Boys

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Natürlich weiß jeder in der Schule am nächsten Tag von unserem ungewollten Besuch in der Taxizentrale, aber anstatt sich darüber lustig zu machen, feiern uns die anderen voll. Dank unseres Humors sind wir mit ziemlich vielen Mitschülern befreundet, doch nicht so eng, dass man sagen könnte, wir wären die beliebtesten Mädels auf der Schule. Denn bei uns trifft das Cliché zu, dass die Cheerleaderinnen neben den Jungs aus dem Football-Team nur zu den Coolen zählen. Und die wiederum können diejenigen, die keine Cheerleader sind, nicht ausstehen. Die Footballspieler andererseits flirten mit jedem Mädchen, das ihnen über den Weg läuft. Auch Jordan und ich hatten schon ein paar Mal das Vergnügen, mit billigen Sprüchen angemacht zu werden, doch wir haben immer nur darüber gelacht und uns nicht weiter mit ihnen abgegeben.
Bis jetzt hatte ich erst einen Freund. Er hieß Manuel und ging auf die selbe Schule wie Jordan und ich, doch nachdem seine Familie umgezogen war, machten wir beide nach einem halben Jahr Schluss, da weder er, noch ich Lust auf eine Fernebziehung hatten.
"Hast du schon den süßen Typ aus der Parallelklasse gesehen? Er war definitiv beim Friseur." , quietscht Jordan total hin und weg. "Meinst du Grand?" , hacke ich verwirrt nach, "Seit wann stehst du denn auf den?" "Er hat mich letztens in der Pause angesprochen und gefragt, ob ich Miss Allen gesehen habe." , erzählt sie mir. "Und deshalb hast du jetzt eine Auge auf ihn geworfen?" , bohre ich mit hochgezogenen Augenbrauen nach und muss lachen. "Hast du mal seine Muskeln gesehen? Die sind so groß wie mein Kopf." , schwärmt sie weiter. Kopfschüttelnd folge ich ihr zum Chemiesaal. Wenn Jordan einmal ins Schwärmen gerät, wird sie nicht mehr so schnell aufhören. Zuerst redet sie die ganze Zeit über den Typ, auf den sie gerade steht, dann starrt sie ihn während den Pausen ununterbrochen an und zum Schluss schafft sie es irgendwie, dass er sie nach einem Date fragt. Keine Ahnung, wie sie das immer auf die Reihe bringt.
"In zwei Stunden ist mein Date mit Grand. Du musst mir unbedingt helfen, Lu!" , quängelt Jordan, nachdem uns die Klingel von unserem Leid in der Schule endlich erlöst hat. "Jetzt bleib mal ruhig. Klar helf ich dir." , lache ich und weiche ihren Händen aus, mit denen sie wild in der Luft herumgestikuliert. "Aber wir haben nur noch zwei Stunden!" , jammert sie weiter, "Und wir brauchen noch ein Outfit, ich muss noch duschen und Make-Up und Haare und..." "Das kriegen wir hin." , unterbreche ich sie, "Wir sind mit 2,0 Promille durch den McDrive auf Fahrrädern gefahren. Da ist so eine Vorbereitung für ein Date gar nichts dagegen."
Lachend gehen wir zu Jordan nach Hause, wo Jordan sofort ins Badezimmer verschwindet und ich mich an ihre Klamotten mache. Das gute ist: ich kenne Jordans Schrank fast so gut wie meinen eigenen, weshalb ich ziemlich schnell fündig werde. Anschließend bereite ich gleich die Schminksachen vor und krame den Lockenstab aus dem Schuber hervor. "Lu, wir haben noch eineinhalb Stunden." , hätzt mich die Brünette, die in einem Bademantel ins Zimmer geflitzt kommt und sich auf den Stuhl vor ihrem Schminktisch fallen lässt. "Langt locker." , winke ich ab und kemme ihre Haare durch.
Die nächste halbe Stunde bin ich mit ihren schulterlangen, dunkelbraunen Haaren beschäftigt, in die ich leichte Locken eindrehe. Bevor ich mit dem Make-Up beginne, zieht sie sich den cremfarbenen Strickpullover und die schwarze, enge Jeans an. Ruhig bearbeite ich ihr Gesicht mit Lidschatten, Wimperntusche, Lippenstift und Eyeliner, wodurch ihre Augen größer wirken.
Zufrieden betrachte ich das Ergebnis und auch Jordan scheint glücklich über ihren Look zu sein. "Und wir haben sogar noch zehn Minuten Zeit." , stelle ich fest und werde von ihr umarmt. "Du bist echt die Beste. Danke, danke, danke." , quietscht sie mir ins Ohr. "Kein Ding." , grinse ich und verabschiede mich dann.
Mit einem Lächeln im Gesicht laufe ich durch die vollen Straßen New Yorks und kaufe mir für meine Leistungen eine Kugel Schokoeis. Seit ich klein bin, ist Schokolade mein Lieblingsgeschmack, wenn's um Eis geht. Bei Jordan ist es Haselnuss.
Zu Hause angekommen setze ich mich in die Küche und beschäftige mich mit meinem Handy. Gelangweilt scrolle ich durch die neuen Posts auf Instagram und schreibe hier und da einen witzigen Kommentar darunter. Es dauert nicht lange, bis Jordan ein Bild von sich und Grand hochlädt. Im Hintergrund kann ich den Eingang des Kinos erkennen und beide halten Tickets zu irgendeinem SciFi-Film hoch.
Schmunzelnd lege ich mein Handy weg und mache meine Hausaufgaben. Oder besser gesagt: gehe die Hausaufgaben im Internet nachschauen, da ich von Chemie einfach keine Ahnung habe.
Als ich fertig mit Lernen bin, dämmert es bereits draußen und ich verkrieche mich in mein Zimmer, um dort in Ruhe Musik zu hören und zu zeichnen. Glücklicherweise habe ich die Zeichenkünste meines Großvaters geerbt. Er selbst hat mit Kunst sein Geld verdient, ist aber mittlerweile in Rente und wohnt auf Hawaii, wo er eine Zeichenschule eröffnet hat. Ab und zu besuche ich ihn und bleibe dann für ein paar Wochen auf der Insel, wenn es meine Ferien zulassen.
Vertieft in meine Arbeit merke ich nicht, wie die Apartmenttüre aufgesperrt wird und überraschenderweise Dad an meine Zimmertür klopft. "Dad? Was machst du denn hier?" , frage ich ihn verwirrt und lege das Blatt weg. "Die Dreharbeiten fangen erst in ein paar Monaten an, also habe ich mir gedacht, komme ich mal wieder nach Hause." , antwortet er mir lächelnd. Skeptisch ziehe ich eine Augenbraue hoch: "Wo ist der Haken?" "Komm doch bitte mit in die Küche." , bittet er mich, ohne dass sein Lächeln verschwindet.
Seufzend erhebe ich mich von meinem Bett und folge ihm in die Küche, wo wir uns an die Theke setzen. Abwartend sehe ich ihn an. "Es geht um meinen neuen Film." , beginnt er und faltet die Hände, "Ich würde mir wünschen, dass du die weibliche Hauptrolle übernimmst." Mir klappt die Kinnlade herunter und ich sehe ihn mit weit aufgerissenen Augen an: "Ich? Ich kann doch überhaupt nicht schauspielern." "Doch, das kannst du. Ich habe deine Aufführung mit dem Schultheater gesehen." , erwidert er. "Das war vor zwei Jahren." , widerspreche ich. "Na und?" , kommt es nur von ihm, "Ich habe dich bereits für die Rolle eingetragen. Die Dreharbeiten fangen in den Ferien an, also sollte es kein Problem für dich sein."
Ungläubig sehe ich ihn an: "Wer sagt denn überhaupt, dass ich will? Vielleicht hab ich ja auch was besseres zu tun." "Deine Mutter hat mir zugestimmt. Außerdem hast du doch eh nichts geplant." , winkt Dad nur ab. Wütend starre ich ihn an. "Außerdem wirst du bezahlt." , fügt er hinzu, "Und einige Dreharbeiten finden auf Hawaii statt. Heißt, du kannst deinen Großvater besuchen gehen."
Seufzend rolle ich die Augen. "Na gut. Aber das ist das einzige Mal, dass ich so was mache." , gebe ich grummelnd vor mir und stapfe aus der Küche in mein Zimmer.
Mit gemischten Gefühlen im Bauch lege ich mich ins Bett und starre die weiße Decke an. Tausend Gedanken strömen durch meinen Kopf, doch ich kann sie nicht ordnen. Ich weiß nicht so recht, ob ich aufgeregt sein soll oder nicht.
Irgendwann schaffe ich es schließlich, die ganzen Fragen in den hintersten Winkel meines Kopfs zu verbannen und endlich meinen Weg in meine eigene Traumwelt zu finden.

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