16. ,,Hallo Bruder!" ✓

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Es ist inzwischen ein weiterer Monat vergangen. Einer, der auch so langweilig wie die restlichen Wochen war. Einer, wo wir uns manchmal in die Haare gekriegt haben. Meistens war es nach dem Aufstehen, weil ich immer so ein Morgenmuffel bin und deswegen die ein oder andere Bemerkung meinerseits gefallen ist. Das hat er natürlich nicht auf sich sitzen lassen, wobei ich es ganz witzig finde, dass, wenn sich Kai aufregt, immer Falten auf seiner Stirn entstehen und ich somit einen weiteren Grund habe, um ihn zu ärgern.

Außerdem überlege ich schon die ganze Zeit, was ich eigentlich für ihn empfinde. Er hat mir ja vor einem Monat gesagt, dass er mich liebt, doch darauf konnte ich damals und heute nicht antworten. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, wenn so eine Situation nochmal auftreten sollte. Ich mag ihn nach der langen Zeit, die ich mit ihm in dieser Holzhütte verbracht habe. Aber ist es die Liebe? Manchmal kommt es mir vor, dass zwischen den Aspekten "Liebe" und "Mögen" ein ganz schmaler Strich ist, auf dem ich mich schon seit einer Weile befinde. Ich könnte, wenn er mich fragen würde, ob ich ebenfalls Gefühle habe, nicht wissen was zu sagen ist. Ich könnte nicht sagen, dass ich ihn liebe, doch wiederum kann ich auch nicht sagen, dass ich ihn nur mag. Ich würde sagen, von jeder Seite 50%. Aber ich werde es herausfinden müssen, ich will nicht die ganze Zeit im Dunkeln tappen. Ich will endlich diesen Lichtschalter finden, ihn umlegen und sehen, was ich fühle. Doch das kann ich nicht herausfinden, indem ich bleibe. Ich habe schon viel zu viel Zeit hier verbracht, dabei sollte ich schnellstmöglich zu meinen ,,Brüdern", die sich warscheinlich große Sorgen machen... ich hoffe es geht ihnen gut.

,,Was guckst du da, Lyla?"

Ich drehe mich ruckartig um und sehe Kai, welcher mit den Einkäufen unterm Arm kommt. Ich zucke mit den Schultern, denn eigentlich habe ich nirgendwo hingeguckt.

,,Nichts."

Er schaut mich komisch an. Mist, ich komme mir so doof vor, wenn er das macht. Er kennt mich viel zu gut, das hat wohl die lange Zeit, welche ich mit ihm verbracht habe, bewirkt.

,,Du siehst nachdenklich aus. An was hast du gedacht?"

Ich kann ihm mein Gefühlschaos nicht in Worten beschreiben, aber ich denke eine Umarmung und ein ernstes Gespräch kann dabei helfen.

Ich stehe auf und laufe auf ihn zu. Vor ihm stoppe ich und nehme ihm die Einkäufe ab. Er beobachtet mich verwirrt.

,,Was soll das werden?"

Ich antworte nicht auf seine Frage, sondern umarme ihn einfach. Wie sagt man? Eine Umarmung sagt mehr als 1000 Worte. So ähnlich zumindest.

Nach ein paar Sekunden legt er ebenfalls seine Arme um mich und wir stehen dort nur, sagen nichts. Brauchen wir sowieso nicht. Es ist schön, einfach nur was machen ohne zu sprechen. Das hatte ich in den letzten Wochen nicht sehr viel. Im Bett haben wir immer die Grenze eingehalten, auch wenn Kai mich gerne als Kuscheltier verwendet hätte, doch es war meinetwegen. Ich wollte ihn nicht berühren oder von ihm berührt werden, weil ich zu diesem Zeitpunkt noch zu sauer auf ihn war, dass er mich einfach hier eingesperrt hat. Es war ja auch nicht nett von ihm.

Nach gefühlten Stunden lasse ich ihn los und dirigiere ihn zur Couch. Wir setzen uns nebeneinander hin und reden immer noch nicht, doch nach kurzer Zeit sehe ich mich gezwungen, weil sonst wird es noch unangenehmer, als es eh schon ist.

,,Ich muss mit dir sprechen." Er schaut zu mir.

,,Ich kann das nicht mehr." Er schaut mir immernoch ausdruckslos in die Augen.

,,Was kannst du nicht mehr?"

Ich atme tief durch und werde einfach alle Sorgen aussprechen.

,,Ich kann nicht mehr hierbleiben! Ich habe schon seit mehr als einem Monat hier festgesessen und darauf gehofft, dass mich jemand aus dieser Lage rettet. Doch niemand fand mich. Ich war aller 3 bis 4 Tage allein und langweilte mich, aber ich habe auch viel nachgedacht. Ich weiß, dass du etwas für mich fühlst, doch ich weiß auch nach wochenlangem Nachdenken nicht, ob ich fühle wie du. Und es gibt nur eine Möglichkeit, um das herauszufinden." Er schaut etwas wütend, aber auch ängstlich.

,,Und die wäre...?"

Ich glaube insgeheim, dass er es schon weiß, doch ich erzähle es ihm trotzdem.

,,Ich bitte dich darum, mich gehen zu lassen. Ich muss dringend zurück zu meiner Familie, zu Damon und Stefan, weil ich sie erstens sehr vermisse und zweitens, weil sie sich warscheinlich große Sorgen machen. Und wenn sie wüssten, dass du bei mir bist, steigt diese Angst nur noch mehr. Ich will zurück! Lass mich gehen, bitte!"

Er sieht aus, als hätte ich ihn geschlagen. Er schaut überall hin, nur nicht zu mir. Ich kenne die Antwort, doch ich werde hier rauskommen, auch wenn ich ihn dazu warscheinlich ganz überzeugen muss, was bei ihm nicht gerade leicht ist. Immerhin ist er sehr stur, aber ich bin es ebenfalls.

,,Ich..ich kann nicht. Du.."

Ich nehme seine Hand und versuche seinen Blick einzufangen. Wobei das garnicht so einfach ist, doch irgendwann schaffe ich es trotzdem.

,,Bitte Kai. Du würdest mich damit total glücklich machen und hättest endlich wieder mehr Privatsphäre. Das willst du doch?" Ich schmunzle bei dem letztem Punkt, er auch.

,,Das kannst du nicht verlangen von mir. Du bist die Einzige, die ich nicht gleich töten oder verletzen will. Und außerdem kann man mit dir sehr gut Spaß haben und lachen. Bitte bleib!" Ich schüttle den Kopf.

,,Nein! Ich muss gehen. Es tut mir leid, Kai. Das wird wahrscheinlich ein vorzeitiger Abschied, aber wir werden uns wieder sehen. Du kannst in ein paar Tagen, Wochen oder Monaten wieder kommen oder garnicht. Es ist deine Entscheidung, welche ich akzeptieren werde. Nur musst du meine akzeptieren."

Ich lasse seine Hand los und stehe auf. Ich gucke auf seinen runter hängenden Kopf und entferne mich von ihm. Ich gehe in den Flur, wo ich mir meine Jacke anziehe und die Schuhe ebenfalls. Ich bin schon an der Tür, als mich Kai noch aufhält. Er zieht mich an meinem Handgelenk zu ihm und schaut mir tief in die Augen. Ich werde regelrecht gelöchert von diesem Blick, aber ich habe das Gefühl, dass er sich jedes Merkmal meines Gesichts einprägen will.

Ich halte das irgendwann jedoch nicht mehr aus und winde mich aus seinem Griff. Ich gehe zur Tür und öffne sie. Ich trete gerade über die Schwelle, als er mir noch einen Satz zuruft.

,,Ich liebe dich Lyla. Vergiss das nicht!"

Meine Hand verkrampft sich auf dem Türknauf, doch ich laufe trotzdem weiter und schließe die Tür, ohne ihn anzusehen. Das geht gerade einfach nicht. Dann wende ich mich von der Hütte ab und laufe in den Wald, wo ich hoffe, dass das Haus der Salvatores nicht allzuweit entfernt ist.

Ich bin tatsächlich nach etwa einer halben Stunde endlich aus dem Wald raus, auf den gepflegten Rasen unseres ,Gartens' gekommen und laufe direkt auf die Eingangstür zu. Als ich davor stehe, klopfe ich so laut es geht daran und hoffe, dass irgendwer zuhause ist und mich gehört hat.

Anscheinend schon, denn hinter der Tür höre ich feste Schritte.

Als Dieser mir aufmacht und mich lächeln sieht, werden seine Augen groß und feucht. Schnell nehme ich ihn in meine Arme, er ebenfalls. Ich drücke mich so fest es geht an ihn, genauso wie er an mich. Ich hätte ihn gerne länger umarmt, doch ich würde sonst keine Luft mehr kriegen. Also lasse ich ihn los und schaue ihm grinsend in die Augen.

,,Hallo, Bruder!"

The One And Only Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt