Kapitel 4 - Widerwärtige Würgerons

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Die Nachmittagssonne schien. Die Vögel zwitscherten. Es war ein warmer Frühsommertag, der sich uns zeigte, als unsere Gruppe aus der Tardis trat. Wir waren im Garten von Versailles gelandet. An einer Stelle, die nicht sogleich eingesehen werden konnte.

„Diese Perücke ist ätzend. Das juckt!", fluchte Tanja. Prompt fing sie sich einen bösen Blick von Marlon ein: „Du weißt schon, dass es zu dieser Zeit keine Frauen mit kurzen Haaren gab, schon gar nicht bei Hofe. Die würden dich für diesen Frevel sofort einsperren. Bei Wasser und Brot. Keine Schnitzel mehr für den Rest deines Lebens." Upps, offensichtlich hatten sich die beiden schon richtig lieb. Tanja schnaubte und rückte ihre Brüste an den richtigen Platz ihres karamellfarbenen Kleides.

Melania  überprüfte, ob sie beobachtet wurde, und beförderte mit einem Griff in ihr Dekolleté ihr Handy zu Tage um ein paar Fotos zuschießen. Marlon war aber einfach zu gut und schnappte es ihr mit einer flüssigen Bewegung vor der Nase weg. Sie wusste gar nicht, wie ihr geschah. „Kein Handy!", flötete er mit bissigem Unterton und verstaute selbiges im Bund seiner Hose. „Wenn du es wieder haben willst, musst du es dir holen." Er war sich sicher, dass sie das nie tun würde, und er hatte recht. „Wollen wir?" Marlon sah in seinen Kniebundhosen und seinem Frack umwerfend aus und bot beiden Damen den Arm zum Unterhaken. Sodann schritten sie uns voran. Das heißt, Melania schwebte in ihrem hellblauen Kleid an uns vorbei. Sie war sehr hübsch anzusehen und beklagte sich keinesfalls über die Haarteile, die Marlon ihr verpasst hatte. Ich schmunzelte. Was für ein lustiges Trüppchen.

„Darf ich bitten?", Marcus schnappte sich meinen Arm und warf mir einen liebevollen Blick zu. Errötend mit sanftem Lächeln blickte ich zu Boden und hieb ihm leicht den Ellenbogen in die Seite. Ein sanfter Windhauch trieb leise Worte an mein Ohr: Ich liebe dich! Aber er hatte sie nicht gesagt. Und ich hoffentlich auch nicht.

Wir näherten uns dem Schloss. Mit jedem Schritt, den wir näher herankamen, trafen wir auf mehr Leute. Und mit jedem weiteren Schritt fragte ich mich, warum die Tardis uns hierher gebracht hatte. Allein den Hebel zu betätigen stellte nämlich noch lange kein Datum ein. Im Garten schien irgendetwas los zu sein. In Sichtweite hatte sich eine Menschentraube gebildet. Wir waren gespannt darauf, was dort abging, und steuerten genau darauf zu. Diverse Künstler traten auf. Es wurde gesungen, getanzt und sich verknotet. Für das leibliche Wohl sorgten umhereilende Diener, die süßes Gebäck und Getränke reichten. Kurz um: Man ließ es sich gut gehen. Wir mischten uns unter das Volk und spionierten.

„In einer Stunde wieder hier. Dann kurzer Informationsaustausch", legte ich fest, was ein Maulen von Tanja und Melania zur Folge hatte.

„Muss das wirklich sein? Können wir uns hier nicht einfach nur  amüsieren?", moserte Tanja.

„Das dürft ihr schon, aber auffallen auch nicht. Und das Raumschiff hat uns sicherlich nicht ohne Grund in diese Zeit gebracht", antwortete ich den Beiden. An Marlon gewandt fuhr ich fort: „Pass bitte gut auf sie auf."

„Das werde ich. Ich hoffe aber auch, dass der da gut auf dich aufpasst..." Marlon warf Marcus einen vorwurfsvollen Blick zu, den dieser mit einem: „Pfff", quittierte.

„Mesdames. Allons", forderte Marlon die beiden auf und entfernte sich eilig mit ihnen.

„Hoffentlich geht das gut." Ich war doch etwas beunruhigt.

„Wird schon. Gehen wir auch ein Stück?", versuchte Marcus mich zu ermutigen. Ich nickte. Seite an Seite schlenderten wir weiter durch den Garten, beobachteten die Menschen aufmerksam, betrachteten die dargebotene Kunst und entdeckten rein gar nichts, was irgendwie auffällig war. Ich war frustriert. Als ein Diener mit einer Servierplatte voller Gebäck an uns vorbei kam, musste ich arme frustrierte Seele etwas für mein Nervenkostüm tun und griff zu. Mit genussvoller Erwartung schob ich mir den Macaron in meinen mit reichlich Speichel gefüllten Mund. Das, was gerade noch mit einem herrlichen Duft nach Zitronencreme an meiner Nase vorbeigezogen war, erfüllte meine Erwartungen nicht. Es schmeckte widerlich und verdiente den Titel: widerliches Würgeron. Diskret trat ich an den nächstbesten Busch und spuckte es wieder aus. Marcus tat es mir gleich. Irritiert sahen wir uns an.

„Meinst du, das es dass ist?", fragte ich ihn.

„Ich glaub schon."

Just in diesem Moment erging es anderen Konsumenten des Gebäcks genauso wie uns. Und wenig später hingen die Büsche voller durchgekauten Brocken. Ein besonders impulsiver Gast, schüttelte einen Diener am Kragen und brüllte ihn an, wie man seinen Gästen denn so etwas kredenzen konnte. Ein kleiner Aufruhr unter der eben noch so friedlichen Gesellschaft entstand.

„Habt ihr schon probiert?" Marlon trat beinahe unbemerkt von hinten an uns heran.

„Widerlich. Das Gebäck ist zum Abgewöhnen. Kennen die hier keinen Zucker?", platzte es aus Tanja heraus.

„Da ist selbst die britische Küche besser", gab Melania zum Besten.

„Mal Butter bei die Fische. Wir befinden uns hier am Hof des Sonnenkönigs, der neben Kultur auch kulinarische Genüsse durchaus zu schätzen weiß. Und natürlich gab es zu dieser Zeit schon Süßungsmittel. Außerdem: Wenn ich mir die Reaktion der Menschen um mich herum anschaue, die lustvoll zubeißen, nur um dann festzustellen, dass es widerlich ist, scheint dieses Phänomen durchaus neu zu sein."

Die Diener begannen in der Zwischenzeit hastig umher zu laufen um das Gebäck zu entfernen und die geschmückten Büsche abzudekorieren.

„Wir brauchen Proben! Marlon, Marius, würdet ihr bitte...", bat ich die beiden etwas von dem widerlichen Gebäck einzusammeln. Sie setzten meine Bitte sofort um und stopften sich etwas in die Taschen.

Wir traten den Weg zurück zur Tardis an. Tanja riss sich als erstes die Perücke vom Kopf und kratzte sich ausgiebig. Melania griff beherzt in den Hosenbund von Marlon um sich ihr Handy zurückzuerobern, dem ob dieses Verhaltens glatt die Kinnlade herunterfiel. Dann grapschte ich nach den geschmuggelten Teilchen in Marlons Jackentasche.

„Hallo? Hier ist keine Selbstbedienung!", moserte er gespielt.

„Wir sind gleich wieder da!" Ich schob mich in meinem ausladenden roten Kleid mit den Gebäckstücken die Treppe hoch auf dem Weg zum Labor.Schnell warf ich die Gebäckproben in gekrümelter Form in ein paar Röhrchen, gab Fehling-Reagenz I und II dazu und erhitzte das ganze kurz über dem Brenner. Das Ergebnis war eindeutig. Kein Zucker enthalten, nicht ein Fitzelchen.

Ein Ruckeln ging durch die Tardis und verriet mir, dass sie startete. Das war nicht gut. Ich rollte mit den Augen. Während Marcus die Überreste des Versuchs entsorgte, hastete ich in den Kontrollraum.

„Was habt ihr angefasst?", motzte ich.

Die drei anwesenden Personen sahen mich entgeistert an.

„Ich kann dich beruhigen, Doctoress. Hier hat niemand etwas angefasst außer mich, vor ein paar Minuten", antwortete Marlon und ich glaubte ihm.

Ich warf einen Blick auf den Monitor, auf dem die Tardis mir unser nächstes Ziel verkündete: England, 1859. Als ob wir das nicht gerade schon hatten. Ich versuchte die Tardis zu einem anderen Ziel zu überreden, aber manchmal hatte sie halt ihren eigenen Kopf.



The Doctoress - Torten-Trauma (7)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt