Nebenwirkungen

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Mit einem leeren Herzen starre ich zur Decke hinauf und denke über das Vergangene nach. Tränen steigen mir in die Augen und lassen sich nur schwer bändigen. Das Atmen fällt mir schwer und ich suche nach einer Antwort auf die zahlreichen unaussprechlichen Fragen, die mein Gewissen quälen. Rache als Werkzeug zu nutzen, um Gerechtigkeit herbeizuführen. Ich schlucke schwer und muss mir eingestehen, dass ich mich mit dieser Aussage auch nach Stunden nicht identifizieren kann. Das ist nicht das, was ich vermitteln möchte. Nicht das, was mich ausmacht und was weitergegeben werden sollte. Wie weit würde jemand wie Miles gehen? Inwieweit würde jemand wie Miles meinen kleinen Bruder beeinflussen können? Scharf atme ich ein und umklammere das einzige Bild, das ich von Miles und mir besitze. Der Gedanke an die vergangenen Stunden quält mich so sehr, dass ich kaum wage, daran zurück zu denken. Es ist nicht die Angst vor der bevorstehenden Strafe. Es ist nicht das Mitleid mit den Opfern. Es ist die Angst vor meinem besten Freund und die Frage, ob ich ihn hätte retten können. Retten und bewahren vor den Dingen, die er anderen angetan hat. Retten vor einem derartigen Hass, der ihn nicht anders hat gewähren lassen. Über Jahre hinweg hat es sich aufgestaut und nun ist er explodiert. Ich beiße mir auf die Unterlippe und gestehe mir meinen Fehler ein. Ich habe die Möglichkeit vor mir gehabt und sie nicht genutzt. Ich habe zugehört, aber nicht hinterfragt. Ich habe zugehört, aber nicht gehandelt. Ich habe zugehört, aber nicht widersprochen. Seine Narben zu sehen, die blauen Flecken hinzunehmen und nicht auf ihn zu zugehen, nur um ihn vermeidlich zu schützen war nicht richtig gewesen. Ich habe ihn im Stich gelassen, obwohl ich nur das Beste für ihn wollte. Ich habe den Augenblick verpasst, der mir Gerechtigkeit beschert hätte. Ich bin nicht zur Polizei gegangen, habe keine Diagnose stellen lassen und so kam der Täter davon. Selbstjustiz sollte ihn zur Strecke bringen und das spüren lassen, was ich gespürt habe. Doch zu welchem Zweck? Als ich ihm auf diesem Fußballfeld in die Augen gesehen habe, habe ich nichts davon gefühlt. Kein Verlangen nach Rache, kein Wunsch nach Gerechtigkeit durch Gewalt. Warum sollte er dasselbe empfinden, was ich habe empfinden müssen? Dadurch würde die Tat nicht weniger schlimm sein. Ich habe die Möglichkeit gehabt Miles davon abzuhalten und seine Opfer zu schützen. Ich habe Felix vor all den Schmerzen bewahren wollen, die ich durchleben musste. Jahrelang wollte ich mich an Max rächen, dafür dass er mich allein gelassen hat. Jahrelang wollte ich meine Mutter das spüren lassen, was sie hat mich spüren lassen. Als er dann vor mir stand im Heim war all das verschwunden. Ich habe es nicht gekonnt. Ich habe mich dazu durchgerungen ihm eine Chance zu geben und das Gefühl zuzulassen, das ich all die Jahre nicht spüren durfte. Das Bedürfnis nach Liebe und Nähe hat er mir geschenkt. Eine Träne läuft über meine Wange. Die Worte meines kleinen Bruders haben mich vermutlich mehr verletzt als ihn und seinen Vater zusammen, doch ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Ich kann ihn nicht beschützen vor diesen Gefühlen. Das Einzige, was in dieser Situation richtig gewesen wäre, wäre Unterstützung gewesen. Ihm die Möglichkeit zu geben darüber zu reden und irgendwann darüber hinweg zu kommen. Rache macht das Geschehene nicht rückgängig. Der Schmerz bleibt tief im Herzen verankert und vor diesem Schicksal hat mich keiner bewahren können und auch ich kann ihn nicht davor schützen. Ein stechender Geruch dringt durch das Fenster und lässt mich das Gesicht verziehen. Wer raucht um diese Zeit? Keiner in diesem Haus raucht, geschweige denn mitten in der Nacht. Ich folge meinem Bauchgefühl, setze mich auf und hauche Felix einen Kuss auf die Stirn ehe ich das Zimmer verlasse.

Mein Vater der Rapper und der Hund namens Tuko 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt