Ein seltsames Mädchen

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»Mein Name ist Elizabeth Wood.« Ich wiederhole diesen Satz bereits zum achten Mal vor meinem Spiegel. Ich dachte, wenn ich es nur oft genug wiederholen würde, dann würde es sich irgendwann normal anhören. Doch so ist es nicht, es hört sich noch immer fremd an. Das ist ein Albtraum. Ich weiß nichts über mich. Ich bin einfach nur da, so als wäre ich ganz plötzlich ins Leben geworfen worden. Dabei habe ich den Teil mit der Geburt und Kindheit eben übersprungen. Ich bin einfach nur ein achtzehnjähriges Mädchen, ich weiß alles was man in diesem Alter wissen muss, wie man halt so lebt, mir fehlen quasi nur Erinnerungen über die Dinge, die jeder Mensch für sich erlebt. Mir fehlt all das was die anderen als selbstverständlich betrachten. Eine Familie, Freunde, das ganze Wissen über mich selbst, was man gern isst, womit man sich die Zeit vertreibt, was man sich wünscht.

Selbst mein eigenes Spiegelbild ist mir anfangs fremd gewesen. Daran habe ich mich mittlerweile etwas gewöhnt, eisblaue Augen, mittellanges, schwarzes Haar und meine Haut ist weißer als weiß. Ohne Witz, ich könnte mich locker mit der Wand tarnen. Und wenn ich jetzt raus gehe, mich ein bisschen in die Sonne lege, welchen Lichtschutzfaktor brauch ich dann? Wahrscheinlich 50, meine Haut reagiert bestimmt genau wie die bei rothaarigen Menschen. Gedankenverloren lasse ich meinen Blick durch mein Zimmer schweifen, es ist riesig. Alles in rot und weiß, weil ich gesagt habe rot wäre meine Lieblingsfarbe. Keine Ahnung wieso, es war einfach die erste Farbe, die mir eingefallen ist. Ich hätte wohl lieber sowas wie grün sagen sollen, das würde weniger aggressiv wirken. Andererseits konnte ich doch nicht ahnen, dass die ernsthaft jedes Möbelstück auf meine Lieblingsfarbe abstimmen würden. Ich habe hier alles was man haben kann bekommen und wenn ich einen Wunsch habe, den man mit Geld kaufen kann, so kann ich sicher sein, dass Jack Spencer ihn mir erfüllt. Ich weiß nur nicht wieso, er kennt mich nicht und ich kenne ihn nicht. Wieso soll ich hier leben? Ich puste mir die Haare aus dem Gesicht. Mein Leben ist scheiße! Ich meine, ich bin 18 Jahre alt, arbeitslos, hab kein Geld, keine Freunde und keine Familie, geht's eigentlich noch schlimmer? Vielleicht sollte ich fragen, ob ich ein Haustier haben kann. Ja, das ist eine gute Idee, Haustiere sind immer gut. Nur welches will ich? Also, Katzen verlieren Haare und Hunde stinken irgendwie immer, ein Vogel ist bestimmt schwierig, nicht das der entwischt, aber ein Fisch wäre doch ganz okay. Ich zucke zusammen, da hat sich doch jetzt etwas unter dem Bett bewegt oder? Vorsichtig knie ich mich hin und werfe einen Blick unter das Bett, aber außer Staubfussel und dem halben Stück Kuchen, das mir gestern runtergefallen ist, kann ich nichts Auffälliges sehen

Unsicher stehe ich wieder auf, etwas stimmt hier nicht, ich weiß nur noch nicht was genau es ist, aber ich werde es schon noch herausfinden. Es wird sich sicher bald aufklären, irgendwer wird herausfinden wo ich herkomme und meine Erinnerung wird sicher auch zurückkommen, sie muss zurückkommen. Also aus rein medizinischer Sicht, muss das ja wohl möglich sein, mit dem ganzen Fortschritt und so. Mein Blick geht zum Fenster, das komische Gefühl beobachtet zu werden, begleitet mich schon seit ich im Krankenhaus aufgewacht bin. Aber da draußen ist nichts, nur Häuser, wie es sich eben für eine Stadt wie London gehört. Die Nachbarin Caroline Knock putzt gerade ihr Auto, im Regen, wie intelligent. Überhaupt putzt sie ihr Auto erstaunlich oft. Wenn ich es mich recht überlege, gibt es eigentlich bisher keinen Tag, an dem sie ihr Auto nicht geputzt hat. Wie nennt man das nochmal? Ach ja, Putzfimmel, so einen hat Maggie auch.

Die Uhr an der Wand beginnt laut zu ticken, das tut sie immer zu gewissen Uhrzeiten. Die meisten dieser Uhrzeiten sind leider ziemlich ungünstig, wie zum Beispiel Mitternacht oder fünf Uhr morgens. Ich denke ich werde sie in absehbarer Zeit versehentlich kaputt machen, vielleicht heute noch. Unter anderem erinnert sie mich aber auch, dass es bald Abendessen gibt. Jeden Tag um halb sieben und wenn Maggie Spencer halb sieben sagt, dann meint sie auch halb sieben. Sollte man also eine Minute später kommen, ist das ganz und gar nicht lustig. Weshalb ich mich jetzt schon auf den Weg mache, da mein Orientierungssinn nicht der beste ist und dieses Haus riesig ist und es hunderte von Möglichkeiten gibt sich zu verlaufen. Ich muss es wissen, denn ich habe bereits alle von ihnen entdeckt. Ich krame den Zettel aus der Hosentasche, auf den ich die Wegbeschreibung gekritzelt habe. Und ja, ich habe mir selbst eine Wegbeschreibung von meinem Zuhause angefertigt, was vollkommen normal ist, da ich hier ja noch ganz neu bin.

Die Todesboten kehren einWo Geschichten leben. Entdecke jetzt