren nur der Versuch sich wieder lebendig zu fühlen." Ich schaue ihn nicht an, starre lieber mit glasigen Augen zu Boden und ziehe meinen Ärmel wieder hinunter. Er hat genug gesehen. "Hast du dich dadurch denn lebendig gefühlt, Jacky?" Nein. Er erwartet ein, nein. Möchte mir daran erklären, dass diese Taten kein vielversprechendes Ziel voraussetzen. Doch ich kann nicht verneinen. Es wäre gelogen und Lügen sind gefährlich. "Ja."

Ich begutachte meinen Arm, denke über eine Möglichkeit nach, doch entscheide mich dagegen. Ich kann es nicht tun. Nicht schon wieder. Ich bin frei von diesen grausamen Taten. Habe mich von ihnen distanziert. Was bin ich für ein Vorbild für Felix, wenn ich rückfällig werde? Eines Tages wird er es sehen und Angst vor mir haben. Nicht einmal Erwachsene können sich darauf einlassen, wie soll demnach ein Grundschüler sich mit solch einer Methode anfreunden? Er ist zu jung, um damit konfrontiert zu werden. Er soll nie erfahren, dass es solche Methoden zur Bewältigung gibt. Ich atme tief durch. Mein Herzschlag beruhigt sich und pendelt sich auf ein akzeptables Maß ein. Es wird mir nichts geschehen. Ich kann mich dagegen wehren. Ich bin sicher. Ich bin sicher. Ich bin sicher.

"Bis heute Mittag!" Rufe ich Felix zu, der mir strahlend winkt, bevor er mit Rebecca die Wohnung verlässt und sich auf den Weg zur Schule macht. Schule, ein Ort, den ich nicht betreten werde. Zumindest nicht mehr freiwillig. Ziemlich einfach zu sagen, wenn man suspendiert ist und dort sowieso nicht erwünscht. "Wo treibst du dich heute rum?" Frage ich Max, während ich mich nach einem geeigneten Frühstück umschaue. "Ich fahre zum Training und habe dann noch das ein oder andere kleine Meeting." Er bietet mir die Cornflakes an, die er in sich hinein schaufelt, doch ich winke ab und entscheide mich für eine Banane. Tuko beobachtet mich neugierig und erwartet hoffnungsvoll, dass sich der ein oder andere Krümel auf dem Boden ansammelt, den er dann vor dem langsamen Tod beschützen wird. "Und was tue ich den ganzen Tag?" Verzweifelt seufzend finde ich mich mit Hausarrest ab und werfe die Bananenschale in den Mülleimer. "Soll ich den Rabauken mitnehmen oder brauchst du Gesellschaft?" Ich schaue Tuko nachdenklich an und beschließe ihn bei mir zu behalten. In meinem Zustand ist nichts schlimmer als Einsamkeit. "Du gehst nicht allein mit ihm raus. Felix ist um 14 Uhr hier und begleitet dich sicherlich gerne." Auch diese Regel verspreche ich einzuhalten und verziehe das Gesicht, als Max mir zum Abschied einen Kuss auf die Stirn haucht.

Mein Vater der Rapper und der Hund namens Tuko 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt