Kapitel 2

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,,Lynn! Musik aus! Geh' jetzt schlafen!" ,ruft Judy, die Frau meines Vaters, aus dem Flur und klopfte wie eine Wilde gegen meine Tür.

Genervt rufe ich ein lautes Ja zurück.

,,Herunterfahren." ,befehle ich dem Laptop.

,,Auf Wiedersehen, Lynn Hudson." ,verabschiedet sich mein Laptop von mir und ein Ding! verrät mir, dass es jetzt auch wirklich aus ist.

Mit den Händen taste ich nach meinem Laptop, nehme es in die rechte Hand und stehe langsam vom Bett auf, um es auf meinen Schreibtisch abzulegen. Mit der linken Hand suche ich diesem und als ich ihn endlich gefunden habe, lege ich das Gerät auf die flache Oberfläche des Tische und gehe den Weg wieder zurück ins Bett, um zu schlafen.

Es ist Samstag.

Und Samstag heißt Familienabend beziehungsweise Familienabend mit Judy. Und das heißt wiederum mein Vater, Judy und ich.

Leider habe ich keine Geschwister, sodass ich mich wieder mal zu Tode langweilen werde. Es wird erstmal gegessen, dann werden Spiele gespielt und Geschichten erzählt. Na ja und Judy versucht mir das alles zu verschlimmern. Sie ignoriert mich, welche Geste ich wirklich zu schätzen weiß, aber dennoch sagt sie mir ab und zu, was ich zu tun habe und das nervt mich.

Als es an meiner Tür klopft, murmele ich verschlafen ein Herein.

,,Aufwachen, Prinzessin." ,sagt mein Vater mit guter Laune in der Stimme.

,,Gib' mir fünf Minuten." ,murmele ich und ziehe mir die Decke über den Kopf.

Ich sehe nichts. Nichts als Schwärze.

Wieder einmal.

,,Okay, das waren fünf Minuten! Steh' jetzt auf, du fauler Sack" ,lacht mein Vater und kitzelt mich plötzlich.

,,Dad!" ,quieke ich, ,,Ich stehe ja schon auf!"

,,Gut." ,sagt er lachend und verschwindet aus meinem Zimmer.

,,Judy und ich sind schon am Frühstückstisch. Ich wollte zwar warten, aber Judy wollte schon unbedingt anfangen, da sie so einen Hunger hatte." ,sagt mein Vater, ehe er hinausgeht.

Wäre ja wohl nicht anders zu erwarten gewesen.

Nimmt mir auch noch die Zeit mit meinem Vater.

Nachdem ich müde aus dem Bett gekrochen bin, schnappe ich mir meinen Taststock und gehe damit langsam weiter in Richtung Bad.

Den Taststock stelle ich links von mir ab und schlendere in Richtung Waschbecken. Als ich diesen erreiche, suche ich verzweifelt nach meiner Zahnbürste. Ich stöhne genervt auf und lasse meinen Kopf nach hinten fallen.

,,Judy!" ,rufe ich aus dem Bad.

Ich höre Getrampel auf der Treppe – Judy war nie die leise Sorte von Mensch.

,,Was?!" ,kommt es nach einer Weile genervt von draußen.

Ich seufze und frage sie, ob sie mir kurz im Bad helfen könnte. Sie ist nämlich die Einzige, die hier ab und zu mal was umstellt.

Nachdem sie stampfend ins Badezimmer gekommen ist, fragt sie mich sauer, was ich denn von ihr wollen würde.

,,Kannst du mir vielleicht meine Zanhbürste und die Zahnpastatube reichen?" ,frage ich verzweifelt und strecke leicht meine Hand aus.

,,Und dafür rufst du mich und lässt mich vom Frühstückstisch aufstehen?! Bist du blind oder was?!" ,fragt sie aufgebracht und knallt mir meine Sachen auf die innere Handfläche.

Etwas entrüstet drehe ich mich in die Richtung, wo Judys Stimme ertönt.

,,Zufälligerweise bin ich blind, Judy" ,murmele ich wütend und widme mich dem Zähneputzen. Ich weiß gar nicht, wieso ich denn unbedingt sie gerufen habe.

Nie achtet sie auf meine Gefühle und erniedrigt mich immer wieder.

Ich würde ihr gerne die Zahnpastatube gegen den Kopf werfen, doch ich weiß nicht einmal, wo sie steht.

,,Dein Pech." ,sagt sie und stampft davon.

Hat sie gerade ernsthaft Dein Pech gesagt?

Wie kann ein Mensch nur so herzlos sein?

Ich habe meine Mutter verloren und seitdem bin ich blind! Und dann sagt sie mir auch noch Dein Pech?

Als ich merke, wie mir eine Träne die Wange hinunterfließt, wische ich sie mit meinem Handrücken weg.

Nachdem ich mein Gesicht gewaschen habe, suche ich nach meinem Taststock. Vergeblich.

Ich knie mich hin und suche mit den Händen weiter auf dem Boden. Seufzend will ich schon aufgeben, bis ich mit der Hand gegen etwas stoße.

,,Da bist du ja." ,murmele ich und stehe mit dem Taststock in der Hand auf und gehe nach rechts, aus dem Badezimmer raus, zur Treppe.

Mit der rechten Hand greife ich nach dem Geländer und gehe mit langsamen Schritten hinunter.

Als ich unten ankomme, greift jemand nach meiner Hand.

Erschrocken zucke ich zusammen.

,,Keine Sorge, Prinzessin. Ich bin's. Komm, ich helfe dir bei den letzten paar Schritten." ,sagt mein Vater und führt mich in Richtung Küche.

Als er mir hilft mich an den Tisch zu setzen, fange ich auch an zu frühstücken.

Etwas später befinde ich mich in unserem Wagen und möchte am Liebsten rausspringen.

,,Wohin fahren wir?" ,frage ich lustlos und kratze mich am Kopf.

Ich habe gedacht, dass wir eher zu Hause bleiben und Spiele spielen oder sowas, wie jeden Samstag.

,,Sagen wir dir nicht." ,antwortet mein Vater mit guter Laune in der Stimme.

Ich stöhne genervt auf und lehne meinen Kopf an das Fenster des Autos an.

,,Komm, hab' dich nicht so. Es wird dir Spaß machen. Bevor die Schule anfängt, wollen wir nochmal richtigen Spaß haben. Wir fahren eine Stunde." ,erklärt mir mein Vater.

Als mir Judy in den Sinn kommt, die mit uns im Auto sitzt, denke ich, dass es nur schrecklich werden wird.

,,Genau, wir werden sehr viel Spaß haben." ,brumme ich und stecke mir die Kopfhörer in die Ohren.

Da mein Handy auch so programmiert wurde, sodass es auch Blinde nutzen können, flüstere ich dem Gerät leise das Lied Amnesia zu. Amnesia ist mein Lieblingslied. Es beruhigt mich und lenkt mich immer ab.

Destiny [ editing ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt