Kapitel 1

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,,Wie geht es Ihnen denn heute, Miss Hudson?" ,fragt mich meine Therapeutin zum tausendsten Mal dieselbe Frage und räuspert sich danach, als ich weiterhin schweige. Ich habe keine Lust und Laune dazu.

,,Beschissen" ,antworte ich kurz und knapp, ,,Wie sollte es mir denn sonst gehen?"

,,Miss Hudson... Der Unfall ist Jahre her. Sie können sich doch nicht für immer verschließen. Genießen Sie doch ihr Leben!" ,redet sie mir aufgeregt und zugleich beruhigend ein. Die Frau denkt auch, alles im Leben sei rosa und Probleme seien ein unbekanntes Wort für die Gesellschaft. Für mich jedenfalls nicht.

,,Ich soll das Leben genießen? Wie denn? Soll ich für immer nur Verschwommenes oder sogar gar nichts sehen?" ,frage ich sie ironisch lachend.

Jeder meint, mich verstehen zu können.  Aber dem ist nicht so, denn keiner versteht mich.  Niemand von denen weiß, wie es ist, ohne Mutter zu leben und obendrein noch blind zu sein. Nie mehr sehen zu können. Die Hoffnung wieder sehen zu können, habe ich vor zwei Jahren schon aufgegeben. Es hat nichts gebracht, jeden Tag mit neuer Hoffnung aufzuwachen, nur um danach wieder enttäuscht zu werden.

,,Geben Sie die Hoffnung nicht auf!"

Ich hebe meine Mundwinkel, lächle gefälscht vor mich hin. Innerlich verdrehe ich die Augen.

,,Welche Hoffnung?" ,frage ich sie nun etwas gereizt.

,,Die Ärzte sagen, dass es nur der Schock sei und Sie irgendwann die Fähigkeit zu sehen wiedererlangen könnten!" ,antwortet Mrs Gareth. Manchmal möchte ich sie einfach anschreien und ihr an den Kopf werfen, dass sie mit ihren beschissenen Aufmunterungsversuchen aufhören solle.

,,Das sagen sie schon die ganze Zeit. Bei denen heißt irgendwann wohl nie, oder? Ich habe die Hoffnung schon längst aufgegeben, Mrs Gareth." ,füge ich aufgebracht hinzu.

Als es von irgendwo ein Ding! zu hören gibt, sage ich etwas zu schnell: ,,Oh, die Zeit ist um. Bis zum nächsten Mal!"

Wütend stehe ich auf und entfalte meinen Taststock. Nach jeder Sitzung mit meiner Therapeutin stürme ich entweder traurig oder wütend aus dem Gebäude. Langsam frage ich mich, wozu sie mir dienen soll, wenn sie mir nicht hilft.

,,Soll ich Ihnen beim Rausgehen helfen?" ,fragt mich Mrs Gareth dennoch höflich, obwohl ich nicht ganz so höflich zu ihr war. Ich höre wie sie aus ihrem Sitz aufsteht.

,,Nein, danke. Ich schaff' das schon allein!" ,zische ich und fange an mit dem Taststock meinen Weg zu ertasten.

,,Wie Sie wollen..." ,murmelt diese, ,,Bis zur nächsten Sitzung!"

Die Ärzte meinen auch, ich hätte Glück gehabt, dass ich mein Augenlicht nicht ganz verloren hätte. Ich sehe zwar nicht immer schwarz, aber ich sehe alles sehr verschwommen und sehr schwach. Deswegen gibt es deren Meinung nach eine Chance, wieder sehen zu können.

Was sie nicht sagen.

Manchmal, wenn ich aufwache, kann ich gar nichts sehen und ich verfalle in Panik. Aber im Laufe des Tages dringt bisschen Leben hindurch. Aber nicht viel. Ich kann zwar nichts erkennen, doch etwas Licht wird mir dennoch genehmigt.

Eigentlich brauche ich den Taststock im Gebäude meiner Therapeutin nicht, da ich schon weiß, wo sich alles befindet. Ich brauche ihn nur zur Sicherheit, wie man mir immer wieder einredete. Nachdem ich es endlich durch die Eingangstür geschafft habe, werde ich direkt von meinem Vater abgefangen.

,,Na, Prinzessin, wie war's?" ,fragt er mich mit guter Laune und hilft mir ins Auto.

Diese Frage stellt er mir jedes Mal und er bekommt jedes mal dieselbe Antwort.

Destiny [ editing ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt